Die italienische Mobilisierung zum G8-Gipfel in L’Aquila läuft bisher eher schleppend
Matthias Monroy ist Redakteur beim Informationsportal Gipfelsoli und selbst globalisierungskritischer Aktivist. Auf dem G8-Gipfel in Genua 2001 wurde er Zeuge der Polizeigewalt und ist heute einer der Nebenkläger in den laufenden Verfahren gegen Polizeibeamte. Gipfelsoli unterstützt die derzeitige Mobilisierung gegen den G8-Gipfel, der vom 8. bis 10. Juli in L’Aquila – und damit wieder in Italien – stattfindet. Das Infoportal versteht sich als Teil der internationalen Anti-G8-Bewegung. Mit Monroy sprach Susanne Götze.
ND: Das erste Mal nach den Protesten in Genua 2001 findet der G8-Gipfel wieder in Italien statt: Wo steht die Anti-Gipfel-Bewegung heute?
Monroy: Die Proteste von Genua kann man nicht ohne Seattle, Prag und Göteborg verstehen. Diese drei Jahre waren der Höhepunkt der globalisierungskritischen Bewegung. Danach wurde vieles anders. Das hat mit den Repressionen zu tun, die gerade in Genua sehr heftig waren. Aber auch damit, dass die EU und auch die G8 danach Programme aufgesetzt haben, wie man die Proteste besser handhaben kann. Es wurde dann damit angefangen, die Gipfel besser abzusichern, sie in der Peripherie stattfinden zu lassen, wo sie schlechter erreichbar sind oder die Treffen nicht mehr am Wochenende abzuhalten, sondern mitten in der Woche.
Wie sieht es mit der italienischen Linken aus?
In der italienischen Linken hat sich eine Menge verändert. Nach Genua hat sie sich gestritten und gespalten. Linke, die Sprecher der Bewegung waren, sind nach den Protesten in die Parlamente gewechselt. Seit der Wahl Berlusconis im letzten Jahr ist die Situation der Linken in Italien noch schwieriger.
Bis jetzt hört man in Deutschland nicht viel von geplanten Protesten gegen den G8: Ist man hierzulande »gipfelmüde« geworden?
Nein, das glaube ich nicht. Es gab keine Signale einer Mobilisierung aus Italien. Das hat dazu geführt, dass sich bis jetzt auch in Deutschland nicht viel getan hat. Lange Zeit dachte man, dass der Gipfel auf der Insel La Maddalena abgehalten wird und es deshalb überhaupt keine internationale Mobilisierung geben wird. Der Gipfel schien weit weg und niemand hat sich so richtig dafür interessiert. Das hat sich schlagartig geändert, als das Treffen ins Erdbebengebiet nach L’Aquila verlegt wurde. Plötzlich hat alle Welt neugierig nach Italien geschaut. Das Problem der Italiener ist aber, dass es keinen Träger für eine internationale Mobilisierung gibt. Die Linke dort ist paralysiert.
Der Gipfel wird nun im Erdbebengebiet der Abruzzen stattfinden – wie reagieren die betroffenen Einwohner auf den G8?
Vor Ort gibt es eine große Unzufriedenheit mit der Regierung. Über 30 000 Leute leben noch in provisorischen, militarisierten Camps. Sie erhalten bei weitem nicht die Entschädigungen, die ihnen versprochen wurden. Oft werden ihre Häuser an Orten wieder aufgebaut, wo sie gar nicht leben wollen, es wurden Hilfen gestrichen und sie haben existenzielle Ängste. In dieser bergigen Region wird es ab August schnell kühler und die Leute befürchten, dass ihre Häuser nicht fertig werden – und nun wird ihnen dort so ein Luxus-G8-Treffen vor die Nase gesetzt. Deshalb wollen die Einwohner in L’Aquila ihr Anliegen in den Kontext der Anti-G8-Mobilisierung stellen. Sie fürchten aber militante Demonstrationen. Diese Angst vor einem »Black Block« (Schwarzer Block, d. R.) wird vor allem von der Polizei und den Medien geschürt.
