Home » L Aquila 2009  

 Recent

Watch also...



print
2009-05-24

L'Aquila, Provinzverwaltung Baghdad

Patrouillen, Checkpoints, nächtliche Überwachung aus dem Luftraum, rote Zonen und vom militärischen Verwaltungszentrum in Coppito ultrabeschützte "green zones". Ein Notstand, der wie ein Krieg angegangen wird.

von Pietro Orsatti aus L'Aquila

22. Mai 2009

Die Partie, die in diesen Tagen in den Abruzzen gespielt wird, ist unsäglich hart. Auf der einen Seite wird das Regelwerk, das den Staat zusammenhält, über Dekrete und Notstandsverwaltung verändert, auf der einen Seite wird wahrscheinlich das Gleichgewicht, das den Pdl* und die Regierung aufrecht erhält, neu ausgerichtet.

Bild: Berlusconi

In L'Aquila wird vielleicht nicht alles ausgespielt, aber sehr viel: den Einsatz bilden die Frage der Entschädigungen, die Art und Weise, wie die örtliche Institutionen und Lokalverwaltungen entmachtet wurden, die Notwendigkeit, einem friedlichen Gebiet einen mit den Muskeln spielenden Zivilschutz aufzuzwingen, der angesichts der Militarisierung des Territoriums nicht sonderlich viel ziviles an sich hat.

System Baghdad. Es gibt die roten Zonen, es gibt die vom militärischen Verwaltungszentrum in Coppito ultrabeschützte "green zone", Patrouillen und Checkpoints allerorten und nächtlich Überwachung aus der Luft. Diesem durch eine Naturkatastrophe erzeugten Ausnahmezustand wird begenet, als ob man im Krieg sei, oder eher, als ob es um die Durchführung von militärischer Besatzung ginge.

"Desinformation, Entmachtung der Gemeinschaften, Arroganz des Staatsekretärs Bertolaso, der jedenfalls allein, als einziger Ansprtechpartner der Abruzzer zurückgelassen wurde, bei Verhandlungen mit lokalen Verwaltern. Bertolaso, der in die Ecke gedrängt Versprechungen macht und sich verpflichtet, bis der Ministerrat punktgenau alles rückgängig macht. Ich hoffe, dass es dabei nicht um ein Spiel der Parteie geht" Das sagt Alvaro Jovannitti, ehemaliger Abgeordneter und Kpi-regionalsekretär in 70er Jahren, einer der wenigen Träger historischer Erinnerung im Territorium. Er glaubte, seine Rentenzeit genießen zu können, er wollte sich mit der Geschichte der Arbeiterbewegung in den Abruzzen beschäftigen, und die aktive Politik verlassen. Der Erdstoß vom 6. April hat ihn aber mitten ins Geschehen zurückgeworfen, so dass er Vollversammlungen und Treffen, besonders unter den Evakuierten an der Küste, die paradoxerweise inzwischen diejenigen sind, die unter noch größeren Schwierigkeiten leben, als die, die in ihrem Territorium in den Zeltstädten geblieben sind, mitgestaltet. "Einerseits hat die Regierung die Frist** des 30. Mai gesetzt, weil sie gemerkt hat, dass die Kosten für den Unterhalt von Tausenden in Prvatwohnungen oder Hotels weit höher sind als die, die aufkommen, wenn man die Evakuierten in den Camps hält. Ein Fristverlängerungsentwurf liegt auf dem Tisch, die bereitgestellten Mitteln entsprechen aber weniger als einem Drittel der von Hoteliers und Hausbesitzern geforderten Mindestsumme". In weniger als 15 Tagen könnte es also zur Rückkehr derer kommen, die es vorgezogen hatten, vorübergehend ihre ursprungsgemeinschaften zu verlassen - in Zeltstädte, die jetzt schon vollständig belegt sind und bei einer Hitze, die, sowohl auf hygienischer als auch auf psychischer Ebene, an die Grenzen der Belasbarkeit führt.

Eine weitere Tatsache, die in Rom schwer wiegt und immer schwerer wiegen wird ist, dass nach der unmittelbaren Katastrophenbewältigung nichts geschieht. Keine Baustelle, keinerlei nennenswerte Konsolidierungsarbeiten und, vor allem, kein einziges Häuschen, keine einzige Baracke***, nicht di geringste, auch nur provisorische Wiederaufbauhandlung. Bezüglich der Bestimmung der Areale, auf denen Wiederaufgebaut werden soll, hat derweil ein regelrechtes Armdrücken zwischen Zivilschutz und lokalen Behörden (mit Ausnahme der Regionalverwaltung, die in dieser Phase mit Abwesenheit glänzt) begonnen. Es ist dabei bereits zu einer, um es vorsichtig auszudrücken, peinlichen Situation gekommen. Die Gemeinden haben bestimmte Gebiete ausgewiesen, der Zivilschutz andere. Jeder blockiert dabei die Entscheidung des jeweiligen"Widersachers". Auch weil der Zivilschutz auf imperative Weise handelt, ohne technische Sachverständigenstellen und Verwaltungen zu konsultieren und, weil er, wie man vermutet, routinemäßig, jeden alternátiven Vorschlag ablehnt. Ein Beispiel dafür ist, was sich in Paganica, einem Vorort von L'Aqila zugetragen hat. Die Provinz Trento hatte die nötigen Gelder bereitgestellt und ein Wettbewerb für die Errichtung von 170 nach bioarchitektonischen Kriterien gebauten Häusern ausgeschrieben, die für das Dorf am Fuße des Aterno-Tals. Voraussichtlicher Übergabetermin: vor 20 Tagen. Der Zivilschutz hat, im völligen Alleingang, ein Areal bestimmt und sogar mit der Vorbereitung der Plattformen, auf denen die Gebäude gebaut werden sollte begonnen. Daraufhin rebellierte die Kommunalverwaltung. Sie wies ein anderes Areal aus, das in einer völlig anderen Gegend lag, was aber mit dem Ziel geschehen war, die Gemeinschaft rund um die Altstadt zusammen zu halten. Ergebnis? Die 170 Häuser werden an weitere Gemeinden im Tal gehen und in Paganica steht alles still. Sogar die Plattformen wurden zugeschüttet. Diese Art von "Zwischenfällen" findet derzeit überall statt, und überall wird jede Arbeit, jede Inspektion, jedes Gutachten verzögert. Bertolaso gibt nicht nach, die Lokalverwaltungen aber auch nicht. Und man wartet auf den G8.

