Die Ablehnung der NATO und ihres Krieges in Afghanistan wird auch in Frankreich stärker. Ein Gespräch mit Arielle Denis
Interview: Johanna Baumann, Frank Brunner
Arielle Denis ist Vizepräsidentin der größten französischen Friedensorganisation »Mouvement de la Paix«
Sie kommen aus der Nähe von Paris. Warum besuchen Sie eine Konferenz der deutschen Friedensbewegung?
Dieser Kongreß zu Afghanistan ist sehr wichtig. Ich glaube, daß wir hier die Möglichkeit haben, eine neue, europäische Bewegung zu schaffen. Es geht darum, daß wir Argumente und Ideen austauschen und klare Ziele formulieren. Ein erstes Ergebnis ist das gemeinsame Papier von »Mouvement de la Paix« und dem deutschen Bundesausschuß Friedensratschlag zum NATO-Jubiläumsgipfel 2009 in Kehl und Strasbourg, das wir am Samstag verabschiedet haben.
Was ist als nächstes geplant?
Die nächste wichtige Etappe ist das Europäische Sozialforum im schwedischen Malmö, das vom 18. bis 21. September dieses Jahres stattfindet. Dort soll die bisherige Zusammenarbeit der europäischen Friedensbewegung fortgesetzt werden.
Welche Ziele verfolgt »Mouvement de la Paix«?
Unsere Organisation gibt es seit 1949. Wir haben zirka 6000 Mitglieder, die in insgesamt 150 lokalen Aktionskomitees organisiert sind. Ziel ist es, vor Ort eine Friedenskultur zu schaffen. Beispielsweise haben wir vor den Kommunalwahlen in Frankreich im März 2008 an alle Kandidaten Briefe verschickt, in denen wir sie auf das Netzwerk »Bürgermeister für den Frieden« hingewiesen haben, das auf eine Initiative des Oberhauptes der japanischen Stadt Hiroschima zurückgeht. Zentraler Punkt dieser Aktion ist die Forderung nach Abschaffung aller Atomwaffen bis zum Jahre 2020. Wir thematisieren aber auch den französischen Einsatz in Afghanistan.
Wie beurteilen Sie die Afghanistan-Politik Ihrer Regierung?
Präsident Nikolas Sarkozy hat im Wahlkampf nicht viel über die internationale Politik gesprochen. In Frankreich gibt es ein Sprichwort: Mit internationalen Problemen kann man keine Wahl gewinnen, man kann mit ihnen nur verlieren. Allerdings hat Sarkozy damals gesagt, daß er die französischen Truppen aus Afghanistan zurückholen will. Am 14. Juli 2007, dem französischen Nationalfeiertag, hat Sarkozy seine erste Rede zur Außenpolitik gehalten. Von Rückzug sagte er plötzlich nichts mehr. Im Gegenteil. Er sprach von Solidarität mit der »transatlantischen Familie«. Im März 2008 verkündete er dann, daß sich Frankreich wieder enger an die NATO binden werde und 700 französische Soldaten am Krieg im Hindukusch teilnehmen sollen.
Wir wurde dieser radikale Politikwechsel in der Bevölkerung aufgenommen?
Mehrheitlich mit Ablehnung. Mehr als 68 Prozent der Franzosen sind gegen Sarkozys Vorhaben, wieder in die militärischen Strukturen der NATO einzutreten. Die Frage, die wir uns stellen, ist, wie man die Bevölkerung motivieren kann, sich gegen diese neue Nähe zur NATO zu engagieren.
Und wie kann man die Menschen gegen diese Politik mobilisieren?
Gute Frage. (lacht) Wir müssen als Friedensbewegung den Dialog mit der Bevölkerung suchen. Wir werden in Frankreich Petitionen organisieren und uns auch Verbündete außerhalb des Landes suchen. Ab 1. Juli übernimmt Frankreich die EU-Ratspräsidentschaft. Das ist eine gute Möglichkeit, auf Sarkozys kritiklosen Proamerikanismus hinzuweisen. Am 11. Juni organisieren wir im Vorfeld der offiziellen Afghanistan-Konferenz, die in Paris stattfindet, eine Gegenveranstaltung unter dem Motto: »Ja zur Solidarität, aber nein zum Krieg«.
Haben Sie denn Hoffnung, daß solche Aktionen etwas bewirken?
Ja. In Europa gibt es derzeit eine erhöhte Sensibilität für das Thema Krieg. Das hat unter anderem etwas mit dem von den USA geplanten Raketenschutzschild in Tschechien und Polen zu tun. Ich wünsche mir aber auch, daß die Presse bestimmte Wahrheiten, etwa über Afghanistan, nicht länger verschweigt. Mein Engagement für die Friedensbewegung resultiert beispielsweise aus den Bildern, die ich als junger Mensch über den Krieg der US-Amerikaner in Vietnam gesehen habe.
Source: http://www.jungewelt.de/2008/06-09/061.php