Antikriegstag 2008: »Bürgerliche Friedensbewegung« und linke Antimilitaristen raufen sich zusammen – für Abzug aus Afghanistan, gegen die NATO
Allein die Homepage des »Netzwerks Friedenskooperative« zeigt 179 Veranstaltungen der Friedensbewegung zum heutigen Antikriegstag zeigt an. Die Bandbreite reicht von Erinnerungen an den Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 bis zur aktuellen Kriegspolitik der Bundeswehr. Mit der Friedensbewegung scheint also alles in Ordnung zu sein: Sie ist vielerorts aktiv, erfreut sich stabiler Strukturen und guter politischer Kontakte und ihre Forderungen, insbesondere nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, sind mehrheitsfähig.
Dennoch sieht Peter Strutynski vom Bundesausschuß Friedensratschlag die Friedensbewegung noch nicht aus der »Talsohle« herausgekommen: »Wir haben noch keinen Massenzulauf«, sagt er im jW-Gespräch. Solange das so bleibt, meint auch Monty Schädel von der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), werde die Bundesregierung den Kriegskurs beibehalten – und das zu verhindern, sei schließlich die wichtigste Herausforderung.
NATO-Frage
Deswegen werben die antimilitaristischen Gruppen derzeit nach Kräften für zwei Demos am 20. September: Unter dem Motto »Dem Frieden eine Chance, Truppen raus aus Afghanistan« gibt es Demonstrationen in Berlin und in Stuttgart. Im vergangenen Jahr waren dabei in Berlin nach Veranstalterangaben rund 10000 Menschen auf der Straße, diesmal hofft man auf mehr. Daß am vergangenen Wochenende 2000 Menschen in Büchel für den Abzug der Atomwaffen demonstriert haben, mache jedenfalls Mut.
»An die Afghanistan-Frage schließt sich die NATO-Frage an«, so Strutynski: Die Demo am 20. September soll Schwung verleihen für große Proteste anläßlich des NATO-Gipfels im Frühjahr 2009. In Strasbourg und Kehl feiern die nordatlantischen Kriegsherren den 60. Geburtstag ihres Bündnisses –dabei sollen sie nicht ungestört bleiben.
Sowohl zur Afghanistan-Demo als auch zu den NATO-Protesten mobilisieren »bürgerliche« und dezidiert antikapitalistische Strömungen gemeinsam, wenn auch mit verschiedenen Aufrufen. So wird es am 20. September in Berlin einen antikapitalistischen Block geben, der, so heißt es im Aufruf, die kapitalistische Wirtschaftsordnung als »Grund für die Unsicherheit und Misere großer Teile der Weltbevölkerung« betrachtet. Kriege seien »im globalen Kapitalismus keine Ausnahme, sondern die Regel«.
Spielt also die Trennung zwischen »traditioneller« Friedensbewegung einerseits und anderen sozialen Bewegungen andererseits keine Rolle mehr? Euphorisch zeigt sich Monty Schädel nicht, er ist aber optimistisch, daß die Anti-NATO-Mobilisierung strömungs- und spektrenübergreifend erfolgen werde. Am 7. September findet im Gewerkschaftshaus in Frankfurt am Main ein erstes größeres Koordinierungstreffen statt, zu dem DFG-VK, ATTAC, Friedensratschlag und bye-bye-NATO-Bündnis einladen, gleichsam im Gegenzug werde die DFG-VK an den Hamburger Perspektiventagen im Oktober teilnehmen, so Schädel.
Praktische Intervention
Der linke Flügel der antimilitaristischen Bewegung versucht derweil, das Tätigkeitsspektrum über reine Demos auszuweiten. Am weitesten geht dabei das »Einstellungsbündnis«, das Solidarität mit denjenigen einfordert, die als Angehörige einer »militanten gruppe« versucht haben sollen, Bundeswehrfahrzeuge anzuzünden. Das »Unschädlichmachen von Kriegsmaterial« sei »eine konkrete Abrüstungsinitiative«, heißt es im Aufruf. »Gegen die stetige Militarisierung der Gesellschaft setzen wir auf praktischen Antimilitarismus von unten.« Das sehen längst nicht alle der »traditionellen« Organisationen so, allerdings hat sich eine Vielzahl »bürgerlicher« Organisationen – wenn auch mit eher pazifistischen und bürgerrechtlichen Motiven –mit den Angeklagten solidarisiert.
Auf praktische Intervention setzen auch zunehmend meist junge Aktivisten, die Rekrutierungs- und Reklameveranstaltungen der Bundeswehr stören und in Arbeitsämtern, bei öffentlichen Gelöbnissen oder bei Konzerten der Bundeswehr-BigBand den Soldaten den Auftritt vermasseln. So heißt es am 10. September »Bye-bye Bundeswehr« im Kölner Arbeitsamt. Launig verkündet der Aufruf, beim letzten Werbeversuch seien die Wehrdienstberater »mit rosa eingefärbtem Mehl und einem Eimer dreckigem Putzwasser so stürmisch begrüßt worden, daß ihre sommerliche Ausgehuniform nicht mehr diensttauglich war«.
Nicht minder praktisch, aber ganz anders gelagert dagegen die jüngste Initiative der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer: Sie hat eine 48seitige »Handreichung« herausgegeben, die Tips zur (nachträglichen) Kriegsdienstverweigerung von Soldatinnen und Soldaten beinhaltet (eak-online.de).
Von Frank Brendle
Source: http://www.jungewelt.de/2008/09-01/012.php