Zug der Nato-Gegner an Europabrücke gestoppt
Ulrich Marx
06.04.2009 – Kehl. Rund 6000 Nato-Gegner sind es, so schätzt die Polizei, die mit Fahnen und Transparenten, sprachlos oder mit Sprechchören ihren Protest gegen den Jubiläums-Gipfel des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses zum Ausdruck bringen. Die Politiker jedoch, gegen die sich dieser Marsch richtet, sind nach dem Gruppenfoto auf der Passerelle längst auf der anderen Rheinseite verschwunden.
In Kehl läuten an diesem Morgen mehrfach die Kirchenglocken. Auf dem Kehler Läger haben sich die ersten Demonstranten schon vor 10 Uhr eingefunden. Einige von ihnen hatten auf dem Kehler Marktplatz übernachten müssen, wo seit Donnerstag in einem kleinen Camp ein Dutzend junge Leute versammelt war.
Im Laufe des Freitags waren noch weitere hinzugekommen. Sie hatten eigentlich hinüber nach Straßburg gewollt, aber die gesperrte Europabrücke nicht mehr passieren dürfen und hatten sich daher auf dem Pflaster des Kehler Marktplatzes – wie etwa Alex aus Konstanz – niedergelassen.
Gegen 11 Uhr trifft der »Friedenszug« aus Nordrhein-Westfalen am Kehler Bahnhof ein. Umringt von Polizeikräften wartet die 900 Reisenden, bis sie, ebenfalls von Sicherheitsorganen begleitet, zum Versammlungsplatz geführt werden.
Überhaupt sind in Kehl an diesem Tag Polizeikräfte aus der ganzen Republik versammelt. Keine Kreuzung, kein Hof, keine Zufahrt, wo nicht ein Trupp in schwarzer oder grüner Uniform bereit steht
Kein Hochsicherheitsgefängnis wird an diesem Tag stärker bewacht. Da und dort hakt es, als sich der Zug in Bewegung setzt, Konfliktsituationen zwischen Demonstranten und Polizei, die sich aber wieder entspannen.
Menschen aller Altersgruppen, die aus den verschiedensten Orten in Deutschland nach Kehl gereist sind, gehen im Zug mit. Auch junge Leute von weit her, wie etwa aus dem norwegischen Oslo sind dabei. Sie hatten den Weg von Appenweier nach Kehl wegen der gesperrten Bundesstraße 28 zu Fuß über Feldwege angetreten. Unter den Demonstranten ist der Berliner Bundestagsabegeordnete Hans-Christian Ströbele. Und eine der ältesten Teilnehmerinnen ist Elke, »ein altes Fossil der Grünen aus Kehl«, wie sie sich selbst nennt und darüber strahlt, dass sich die jungen Leute zu diesem lebhaften, aber doch friedlichen Protest zusammengefunden haben.
Mahir Sahin, ein junger Türke aus Krefeld, ist schockiert von der Situation in der Kehler Innenstadt. »Überall sehe ich verbarrikadierte Geschäfte; wir sind doch ganz normale Menschen, die hier ihre Meinung äußern«, sagt er. Wie viele ist auch Pfarrer Peter Strube aus Dortmund empört, als der Zug gestoppt wird, weil die Europabrücke wegen der Krawalle auf französischer Seite gesperrt ist. Manche fühlen sich in der Enge des Polizeikessels bedroht. Angesichts von Wasserwerfern findet Birgit aus Karlsruhe, dass »hier schwerstes Gerät gegen uns aufgefahren wird«.
Es ist kein Durchkommen nach Straßburg, und es dauert Stunden, bis sich der Zug, der auf Höhe des Bahnhofs angehalten worden ist, friedlich auflöst. Von der anderen Rheinseite steigen noch immer Rauchschwaden gen Himmel auf.