Am Rande des Internationalen Vorbereitungstreffen für die Anti Nato Aktionen aus Anlass des 60 jährigen Bestehens der Nato, an der über hundert Delegierte aus 16 Nationen teilnahmen, konnte ich ein Interview mit Annette Groth führen
T.M.: Annette, danke dass Du dir Zeit genommen hast. Wir sind hier in Stuttgart auf dem Internationalen Vorbereitungstreffen für die Anti Nato Aktionen aus Anlass des 60 jährigen Bestehens der Nato. Was erwartest Du?
A.G.: Ich hoffe, dass wir gemeinsame gute Aktionen planen und ich möchte insbesondere das Atomthema hier einbringen. Ich war beim Europäischen Sozialforum in Malmö und habe an einem hoch interessanten Seminar zur Atomproblematik teilgenommen. Ein Riesenthema ist ja die Frage der Entsorgung, d. h. wohin mit dem Atommüll, mit den leckenden Atommüllfässern. In ASSEN haben wir ein großes Umwelt- und Gesundheitsproblem. Zurzeit von der Finanzmarktkrise verdrängt, wird es uns aber die nächste Zeit sehr beschäftigen. In den nächsten Jahren werden viele Atomreaktoren abgewrackt, aber die Atommüllentsorgung ist nicht geklärt. Und dennoch sollen in Europa Dutzende von neuen Nuklearanlagen gebaut werden. Das ist ein Skandal von großer strategischer Bedeutung und einfach unverantwortlich. Atomenergie ist nicht billig, wie uns suggeriert wird, sondern die teuerste und auch die gefährlichste Energiequelle. Und von der Atomenergie ist es zu Atomwaffen auch nicht weit. Die EU hat gerade einen Atomkooperation mit Indien vereinbart, obwohl Indien den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet hat, Frankreich will einen Atomreaktor nach Tunesien liefern. Die Atomproliferation geht weiter. Diese Technologie ist unkontrollierbar und wie gesagt höchst gefährlich. In Malmö beklagte eine junge Türkin den Krebstod von vielen Familienangehörigen in den letzten Jahren. Sie alle wohnten am Schwarzen Meer und sie führt die hohe Krebsrate auf Tschernobyl zurück. Ein Iraker sagte uns, dass laut Studien ein Drittel der irakischen Bevölkerung an Krebs leidet und dies auf die Uraniummunition zurückzuführen ist, die die US Soldaten benutzten. Ich führe das etwas aus, weil die Gefährlichkeit der Atomenergie und die Gefahr eines atomaren Erstschlags nicht mehr so öffentlich debattiert werden, wie noch vor einigen Jahren. Das muss wieder ins Bewusstsein der Leute rein. Nein zur NATO heißt auch Nein zum Atom.
T.M.: Die Linke. steht für Abrüstung und Rüstungskonversion als zentrale Aufgaben. Wie siehst Du die Aufrüstungsverpflichtung des Vertrags von Lissabon?
A.G.: Diese Aufrüstungsverpflichtung ist völlig abzulehnen. Wie können sich denn die jetzigen gewählten Regierungen der 27 EU Staaten in einem Vertrag verpflichten, die "Rüstungsanstrengungen zu verbessern“? Falls dieser Vertrag von allen EU Staaten ratifiziert werden sollte, müssen Regierungen, die diesen Passus ändern und weniger statt mehr für Waffen ausgeben wollen zugunsten von z.B. Sozialausgaben, erst mal eine Vertragsänderung beantragen. Das kann Jahre dauern... wenn es dann überhaupt möglich sein sollte. DIE LINKE lehnt den Vertrag von Lissabon auch aus anderen Gründen ab und wir hoffen, dass auch andere Staaten, wie z.B. Schweden, das den Vertrag noch nicht ratifiziert hat, dem Beispiel Irlands folgen und nicht unterzeichnen. Mit dem Vertrag von Lissabon wird der neoliberale Umbau der europäischen Staaten weiter zementiert, die unsoziale Wettbewerbspolitik wird ausgebaut. Dieser Vertrag gibt der EU mehr Zuständigkeiten in der Migrations--- und Flüchtlingspolitik. Überwachungsinstrumente und die polizeiliche Zusammenarbeit sollen auf europäischer Ebene verstärkt werden.
T.M.: Welche Gefahren siehst Du in der Europäischen Verteidigungsagentur?
A.G.: Die Europäischen Verteidigungsagentur ist eine Rüstungsagentur. Dort verständigen sich die EU Staaten über neue Waffensysteme, die angeschafft werden, über neue Einsätze der europäischen Battlegroups oder die Etablierung einer Europäischen Interventionsarmee, wie der holländische Verteidigungsminister neulich forderte. Die Europäische Verteidigungsagentur ist für Aufrüstung zuständig, nicht demokratisch kontrollierbar und schon aus diesen Gründen abzulehnen. Wir brauchen eine Abrüstungsagentur die Vorschläge zur Demilitarisierung vorlegt und Konflikt- und Friedensforschung betreibt. Das wäre ein Signal für ein friedliches Europa, für das wir LINKE kämpfen.
