von Michela Murgia
13.06.2009
Ich hatte schon mal ironisierend darüber geschrieben. Das mach ich manchmal, wenn ich meine Wut los werden muss. Diesmal aber bin ich meine Wut nicht los geworden, weil nicht nur fünf Personen zu instrumentellen Zwecken wegen dem Vorwurf des Terrorismus in Haft sind, sondern weil die Sache dermaßen klar ist, dass selbst im letzten Pfarrgemeindeninfoblatt Spottartikel erscheinen müssten. TG1, das vom Niveau der Informationstiefe her nicht viel höher liegt, hat einen einzigen Beitrag** über die Verhaftung ausgestrahlt und es handelt sich dabei um einen Film, den man in Endlosschleife an allen Journalistenschulen Europas zeigen möchte, damit die Reporter von morgen lernen können, wie Information nicht gemacht gehört.
Titel: Antiterrorblitz, fünf Verhaftungen in Rom. Die Journalistin interviewt Lamberto Giannini, seines Zeichens leitender Digos-Beamter, und wir ahnen, dass er der Ermittlungschef ist.
Journalistin: Ihr seid sehr vorsichtig gewsen, ihr habt nichrt von einem geplanten Anschlag gesprochen sondern wovon?
Digos: Es gab eine gewisse Aufmerksamkeit für den G8 Gipfel, als er auf La Maddalena geplant war, man hatte sich eine Vorstellung gemacht, man studierte die Sicherheitsmaßnahmen, aber man war, zumindest für das, was wir festgestellt haben, im Anfangsstadium.
Der Funktionär sagt ganz klar, dass fünf Personen verhaftet wurden, nur weil sie "eine gewisse Aufmerksamkeit für den G8 Gipfel" hatten - was man getrost auch von mir behaupten kann - aber dass es noch kein klares Anschlagsvorhaben gab. Die Vermutung, dass es "ansatzweise" eine Idee gab, rührt daher, dass man sich "eine Vorstellung gemacht" hatte, "die Sicherheitsmaßnahmen studierte". Handelt es sich um eine prophetische Intuition, oder heißt das, dass der Plan der Sicherheitsmaßnahmen auf La Maddalena bereits abgeschlossen und im Besitz von mindestens einer dieser fünf Personen war? Die Antwort lässt sich erahnen, die journalistin aber stellt nicht einmal diese naheliegende Frage. Der Bericht geht anschließend mit einer Stimme aus dem Off weiter, die eine Reihe von sehr interessanten Bildern begleitet.
"Ein Brigatista geht nie in Rente, er stirbt als Brigatista. So spricht Luigi Fallico, das 57-jährige ehemalige Mitglied der nuclei comunisti combattenti***, römischer Biderrahmenbauer. Zusammen mit weiteren vier wollten sie nach Ansicht der römischen Staatsanwaltschaft den von den Roten Brigaden eröffneten Weg neu beschreiten. Die Vermutung ist, dass sie zum später in die Abruzzen verlegten G8 auf La Maddalena zuschlagen wollten. Jedenfalls dachten sie daran, irgendetwas Großes zu machen und Fernbedienungen zu benutzen. Das geht aus den Abhörmitschnitten hervor, die ein weiteres Mal bei den Ermittlungen entscheidend sind. Die in Genua und in Rom Verhafteten werden sich mit der Auffindung von Munition, einer Handgranate und Waffen, von denen einge mit Rost bedeckt waren, des Terrorismus und der Mitgliedschaft in einer bewaffneten Bande verantworten müssen. Eine Zelle, die in der Lage war, sich nach den für Brigatisti typischen Mustern von einer Stadt in die nächste zu bewegen, und Dutzende Unterstützer um sich hatte, sagen die Ermittler. Luigi Fallico hatte in der Vergangenheit die Brigatistin Desdemona Lioce getroffen".
Es gibt also Abhörmitschnitte. Diese gerade am Tag, an dem der Senat sie kassiert**** hat auf triumphale Weise als "entscheidend" zu bezeichnen, ist sadistisch. Von diesen Abhörmitschnitten wird jedoch lediglich wiedergegeben, dass ein Brigatista nun mal, was eine Straftat ist, ein Brigatista ist, ganz wie nach dem Motto: la mamma è sempre la mamma*****. Abschnitte der gefürchteten subversiven Planungen werden nicht bekannt gegeben und der Grund ist, dass sich nichteimal in den abgehörten Gesprächen ein Beweis dafür finden lässt, dass sie je existiert haben. Das Gefühl, dass der Anfangsverdacht auf völlig willkürliche Elemente fußt bestätigt sich.
