“Das ständige Nein macht uninteressant”
Dieter Rucht ist Protestforscher und Ko-Leiter der Forschungsgruppe “Zivilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung in Europa” am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
sueddeutsche.de: Herr Rucht, die Protestbewegung beim G-8-Gipfel in Italien scheint eingeschlafen zu sein. Attac-Deutschland hat schon gar nicht mehr versucht zu mobilisieren. Woran liegt das?
Dieter Rucht: Es ist eine gewisse Müdigkeit festzustellen.
Es ist schwer bis unmöglich, zu jedem solcher Treffen an jedem Ort der Welt massenhaft Leute zu mobilisieren. Noch schwerer ist es, Mobilisierungserfolge der Vergangenheit immer aufs Neue zu überbieten. Der Bewegung aber wird als Rückschritt ausgelegt, wenn sie das nicht schafft. So gesehen ist es klüger, wenn einige Organisationen sagen, wir strengen uns nicht bei jedem denkbaren Anlass an.
sueddeutsche.de: Was ist der Unterschied zum G-8-Gipfel in Heiligendamm, bei dem es ja massiven Protest gegeben hat?
Rucht: Es war der erste G-8-Gipfel auf deutschem Boden, seit die Globalisierungskritik zu einer wirklichen Bewegung geworden ist. Da mussten auch mal die deutschen Gruppen zeigen, dass sie kräftig mitmischen konnten. Es gab dafür einen nahezu zweijährigen Vorbereitungsprozess. Das lässt sich nicht ohne weiteres wiederholen.
sueddeutsche.de: Dann wären jetzt die italienischen Globalisierungskritiker in der Pflicht gewesen, den Protest zu organisieren. Viel passiert ist da nicht.
Rucht: Auch da spielt das Moment der Erschöpfung eine gewisse Rolle. Zudem steckt den italienischen Aktivisten noch die Erfahrung des G-8-Gipfels von Genua in den Knochen, bei dem die Polizei mit zum Teil brutaler Härte gegen die Demonstranten vorgegangen ist.
sueddeutsche.de: Spielt auch der Ort des G-8-Gipfels im Erdbebengebiet von L’Aquila eine Rolle für die Protestmüdigkeit?
Rucht: Da kommt eine starke Symbolik zum Zuge. Es erscheint wie ein Missbrauch dieses Ortes, an dem vor kurzem viele Menschen ums Leben gekommen sind, militant zu demonstrieren und die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Gewaltproteste vor dieser Kulisse hätten auch die Menschen nicht goutiert, die aufgeschlossen für die Protestbewegung sind.
sueddeutsche.de: Das große Feindbild George W. Bush ist weg. Welche Rolle spielt der Obama-Faktor?
Rucht: Obama nimmt den Kritikern ein Stück weit den Wind aus den Segeln. Aber das ist nur einer von vielen Faktoren. Hinzu kommt die Öffnung der G8. Deutliches Zeichen ist die Erweiterung zur G-20-Runde, die auch die Schwellenländer einbezieht. Die G-8-Gipfel drehen sich nicht mehr nur um ökonomische Fragen. Es geht auch um Klima, Armut und Hunger. Zumindest auf der rhetorischen Ebene ist die G 8 den Demonstranten entgegengekommen.
sueddeutsche.de: Nein sagen reicht also nicht mehr?
Rucht: Richtig. Das ständig wiederholte Nein macht die Bewegung uninteressant. Mit purem Protest ohne konstruktive eigene Vorschläge sind die Demonstranten schnell im Abseits. Das spüren sie auch selbst. Da laufen jetzt auch entsprechende Diskussionen. In der Ablehnung sind sich alle schnell einig. Aber wie es anders gemacht werden kann, ist umstritten.
sueddeutsche.de: Müssen sich dann militante Demonstranten nicht ohnehin andere Spielwiesen suchen?
Rucht: Auffällig ist schon, dass viele jetzt verdeckte Einzelaktionen starten, wie das nächtliche Abfackeln von Autos. Da bleiben sie unerkannt. Auf offener Straße brauchen sie den Schutz der Masse von Demonstranten. Wenn die fehlen, werden militante Aktionen äußerst riskant.
sueddeutsche.de: In den Knast wollen die Militanten offenbar auch nicht.
Rucht: Nein, das wollen sie durchaus nicht. Sie müssen ihr Risiko begrenzen.
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