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2009-04-01

Schikanen in Strasbourg

Internationales Camp der NATO-Gegner in Frankreich eröffnet. Linke Aktivisten beklagen Provokationen und Übergriffe der Polizei

Von Frank Brunner

Fast jede Nacht, sagt Maria, kreisen die Polizeihelikopter über den Zelten. Seit einigen Tagen wohnt die 19jährige Schülerin aus Fürth bei Nürnberg im Internationalen Camp, das die Gegner des NATO-Gipfeltreffens derzeit in der Nähe von Strasbourg errichten.

»Die Hubschrauber fliegen absichtlich tief und manchmal schweben sie mit eingeschalteten Scheinwerfern direkt über unserem Lager, und das ist nur eine von vielen Provokationen der Polizei«, berichtet Maria. Sie sei eigentlich zum Protestieren nach Strasbourg gekommen, weil sie nicht einverstanden ist mit der Politik des Militärbündnisses, erklärt sie. Doch nun ist sie eine von mehreren Sprechern der Campbewohner und beantwortet auf einer provisorischen Pressekonferenz am Mittwoch die Fragen der Journalisten.

Etwa 800 Politaktivisten sind bis gestern nachmittag auf der riesigen Ackerfläche an der Rue de la Ganzau im Strasbourger Ortsteil Neuhof eingetroffen. Die meisten kommen aus Frankreich und Deutschland. Aber auch Italiener, Spanier und Niederländer sind darunter. Schätzungsweise 250 Zelte hat die bunte Truppe bislang aufgebaut. Die Organisatoren rechnen bis Samstag mit einigen tausend Menschen, die im Protestcamp eintreffen werden. Schon jetzt gleicht es einer kleinen Stadt. Eine Übernachtung kostet fünf Euro. »Wer aber kein Geld hat, kann natürlich auch umsonst hier schlafen«, informiert ein Campbewohner, der sich Rudolf Rein nennt. Wie bei solchen Veranstaltungen üblich, gibt es morgens, abends und natürlich auch dazwischen, unzählige Plenen. »Bei diesen Treffen wollen wir Konflikte beseitigen, aber vor allem sollen Protestaktionen geplant werden«, erzählt Rein. Unterteilt ist das Lager in mehrere »Barrios«, das sind kleine Zeltstädte innerhalb des Camps, in denen sich Menschen mit ähnlichen Interessen zusammenfinden. Mit insgesamt 1200 erwarteten Aktivisten wird das »Block NATO«-Bündnis wahrscheinlich das größte Barrio stellen. Daneben gibt es Toiletten, selbst gebaute Duschen, ein Zelt mit Internet­anschluß, eine rustikale Holzbar und in den drei riesigen Metallkesseln der »Volxküche« brodelt eine Komposition aus Kartoffeln und anderem Gemüse. »Helfer willkommen«, steht auf einem der Schilder daneben.

Unerwünscht sind im Camp die Vertreter der Staatsmacht. »Bereits bei der Anreise werden die Leute schikaniert«, sagt Marie. So wurde dem Fahrzeug einer Großküche, das die Campbewohner mit Essen versorgen sollte, am Dienstag die Einreise nach Frankreich verweigert. Noch Mittwoch nachmittag wurden die Köche von der Polizei festgehalten, »weil sie Küchenmesser dabei hatten«, empört sich Maria. Mindestens zehn Menschen sei bisher die Reise von Deutschland nach Frankreich verweigert worden, berichten Campbewohner. Tatsächlich haben die Behörden eigens zum Jubiläumsgipfel der NATO das sogenannte Schengener Abkommen ausgesetzt, demzufolge es innerhalb der Europäi­schen Union keine Grenzkontrollen geben soll. »Die Regierungen wollen einfach keinen Protest gegen ihre Politik zulassen«, kritisiert Campbewohnerin Marie. Doch auch jene Aktivisten, die es bis ins Protestlager geschafft haben, würden schikaniert. So fahre die Polizei immer wieder ins Camp, um die Personalien der NATO-Gegner zu kontrollieren. Am Dienstag abend etwa wollte eine zivile Sondereinheit der »Brigade anti criminalité« (BAC) Personalien überprüfen. Die BAC sind in den angrenzenden Banlieues dafür bekannt, regelmäßig als »Agents provocateur« aufzutreten und zum Widerstand anzustiften, der dann mit Repression beantwortet wird. Nachdem die anwesenden Campbewohner die Provokation abgewehrt hatten, schoß die Polizei mit sogenannten »Schockgranaten« auf ihre Zelte.

Doch die Anti-NATO-Aktivisten geben sich davon unbeindruckt. Am gestrigen Abend (nach Redaktionsschluß) sollte das Camp mit einem Kulturprogramm offiziell eröffnet werden. Maria befürchtet, daß die Repressionen der Sicherheitskräfte danach erst richtig losgehen.

Source: http://www.jungewelt.de/2009/04-02/011.php