Es wird gesagt, dass sie "zuschlagen" wollten - mangels eines konkreten Planes versteht man nicht, ob sich die "Sache" auf La Maddalena oder in den Abruzzen hätte ereignen sollen. Um keine Fehler zu machen, lässt man durchblicken, dass sie es unabhängig vom Ort getan hätten, und um den Eindruck einer konkreten Gefahr zu erwecken behauptet die Journalistin, dass die 5 an etwas "großes" "dachten", und daran, sogar "Fernbedienungen"****** zu benutzen. Weil Fernbedienungen dazu dienen, Sprengstoff in die Luft zu jagen, müsste diese Vermutung durch die Auffindung sowohl von irgendwelchen Fernbedienungen als auch von "großen" Mengen explosionsfähigen Materials. Dem ist aber nicht so: in den Bildern sieht man drei verrostete Maschinenpistolen, ein einziges Exemplar einer altertümlichen Handgranate und ein Beutel, in dem wenn es hoch kommt, 60 Patronen waren. Die Stimme aus dem Off bestätigt, dass sich die Ausbeute der Auffindung der Pulverkammer der mutmaßlichen gefährlichen bewaffneten Bande auf das beschränkt, was da auf diesem Tisch liegt.
Wie kann man also behaupten, dass sie Brigatisti sind? Ganz einfach: man erklärt, dass die "Zelle" in der Lage war, sich von einer Stadt in die nächste zu bewegen, nach "für Brigatisti typischen Mustern".
Was sind das für Muster? Das wird nicht erläutert, ich bin aber beunruhigt: vergangenen Monat bin ich sechs Mal geflogen und mit fünf Zügen gefahren, um gar nicht vom Auto zu sprechen: vermutlich bewege ich mich, ohne es zu ahnen, nach brigatistischen Mustern. Der Beitrag weist darauf hin, dass die fünf "Dutzende Unterstützer" gehabt hätten. Es sei denn, es waren Personen gemeint, die dich bei sich aufnehmen, wenn du unterwegs bist, ode dich im Auto mitnehmen, oder auf eine Pizza einladen. Solche Leute, die man normalerweise Freunde nennt, werden zu "Unterstützern", wenn du dich, um sie zu besuchen, "nach für Brigatisti typischen Mustern" bewegt hast. Die Sache wird mit dem letzten, dem Abschluss des Interviews mit dem Digos-Funktionär dienenden Satz der Journalistin, immer rätselhafter: es wird uns mitgeteilt, dass der mutmaßliche Bandenchef keine geringere als Nadia Desdemona Lioce kannte. Der Polizist bestätigt.
Digos: man hat ihm vorgeworfen, dass er Mitglied in den BR PCC von Desdemona Lioce und Mario Galesi gewesen ist. Es ist nicht bloß eine Bekanntschaft...
Die Frage, die dann jeder gestellt hätte lautet: Wenn Fallico den Ermittlern wegen der Mitgliedschaft in den BR PCC von Lioce und Galesi schon bekannt war, warum sitzt er mit der Lioce, die vor sage und schreibe sieben Jahren verhaftet wurde, in Haft? Die voraussehbare Antwort lautet, dass Fallico nie als Tatverdächtiger in jenem Ermittlungsverfahren verstrickt war. Er kannte die Lioce, sonst nichts, und einen Brigatista kennen heißt nicht, dass man selbst einer ist. Die Frage wird natürlich nicht gestellt, weil es die Stunde des Regierungsbeitrags unvergleichlichen Ministers Maroni, der gegen jede vorherige Angabe des Digos-Funktionärs beschließt, sich wie der Sheriff von Hazzad auszudrücken:
"Diese Personen, die Verhaftet wurrden, planten die Reorganisation des bewaffneten Kampfes in Italien in Form des Wiederaufbaus der Roten Brigaden, und sie bereiteten einen Anschlag auf den kommenden G8 auf La Maddalena und dann in L' aquila. Wir haben diesen Versuch vereitelt und die Neukonstituierung der Roten Brigaden verhindert".
So wird ein dermaßen hypothetischer Gedanke, dass er selbst von den Ermittlern als im Anfangsstadium bezeichnet wurde, im Munde Maronis geradezu zum organisierten Anschlag samt Erwachen des bewaffneten Kampfes auf dem gesamten italienischen Territorium und dem gleichzeitigen Wiederaufbau der Roten Brigaden. Wie es möglich sein soll, all das mit fünf Personen - darunter drei Rentner - einer rostigen Handgranate und drei erodierten Maschinenpistolen anzustellen, ist Stoff für MCGyver storyboarder. Es folgt eine paradoxe Frage, in der die Journalistin, an der Unschuldsvermutung vorbei die fünf Verhafteten bereits als "Terroristen" bezeichnet:
Journalistin: Da gibt es einen Nachnamen, der sofort ins Auge springt, und der lautet Morlacchi... der Vater war ein Ex-Brigatista, müssen wir also denken, dass es eine Verbindung zwischen den verhafteten Terroristen und den alten BR******* gibt?