T.M.: Dient das bereits existierende FRONTEX-System der Grenzkontrollen der Abschottung der EU?
A.G.: Aber klar. Wegen der immer „effizienteren“ Überwachung durch Schiffe und andere Maßnahmen wählen die Flüchtlingsboote jetzt andere, gefährlichere Routen, wie etwa von der Elfenbeinküste oder von Guinea auf die Kanaken. Darum ertrinken auch immer mehr Menschen. Insgesamt, so wird geschätzt, sind in den letzten zehn Jahren mindestens zehntausend Menschen bei Einreiseversuchen an den südlichen EU-Außengrenzen ums Leben gekommen. Wir müssen auch immer wieder anprangern, dass die EU Staaten die Genfer Flüchtlingskonvention verletzen, da Flüchtlingen die Einreise in die EU Staaten fast unmöglich gemacht wird. Das kommt einer faktischen Abschaffung des Asylrechts gleich. In diesem Monat werden die Regierungschefs der 27 EU Staaten einen europäischen „Pakt zu Einwanderung und Asyl" verabschieden. Der Pakt zielt neben der Anwerbung benötigter Arbeitskräfte aus Drittländern auf eine strenge Bekämpfung illegaler Einwanderung und eine schärfere Überwachung der EU-Außengrenzen. Dazu gehört unter anderem die Einrichtung eines einheitlichen EU-Grenzüberwachungssystem. Mit dem neuen System sollen nach Europa eingereiste Bürger/innen von Nicht-EU-Staaten, die nicht pünktlich mit Ablauf ihres Visums ausreisen, EU-weit zur Fahndung ausgeschrieben und bis zu 15 Monaten inhaftiert werden.
Flankierend zu den neuen Migrationsgesetzen wird im Oktober 2008 das erste EU-Rekrutierungsbüro (Centre d'information et de gestion des Migrations/CIGM) in Mali eröffnet, das die kontrollierte Zufuhr afrikanischen Arbeitspersonals für Firmen in der EU steuert. Ein weiteres Büro ist im Senegal geplant. Diese Büros sollen die Engpässe auf dem europäischen Arbeitsmarkt füllen, der in den kommenden 20 Jahren angeblich Millionen von außereuropäischen Arbeitskräften benötigt. Ich habe bislang noch keine Studie gelesen, die diesen angeblichen Arbeitskräftemangel von 20 Millionen empirisch belegt. Ich bin sicher, das ist nur so eine Zahl, um diese Rekrutierungsbüros zu legitimieren und um eventuell auch zur weiteren Lohnsenkungen oder anderen „Reformen“ benutzt werden zu können. Denn es sollen in diesem Jahr auch weitere „Reformen“ durchgesetzt werden. Mit Hinweis auf die unendliche Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte aus Drittländern könnten Widerstände gegen weitere Lohnkürzungen oder andere „flexicurity-Maßnahmen“ in den EU-Staaten gebrochen und „Reformen“ wie längere Arbeitszeiten eingeführt werden. Migrant/innen wie auch Frauen könnten so als Lohndrücker/innen und als industrielle Reservearmee benutzt werden. Diese Verwertungslogik nach ökonomischer Nützlichkeit muss entlarvt werden. Wir müssen die zunehmende Militarisierung nach innen und außen im Zusammenhang mit dem zunehmenden Sozial- und Demokratieabbau und dem zunehmenden Rassismus und Rechtsextremismus sehen. Berlusconis Notstandsgesetzgebung zeigt dies ganz deutlich, wie übrigens auch die deutsche Geschichte. Bei den Ausgegrenzten einer Gesellschaft wird der Sozial- und Demokratieabbau erprobt. Das gilt hierzulande für AGLII Abhängige und für Migrant/innen. Beschäftigte werden gegen Erwerbslose ausgespielt, Ausländer/innen gegen Deutsche. Der Kampf gegen Sozial- und Demokratieabbau, gegen den Ausbau des Überwachungsstaats, gegen eine zunehmende Militarisierung nach innen und nach außen und gegen den zunehmenden Rechtsextremismus gehören zusammen.
T.M.: Die Nato und die Europäische Union verstricken sich immer mehr in militärischen und zivilen Bereichen. Ist die Nato ein Eckpfeiler für die Globalisierungsansprüche der EU?