Weil die wahre Partie über den G8 gespielt wird. "Nach dem G8 wird man verstehen, ob es das Geld wirklich gibt, ob sie bestimmt haben, wer den Wiederaufbau durchführen wird und wie und wo", erklärt Jovannitti. "Bis fahin werden sie alles still halten, darauf hoffend, dass die Lage nicht degeneriert". Das Netz aber, das die Exekutive über dieses Territorium gespannt hat, hält nicht, weil das hastige und zweideutige Dekret der Regierung die Evakuierten nicht wenig alarmiert. Auch seine revidierte Fassung beruhigt nicht, weil es dabei nicht zu "substituierenden" Änderungen gekommen ist, sondern bloß zu "ergänzenden". Es wurde die Formulierung "Vollständige Kostenrückerstattung" für Erstwohnsitz-Eigenheime eingefügt, ohne dass aber die 150000 Euro Grenze aufgehoben wurde. Als ob die Regierung des Staates beschlossen hätte, dass die Gesamtsumme 150000 Euro beträgt und basta. Und nicht nur. Die Aufteilung dieser Gelder wurde nicht verändert, von denen nur 50000 als Zuschüsse über Verlustkonto abgerechnet werden sollen, während der Rest über vergünstigte Baussparverträge und Steuerausgleiche gedeckt werden soll. "Buchaltergetrickse" ist die in den Zelten gängigste Definition für das Dekret. Und die Wut wächst. "Tremonti ist sehr geschickt gewesen", fährt Jovannitti fort, "er hat sich fern vom Rampenlicht gehalten, er hat sich nicht den hochtrabenden Versprechen Berlusconis und seiner Minister angeschlossen. Eine Distanzierung? Vielleicht. Oder aber, bloß die Notwendigkeit zu überleben, wenn die Sache aus dem Ruder laufen wird".

Es gibt jedoch andere, die beginnen, sich zu distanzieren. Es handelt sich um viele Lokalpolitiker von Mitterechts, von denen einige sogar über die Listen von Forza Italia**** gewählt wurden, die sich, von ihren Wählern unter Druck gesetzt, immer öfter dem Chor der Proteststimmen gegen das Dekret und die Militarisierung anschließen, der in dieser Phase von der Präsidentin der Provinz Abruzzen Pezzopane angestimmt wird, und, in zweiter Linie, vom Bürgermeister von L'Aquila Cialente. Zudem scheint das Unbehagen gegenüber der eigenen Regierungsmehrheit im Besonderen in de Reihen der gewählten Alleanza-Nazionale Repräsentanten zu wachsen. Wird dieses Kartenhaus bis zum G8 halten? Ja, wenn die Militarisierung hält (und Signale dagegen kommen selbst aus den Reihen der Ordnungskräfte und der Feuerwehrleute). Ja, wenn die "Rebellen" der Pdl nach einem ordentlichen Rüffel der aus der Fusion von Alleanza Nazionale und Forza Italia hervor gegangenen "Betriebs- Regierungs- und Kampf-" Partei wieder auf Linie gehen werden. Ja, wenn es in den Zeltlagern nicht zu einem Zwischenfall kommen wird, der die öffentliche Ordnung einbrechen lässt. Denn es wird ein ganz kleiner Funke reichen, das ist mittlerweile offensichtlich, um in den Caps die Revolte explodieren zu lassen, die, in Abwesenheit eines politischen Bezugsrahmens, kein anderes Ventil als den Zorn haben wird.

A.d.Ü.

* Popolo della Libertá, die Partei Berlusconis, in die mittlerweile auch Alleanza Nazionale eingeflossen ist

** Zu Beginn des populistischen Höhenflugs, mit dem Berlusconi sich aufmachte, die Katastrophe zu instrumentalisieren, bot er Erdbebenopfern unterkunft in Hotels und Privatwohnungen an der Küste an. Er füllte so die zu der Zeit kaum gebuchten Häuser der dortigen Hotellerie. Dass die Erdbebenopfer nun pünktlich zum Saisonbeginn das Feld räumen müssen, war absehbar.

*** Absolut bemerkenswert und ein Grund der Empörung für Betroffene, die sich dessen bewusst sind ist, dass die Phase der Zwischenunterbringung von in Folge einer Katastrophe obdachlos gewordenen Menschen in Baracken, Containern oder Holzhäuschen den gängigen Vorgehensweisen entgegen von Anfang an gar nicht erst geplant wurde, ganz offensichtlich, um die Kosten einzusparen und höchstwahrscheinlich auch um Druck zu erzeugen, damit sich die Zeltstadtbewohner auf die Umsiedlung in geplante Neubauanlagen einlassen und die früher von ihnen bewohnte Altstadt Fintecna überlassen, einer mit dem unternehmerischen Berlusconi-Kosmos eng verquickten Treuhandfirma, die alles aufkaufen soll, was einstige Bewohner nicht selbst wiederherstellen können.

**** Partei Berlusconis bis zur Gründung der Partei Pdl, siehe *

Source: http://www.avvenimentionline.it/