Organisieren die Einwohner und die Anti-G8-Aktivisten also zusammen den Protest?
Ja, teilweise. Das Scharnier dieser Zusammenarbeit sind linke Solidaritätsgruppen. Diese engagieren sich in Italien immer, wenn es solche Katastrophen gibt. Auch die Linke ist dann meist mit vor Ort und organisiert Hilfe. Diese Gruppen werden aber gerade massiv von der Regierung als Ableger des »Black Block« diskriminiert.
Was genau ist in den kommenden Wochen geplant?
Es wird am 10. Juli eine gemeinsame Abschlussdemonstration geben. Ich fürchte allerdings, dass es viele Leute gar nicht zu der Demo schaffen werden. Wenn sich die Aktivisten von Rom aus auf den Weg machen, werden sie wahrscheinlich aufgehalten und schikaniert. Die Menschen aus L’Aquila haben betont, dass sie eine friedliche Demonstration wollen. Am 6. Juli soll zum Gedenken – drei Monate nach dem Erdbeben – eine Menschenkette und ein Fackelzug stattfinden. Nächste Woche soll es eine antimilitaristische Demo in Vincenza gegen den dortigen NATO-Stützpunkt geben. Die US-Armee will aus diesem Anlass 1000 Fallschirmjäger einsetzen. Dann wird es noch ein dreitägiges Forum auf Sardinien geben – eine Art Gegengipfel. Hinzu kommen landesweit verteilte kleinere Aktionen und Demonstrationen.
Wird es während des G8 ähnliche Camps wie vor zwei Jahren in Heiligendamm geben?
Nein. Alle Unterbringung muss von den Aktivisten selber organisiert werden. Aber viele Organisationen haben gute Kontakte nach Italien. Das ist ähnlich wie beim G8-Gipfel in Russland 2006. Auch dort ist viel über persönliche Kontakte gelaufen. Es wird aber Infopunkte und Anlaufstellen in sozialen Zentren geben. Es gibt also eine minimale Infrastruktur. Aber diese ist nicht vergleichbar mit so großen Gipfeln wie in Genua oder Heiligendamm.
Wie steht es um die Sicherheitslage rund um das Treffen?
Zum Sicherheitsprogramm gehört unter anderem die Aussetzung des Schengener Abkommens, die Einführung von Grenzkontrollen und der Austausch von Datensätzen zwischen den nationalen Polizeien. Die Grenzkontrollen haben letzten Sonntag begonnen – das ist sehr früh. Die Einzigen, die davon gerade wirklich betroffen sind, sind illegalisierte Migranten. In der Gegend selbst gibt es ohnehin Zutrittsverbote wegen des Erdbebens. Diese werden nun noch erweitert. Die Strecke von Rom nach L’Aquila ist hochgesichert. Der Gipfel wird zudem nicht nur von Militär-Flugzeugen wie F16 und Eurofightern gesichert, sondern auch von Predator-Drohnen – diese wurden im Irak und in Afghanistan eingesetzt.
Gibt es im Vorfeld Versuche der italienischen Sicherheitsbehörden, die Proteste zu behindern?
Es wurden vor kurzem Leute wegen Telefonmitschnitten verhaftet. Sie hatten nur gesagt, dass man zum Gipfel mal »was richtig Großes« machen müsste. Das ist exakt dieselbe Formulierung, die den verhafteten Aktivisten vor Heiligendamm zum Verhängnis wurde. Den italienischen Aktivisten wird vorgeworfen, sie hätten geplant, den G8 mit präparierten Modellflugzeugen anzugreifen und die Roten Brigaden neu aufzubauen.
Wie wird sich die Polizei dieses Mal bei den Protesten verhalten?
Nach offiziellen Ankündigungen wollte man der Öffentlichkeit eine reformierte Polizei präsentieren, damit nichts mehr an Genua erinnert. Aber de facto wurde die Polizei nicht reformiert – die Besetzung ist die gleiche.
Source: http://www.neues-deutschland.de/artikel/151539.die-linke-ist-paralysiert.html