A.G.: Es besteht eine immer engere Zusammenarbeit zwischen NATO und EU. Sarkozy will Frankreich wieder in die NATO bringen. Sarkozys Ziel ist auch eine enge Zusammenarbeit zwischen EU und NATO. Bush hat schon vor einiger Zeit gefordert, dass die Europäer ihren Beitrag für den Krieg in Afghanistan erhöhen sollen. Die Amis können sich die Kriege im Irak und in Afghanistan schon lange nicht mehr leisten – darunter leidet ja auch die US amerikanische Bevölkerung, weil so viele Milliarden für das Militär ausgegeben werden, die z.B. für eine nationale Krankenversicherung und für andere soziale Angelegenheiten fehlen. Und so müssen jetzt eben auch die Europäer bluten. Unser Rüstungshaushalt beträgt 2009 33 Mrd. €, und da sind etliche Gelder für Militärforschung etc. noch nicht enthalten, da sie in anderen Budgets versteckt sind. NATO wie EU setzten auf immer engere militärische und zivile Zusammenarbeit, das verurteile ich. Als Beispiel möchte ich kurz AFRICOM, das hier in Stuttgart ist, nennen. AFRICOM bedeutet: US-Afrika-Kommando, das in diesem Monat mit 100 Militärs seine Stabsstelle für integrierte Befehls- und Koordinationsaufgaben für alle militärischen und zivilen Projekte der USA in Afrika aufnimmt und von großer strategischer Bedeutung ist. Das Stuttgarter AFRICOM-Hauptquartier ist das logistische Zentrum, von dem aus Einsatzgebiete eines mobilen US-Afrikakorps von geplanten 25.000 Mann, identifiziert werden. Soldaten des mobilen US-Afrikakorps sind auf den US-Basen in Dschibuti und im algerischen Tamanrasset stationiert sowie auf den Schiffen der US-Flotte. Die Flotte unterhält mit fast sämtlichen Anliegerstaaten am Golf von Guinea und in Angola - einer der wichtigen Öl-Lieferanten der USA - "Partnerschaftsprogramme zur Sicherheit von Häfen und Bohrinseln". In einer Transsahara-Allianz sind alle Maghreb-Staaten einschließlich Libyen sowie die westlichen und südlichen Anrainer der großen Wüste mit den US-Streitkräften "zur Bekämpfung des Terrorismus" vereint. Der Einmarsch der Äthiopier in Mogadischu 2007 - unterstützt von US-Logistik und Aufklärung - hat demonstriert, wie leistungsfähig das System sein kann. Neu und sehr besorgniserregend ist die zivile Komponente von AFRICOM. Erstmalig sollen die Militärs in der AFRICOM-Zentrale auch zivile Aufgaben von Nichtregierungsorganisationen koordinieren. So gehört zu den AFRICOM Aufgaben die Polizei-Ausbildung für den Anti-Terror-Kampf, US-Programme zur Bekämpfung des HIV-Virus bis hin zur "Kapazitätsbildung" in den öffentlichen Verwaltungen. Die zivilen Aufgaben von AFRICOM haben die US-Hilfsorganisationen höchst alarmiert. Sie befürchten eine Militarisierung der nichtstaatlichen Entwicklungshilfe und eine drastische Einschränkung ihrer Handlungsspielräume und Kompetenzen. Wie sehr die Administration in Washington in die Entwicklungszusammenarbeit eingreift, zeigt sich am Beispiel der Gesundheitsversorgung in Afrika: US-amerikanische NGO`s dürfen jetzt nur von der US-Regierung "zugelassene" Medikamente US-amerikanischer Pharma--Konzerne verwenden, obwohl indische Generika für AIDS-Kranke wesentlich billiger sind und damit viel mehr Kranke versorgt werden könnten. Die enge Verzahnung von militärischen Aufgaben mit zivilen lassen sich auch gut bei den deutschen Soldat/innen in Afghanistan beobachten. Es wird immer wieder betont, dass die Soldat/innen insbesondere auch für den zivilen Aufbau des Landes wichtig sind. Als LINKE lehne ich eine solche Verzahnung absolut ab.
T.M.: Eine letzte Frage. Wer wäre der bessere Präsident? McCain oder Obama? Und glaubst Du an einen Wandel der US-Militärpolitik durch Deinen Favoriten?
A.G.: Vermutlich Obama, aber keiner von beiden ist eigentlich mein Favorit, denn Obama hat schon angekündigt, dass er die Zahl „seiner“ Soldat/innen in Afghanistan erhöhen wird. Darum glaube ich auch nicht an einen großen Wandel der US-Militärpolitik. Auch andere Andeutungen lassen nichts Gutes erhoffen, aber er sollte wohl besser als Bush sein. Aber das ist ja auch nicht schwierig.
T.M.: Vielen Dank für das Gespräch und eine gute Reise nach Berlin
Das Interview wurde am 05.10.2008 von Thomas Mitsch, Mitglied der BAG rote reporter/reporterinnen, Die Linke., in Stuttgart geführt. Annette Groth ist Mitglied der Attac - bundesweite EU AG und AG International und Mitglied des Landesvorstandes der Partei Die Linke. Baden-Württemberg
Quelle: Eigener Bericht
AutorIn: Mitsch, Thomas