Die Demo-Sanitäter im Strasbourger Camp sind auf zunehmende Brutalität der Sicherheitsorgane eingestellt. Ein Gespräch mit Ramon Schmidt
Interview: Gitta Düperthal
Ramon Schmidt ist Sanitäter im Medical Team im Camp bei Strasbourg, wo Aktivisten gegen den NATO-Gipfel untergebracht sind
Nach diversen Einreiseverweigerungen für Demonstranten, die zu den Anti-NATO-Protesten nach Strasbourg reisen wollten, gab es erste Provokationen der französischen Polizei. Sie hat z. B. mit »Schockgranaten« auf die Zelte im Camp geschossen. Es wurde zwar niemand verletzt. Wie gefährlich sind diese Waffen eigentlich?
Es sind Granaten mit schwächerer Ladung und ohne Splittermantel. Diese Waffen können tödlich sein, wenn sie am Körper detonieren. Erstmalig wurden sie 1977 in Maleville bei der Demonstration gegen den Bau des Kernkraftwerks eingesetzt und kosteten Vitale Michelon das Leben. Er starb an einem Lungenriß.
In Deutschland wurden sie beim Widerstand gegen die Startbahn West verwendet. 1986 wurde bei Auseinandersetzungen um die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf durch eine »Blend-Schockgranate« jemandem die Hand abgerissen. Und in Genf wurde 2003 bei einer friedlichen Demonstration dem englischen Fotoreporter von Indymedia, Guy Smallman, die Wade weggesprengt.
Wie bereitet sich das Medical-Team auf seine Arbeit im Camp vor?
Wir sind zwischen 20 und 30 Leuten und haben uns mit Vorträgen und Ausbildungskursen vorbereitet. Es ging darum, spezifische Verletzungen zu behandeln, die als Folge von Polizeiübergriffen auftreten können. Sicherlich helfen wir auch bei Unfällen. Primär bereitet uns allerdings die Polizeigewalt Sorgen, weil sie bei derartigen Anläßen wie dem Widerstand gegen den NATO-Gipfel ständig auftritt – mit gravierenden Folgen. Hier in Frankreich sind wir mit der »brigade anti criminalité« (BAC) konfrontiert. Das ist ein brutales Kommando, dessen Attacke war insofern nicht unerwartet. Ich habe einmal gesehen, wie sie auf eine Journalistin losgegangen sind, die das Einprügeln auf Demonstranten fotografieren wollte. Sie war sehr schnell und zierlich – nur deshalb konnte sie entkommen. Die BAC wird regelmäßig in den Vorstädten in Frankreich eingesetzt. Dort agieren sie als »agents provocateur«, versuchen die Leute zu provozieren und unter Spannung zu halten. Sie zetteln Widerstand an und beantworten ihn mit Repression.
Mit welchen Schwierigkeiten rechnen Sie im Sanitäter-Einsatz?
Das Hauptproblem wird die Polizeigewalt sein. Sie wirkt sich auch so aus, daß uns die Polizisten in die Zone, in der sie richtig übel zuschlagen, erst gar nicht hineinlassen. Sie behindern Rettungswagen und Sanitäter. Selbst wenn dort jemand vor Aufregung einen Herzinfarkt bekäme, könnten wir nicht gleich zur Stelle sein. Aber das ist gewollt. Das hat damit zu tun, daß hier Opposition zur Regierung geleistet wird.
Was motiviert die Sanitäter mitzumachen?
Wir sind politisch engagierte Leute: Krankenschwestern, Ärzte und Rettungssanitäter. Sie alle opfern ihren Urlaub. Sie riskieren auch, daß ihnen selbst etwas passiert. Es gab nämlich schon häufig Übergriffe auf Sanitäter. In Genua beim Widerstand gegen den G-8-Gipfel im Juli 2001 wurden Rettungskräfte ins Gesicht geschlagen. Sie waren weiß angezogen, mit einem roten Kreuz gekennzeichnet – aber es half nichts. Wenn sich Polizisten hilflos fühlen, weil sie die Situation nicht mehr im Griff haben, greifen sie alles an – gerade das, was nach Struktur aussieht. Die Polizei will nicht, daß Leute kommen, Sanitäter helfen und die Presse darüber berichtet. Das wäre nicht im Sinn der Regierung.
Wie setzt sich das Team zusammen, und wie arbeitet es?
Es gibt internationale Absprachen. Helfer kommen aus Frankreich, Deutschland, Spanien, Italien und Osteuropa. Seit Oktober 2008 bilden wir uns bei Veranstaltungen für diesen Einsatz fort. Zum Beispiel: Wie entferne ich Pfefferspray? Wir Demo-Sanitäter kennen eine Spezialmischung, die hilft. Am Donnerstag, um 14 Uhr, geben wir im Camp Ratschläge an alle. Was kann jeder tun, um sich vor Gas oder Gummigeschossen zu schützen? Die französische Polizei liebt diese Geschosse und setzt sie häufig ein. Auch könnte es möglich sein, daß sogenannte Taser (Elektroschock-Waffen) zum Einsatz kommen. Kardiologen warnen, daß solche Stromstöße zu gefährlichen Herzrhythmusschäden führen können.