Aktuelles aus den Abruzzen
In den Evakuiertencamps macht sich schleichend Unmut breit.
Zwischen Ausgangssperren, Erkennungsarmbändern und Polizeisperren.
Bertolaso: "Bis zur Heimkeher wird es Jahre dauern"
Von Pietro Orsatti und Angelo Venti aus L' Aquila
06/05/2009
"Nach dem Erdbeben ist der Zivilschutz angekommen". Der Satz fällt beiläufig, mit Leichtigkeit. Leicht ist er aber nicht. Er ist ein offensichtliches Zeichen für den Unmut, der in den Camps der Evakuierten nach dem 6. April beginnt, zu steigen.
Die Reibungsflächen mit der von Staatssekretär Bertolaso* auf diesem Territorium* aufgestellten, zentralisierten Entscheidungsmaschinerie, beginnen, offenkundig zu werden. Ständige Ausweiskontrollen, Polizeisperren, faktische, wenn auch nicht erklärte Ausgangssperren nach 20 Uhr im gesamten Territorium**, Entzug jeder Entscheidungsmacht und jeden Mitsprachrechts für die örtlich gewählten Volksvertreter, Identifikationsarmbänder in einigen Camps und Passierscheine in den übrigen, Kontrollen auf Schritt und Tritt.
"Es ist so penetrant", erklärt einer der jungen Leute vom Netzwerk "3 e 32" ***, das sich für die Entstehung von Bürgerkomitees einsetzt. "Wir haben die Website eingerichtet und mit den ersten Treffen begonnen. Es ist vielleicht ein Zufall, aber es sind sogleich die Carabinieri ins Haus gekommen, um nach unseren Papieren zu fragen und danach, was wir denn da machen würden. Da in der Wohnung, bei mir zu Hause".
Und dann die Irritation, die immer stärker wird, wegen des obszessiven protagonistischen Allgegenwärtigkeitsgebarens des Ministerpräsidenten, und der Bestimmungswut von Verfügungen, die sich täglich ändern und in ein Dekret eingeflossen sind, das Alle verstimmt. "zuerst 12 Milliarden, dann 8, dann 6 und jetzt eineinhalb: wer soll ihn den bezahlen, diesen Wiederaufbau? Schluss mit den Versprechen, wir wollen Klarheit. Wir wollen wissen, ob der Wiederaufbau und die Entschädigungen gedeckt sind", so ein aquilanisches Gemeinderatsmitglied in einem Redebeitrag im Rahmen einer brechend vollen
Regionalratssitzung in Anwesenheit eines unverkennbar verlegenen Bertolaso.
Das Publikum ist aufmerksam und kritisch. Nach wochenlangen Erklärungen in leisem Ton hat Bürgermeister Massimo Cialente beschlossen, nicht länger zu zögern; "Es kann nicht sein, dass die Kommunalverwaltung aus den Entscheidungen herausgehalten wird, wie man es aber im Dekret angibt", sagte er, "und örtlichen Unternehmen müssen außerdem in die Sicherung und in den anschließenden Wiederaufbau der Altstadt eingebunden werden. Es ist ein Monat vergangen, und es stehen draußen nur Baukräne auswärtiger Firmen herum".
Die Geschlossenheit des Regionalrates bei der Kritik des Regierungsdekrets war beeindruckend. Eine Opposition gegen das Dekret, die in der Verabschiedung eines Dokuments, das versucht, der Kommunalverwaltung eine zentrale Rolle zurück zu geben. "Mich juckt es nicht im Geringsten, ob es Deckungen für das Dekret gibt", erwiderte Bertolaso auf die Kritik:"ich habe es immer Geschafft, die Mittel für die Interventionen aufzutreiben. Meine Verpflichtung liegt darin, es auch dieses Mal zu schaffen".
Die Entscheidungswut des Zivilschutzes hat es jedoch nicht vermocht, das Sitzungsklima aufzuhellen, besonders als Bertolaso erklärt hat, dass "Die Zeiten für die Wiederkehr der Altstadtbewohner in ihre Häuser werden Jahre betragen". Mindestens fünf, hat er zu vertehen gegeben. Derweil kommen die Spannungen im Inneren der Hilfsmaschinerie ans Licht. Es sind Vorfälle bekannt geworden, die sich nicht mehr durch die eiserne Maschinerie der Militarisierung des Territoriums verdecken lassen und immer öfter Anlass für polemische Auseinandersetzungen zwischen Retter und Gerettete geben.
A.d.Ü.:
* Siehe: http://gipfelsoli.org/Home/L_Aquila_2009/6968.html
** "Territorio" wird gängigerweise, aber unkritisch, mit "Gebiet" oder "Land" überetzt. Weil diese Lösung die wichtige mit dem Gedanken der sozialen Selbstbestimmung in einem angestammten und sedimentierte Lebensraum verknüpfte Bedutungskomponente völlig ausblendet, wird hier der Begriff "Territorium" vorgezogen.
*** Uhrzeit der Erderschütterung vom 6. April. http://www.3e32.com/
Source: http://www.terranews.it/news/2009/05/l%E2%80%99inutile-decisionismo-che-scontenta-tutti