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2009-03-14

Gipfel bei den Gartenzwergen

Um ihr Jubiläum nicht im Dorfdisko-Ambiente von Kehl zu feiern, weicht die Nato nach Baden-Baden aus

Wenn nur vor dem Nato-Gipfel in Bukarest mal jemand an den Rhein gefahren wäre, da wo sich das französische Straßburg und das deutsche Kehl gegenüberliegen. Nie hätte dann wohl im Communiqué gestanden, dass der Jubiläumsgipfel zum 60. Geburtstag des Bündnisses in diesen beiden Orten gemeinsam ausgerichtet würde.

Als ein Vorbereitungsteam kam, fand es in dem 35 000-Einwohner- Ort Kehl am Fuße der Europabrücke das „Voxs“-Hotel mit Restaurant, einen Würfelbau direkt am Bahnhof. Zum Eingang ansteigend ein Werk aus silberfarbenen Gartenzwergen, die Hände gefaltet, auf grünem Kunstrasen. Drinnen macht die Damentoilette mit Glitzeranstrich und Licht in wechselnden Farben jeder Dorfdisko Konkurrenz. Unten ein Asia-Lokal. Ein wenig anheimelnder Ort.

Wie sollte hier ein Gipfel mit 28 Staats- und Regierungschefs ausgerichtet werden? Schon wurde überlegt, ein temporäres Gipfeldorf am Rheinufer entstehen zu lassen. Doch was, wenn die Schneeschmelze just am ersten Aprilwochenende die Uferwiesen fluten sollte? Die Planer ließen ihre Blicke also etwas weiter schweifen und wurden 54 Kilometer landeinwärts fündig: da liegt Baden-Baden – mondän, mit edlen Geschäften und Hotels und einem historischen Ensemble mit Kurhaus und Trinkhalle. Da kann Deutschland mit Frankreich mithalten, selbst wenn Nicolas Sarkozy auf seiner Seite Versailles in Straßburg nachbauen sollte. Aber was tun mit dem offiziellen Gipfelort Kehl?

Nicht nur Jahrhunderte wechselvoller Geschichte verbinden Kehl mit dem französischen Nachbarn Frankreich – sondern zum Glück auch eine Brücke, die Passerelle, mit dazugehörigem Garten auf beiden Seiten des Stroms. Die Bürgerhäuser an der Uferpromenade machen auch was her. So entsteht nun nur ein temporärer Bau am Fuß dieser Brücke des Friedens. Dort sollen die Staats- und Regierungschefs sich Samstag sehr früh auf einen Kaffee treffen und dann hinüberschreiten – möglicherweise begleitet von einer eindrucksvollen Fliegerstaffel. Auf französischer Seite will Präsident Sarkozy den Tross willkommen heißen. Die Nato kommt also zum Gipfel, an dem Paris vollständig in die Kommandostruktur der Nato zurückkehren will, quasi zurück in den Schoß Frankreichs. Schon vor neun Uhr soll auf französischer Seite das Erinnerungsfoto entstehen, die Passerelle im Hintergrund. Und Kehl. Immerhin.

Bürgermeister Petry hat von dem Hin und Her aus den Medien erfahren. Er wird an dem historischen Morgen auch nicht an der Passerelle sein, sondern knapp einen Kilometer weiter beim Einsatzstab im Feuerwehrhaus. „Ich habe begriffen, woraus Macht besteht“, sagte er mit Blick auf die Gipfelankündigung von Merkel und Sarkozy bitter in ein paar Mikrophone: „Wenn zwei Leute sich verabreden, und anschließend setzen sich Hunderttausende in Bewegung und setzen das um.“

Im Hintergrund aber ist er doch wichtig: Irgendwer hat festgestellt, nur er könne die Rheinschifffahrt auf deutscher Seite an diesem Tag unterbinden. Damit Kehl nicht im Falle eines Falles auf Prozesskosten sitzen bleibt, gibt es dafür eigens vom Regierungspräsidenten eine Anweisung. Gemeinsam mit der Polizei setzen sie in Kehl alles dran, dass die Anwohner der Uferpromenade an diesem Tag unsichtbar bleiben. Die beschweren sich regelmäßig schon, wenn Busse Schiffsgäste auflesen. 700 Kehler, die in der so genannten Sicherheitszone 4 wohnen, können, wenn Angela Merkel und ihre Gäste die Passerelle überqueren, nur in Begleitung von Polizisten aus dem Haus und dürfen nicht einmal mit einem Fernglas ans Fenster. Sonst steht sofort die Polizei vor der Tür. Nicolas Sarkozy habe wissen lassen, er wolle Demonstranten weder sehen noch hören, heißt es. In Kehl sind sie ziemlich sicher, dass der Präfekt auf französischer Seite den Gipfel nicht in diesem Amt überleben wird.

In Baden-Baden, wo sich Hoteliers echauffierten, dass nur Kehl im offiziellen Gipfellogo auftaucht, weiß man, dass die Veranstaltung vor allem ein gutes Geschäft verheißt. Bilder wie vom G-8-Gipfel in Heiligendamm will die Polizei vermeiden: Es werde keine hohen Zäune, keine behelmten Polizisten Mann an Mann geben, verspricht die Einsatzleitung. Für Oberbürgermeister Wolfgang Gerstner mehren die 14 Staats- und Regierungschefs seiner „Metropole“ vor allem den Glanz . Nach seiner Lesart sind von Jassir Arafat bis Bill Clinton ohnehin schon praktisch alle in Baden-Baden gewesen, „die in der Welt Geschichte geschrieben haben“. Damit sie einen guten Eindruck bekommen, werden gerade Schlaglöcher geflickt – auch wenn Gerstner behauptet, „stolz auf unsere Falten“ zu sein.

Im „Voxs“ in Kehl versucht der Küchenchef das Beste aus der Situation zu machen – sie haben Speisekarten mit vielen Flaggen und einem Gipfelmenü für 48 Euro gedruckt, Michael Braun will seine Gäste verwöhnen. Eine Kohlroulade, „Angela Merkels Lieblingsrezept“, gehört dazu und ein Strip Steak mit Wedges und Farmergemüse: „Obama wird es lieben!“

Von Ingrid Müller, Kehl/Baden-Baden

Source: http://www.tagesspiegel.de/politik/art771,2751812