Sicher: der Darwinismus hat es uns gelehrt: von brigatistischen Vätern stammen immer brigatistische Kinder. Maroni weiß das sehr gut, wie man sieht:
Bobo******** : ja, unbedingt, es gibt bekannte Namen, aber auch bisher unbekannte und das ist etwas, das Besorgnis erregt, das beweist, dass es nicht nur die Alten sind, die dabei sind, zu versuchen, irgendwas aufs Neue zu machen, das sie.... das ihnen in der Vergangenheit nicht gelungen ist, zu machen, aber es gibt... den Versuch, neue Angliederungen zu diesem kriminellen Projekt der Roten Brigaden zu rekrutieren.
Der Idiotie wegen ist diese Antwort einfach entzückend. Unter den Verhafteten sind "bekannte Namen", weil es sich um Kinder von Brigatisti handelt, aber es gibt sogar - und das ist das, was Besorgnis erregend ist - der Polizei nicht bekannte Personen. Die Bloße Existenz von gemeinen, nicht vorbestraften Personen wird für Maroni zum Beweis, dass die Roten Brigaden neue Rekruten unter über jeden Verdacht stehende Genies der Tarnung. Die Journalistin vollendet die komische Oper mit einer Frage, die alleine den Bericht wert wäre.
Journalistin: Sie planten eklatante Aktionen mit Blick auf den G8. Was sollen wir denn mit Blick auf den G8 fürchten, womit sollen wir rechnen?
Um auf der gleichen Sinnebene zu bleiben, könnte Maroni sagen: " der Himmel wird sich rot färben, ein Lava-Regen wird fallen, Weltraum-Hellebarden werden fliegen und der Engel der Exterminierung wird mit einem flammenden Schwert erscheinen. Seien sie aber unbesorgt, ich werde ihnen mit meinem Leib zum Schild werden". statt dessen erklärt er:
Bobo: Wir haben ein Sichereitssystem ausgerichtet, das absolut auf der Höhe ist. Wir heben das Schengener Abkommen auf, um zu vermeiden, dass Gewalltäter nach Italien einreisen... diese Aktionen, die sie gegen den G8 planten sind Aktionen... es waren, gewalttätige Aktionen... und es waren eklatante Aktionen, und es war eine ernste Sache, weil wir Waffen und Sprengstoffe gefunden haben...
Um also das zu bekämpfen, was bis hier als Wiederaufbau des inländischen Terrorismus präsentiert wurde, plant Maroni die Aufhebung des Schengener Abkommens, jenes Abkommen, das die Grenzübertritte von Außerhalb regelt. Genial. Vermutlich weil er gemerkt hatte, was für einen Schwachsinn er gerade verzapft hatte und wie sich der Beitrag in seiner Gesamtheit unbesorgt ebenso bezeichnen lässt, ogne das man fürchten müsste, damit zu übertreiben, bekräftigt er, dass wir vor den Gewalttätern geschützt sein werden, weil die, die wir verhaftet waren, Gewalttäter waren, das heißt, es war eine ernste Sache, wir haben WAFFEN und SPRENGSTOFFE gefunden... Ihr glaubt es nicht? Ich schwöre es! Es ist alles wahr!
Und was kommt als nächtes? Der Bericht über die kleine von einer Iguana adoptierte Hündin?
A.d.Ü.:
* Nachrichtensendung des 1. Kanals des italienischen Staatsfernsehens
** http://www.rai.tv/dl/RaiTV/programmi/media/ContentItem-a1e48aae-f006-4784-be5e-9c25c4cfe4b3.html?p=0
*** bekannten sich 1992 und 94 zu zwei Bombenattentaten auf das “NATO-Defense College” und auf den Unternehmerverband Confindustria, siehe: http://antifa.unihannover.tripod.com/rote_Brigaden.html
**** Die Regierung Berlusconi hat ein Gesetz verabschiedet, das den Einsatz von Telefonüberwachungsmaßnahmen einschränkt. Journalisten, die Abhörprotokolle veröffentlichen, werden mit bis zu drei Jahren Haft bedroht. Siehe: http://futurezone.orf.at/stories/285324/
***** Wörtlich: "Mutter ist nun mal Mutter", eine Redwendung, die auf das italienische Mutterbild der ewig fürsorglichen Genitrix anspielt, mit der die Kinder auf ewig verbunden sind.
****** Im original: "telecomando", was, allgemein, "Fernbedienung" bedeutet.
******* Brigate Rosse, Rote Brigaden
******** "Bobo" (Roberto) Maroni
Source: http://michelamurgia.altervista.org/index.php?option=com_content&task=view&id=365&Itemid=2&show=1