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2007-06-05

Anmerkungen zur Militanzdiskussion

Das frustrierende an der Diskussion um Militanz/Gewalt bei den Aktionen zum G8-Gipfel ist die Fokussierung auf die Form des Widerstands bei den Beteiligten selbst.

Wenig überraschend ist es bei den Protesten gegen den G8 Gipfel zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen ProtestierInnen und Polizei gekommen. Genausowenig überraschend hat dies auf indymedia (und anderswo) eine Diskussion über Gewalt/Militanz ausgelöst.

Ich möchte kurz versuchen, darzustellen, warum meines Erachtens diese Diskussion selbst nahezu groteske Züge aufweist.

Einerseits wird in vielen Beiträgen festgestellt, die Auseinandersetzungen hätten genau jene Bilder produziert, die die bürgerlichen Medien benötigen, um den Protest zu insgesamt zu diskreditieren. Daher hätte von Seiten der DemonstrantInnen eine Eskalation unbedingt vermieden werden müssen. Implizit oder auch ganz offen wird damit Militanz vorsorglich als Mitursache eines möglichen Scheiterns des Protests benannt. Dies ist ebenso naiv wie kontraproduktiv. Warum?

Erstens: Wenn unsterstellt wird, dass die bürgerlichen Medien genau diese Bilder brauchen, dann sollte auch davon ausgegangen werden, dass sie genau diese Bilder bekommen werden, und zwar völlig unabhängig vom Verhalten der DemonstrantInnnen selbst. Entweder durch die freundliche Unterstützung der Polizei oder im Notfall durch direkte Manipulation. Der scheinbar unmotivierte Einsatz von Greiftrupps, wie er in zahlreichen Postings geschildert wurde, ist eine alte und ausgesprochen wirkungsvolle Provokation. Wirkungsvoll aber eben auch deshalb, weil aktiver Widerstand dagegegen sinnvoll und gerechtfertigt ist. Die Alternative wäre, TeilnehmerInnen der Demo bewußt willkürlichen Festnahmen auszuliefern. Wer dennoch in diesen Fällen zum Verzicht auf Widerstand aufruft muß auch so ehrlich sein, genau dies zuzugeben.

Zweitens: Gewollt oder ungewollt wird eine Interessengleichheit zwischen Staatsmacht und DemonstrantInnen hergestellt. Die Sprachrohre von Attac und Angela Merkel sind sich angesichts der Auseinandersetzungen einig, dass "friedlicher" Protest gerechtfertigt ist und jede Form von Militanz von "Chaoten" und "Gewalttätern" ausgeübt wird. Dies allein sollte Anlaß zu kritischen Fragen sein.

Drittens: Die pauschale moralische Verurteilung von Gewalt zeugt von jenem Untertanengeist, der notorisch für die deutsche Geschichte ist. Selbst das Grundgesetz, ja nicht unbedingt eine Anleitung zum Widerstand, räumt unter bestimmten Bedingungen eben genau das Recht auf diesen ein. Unabhängig davon sollten all die BefürworterInnen bedingungslosen Gewaltverzichts dann auch einräumen, dass beispielsweise die militante Verhinderung einer Abschiebung aus Ihrer Sicht moralisch nicht vertretbar ist.

Andererseits scheinen die BefürworterInnen militanter Aktionen großzügig über die Schwierigkeiten, die sich im Rahmen solcher Großdemos ergeben, hinwegzusehen. Alkoholisierte DemoteinehmerInnen, Militanzfetisch, völlige Unkoordiniertheit von Aktionen und blinder Aktionismus sind keine Neuerscheinung von Rostock. Die vereinzelten Hinweise in verschiedenen Beiträgen, daß Autonome Leute am Steine werfen gehindert haben, illustrieren dies. Aus persönlicher Erfahrung als Demosani kann ich auch sagen, dass Verletzungen durch den berüchtigten Stein aus der 17. Reihe nicht wirklich selten sind.

Dem liegt zugrunde, dass Militanz eben nicht als Mittel zum Erreichen klar umrissener Ziele begriffen wird, z.B. Verhinderung von Festnahmen, Schutz des Lautsprecherwagens, Überwinden einer Absperrung und Erreichen eines bestimmten Ortes, sondern dass typischerweise die "Härte" der Auseinandersetzung zum Gradmesser der "Radikalität" des Protestes mutiert. Dies führt direkt zur Entpolitisierung der Auseinandersetzung.

Für beide Seiten der Debatte gilt, dass eigentlich offensichtlich sein sollte, dass die Beurteilung der Mittel des Widerstands in keiner Weise Ersatz für die Beurteilung der Inhalte sein kann. Dennoch scheinen die Auseinandersetzungen vor allem das Ergebnis zu haben, dass die Beteiligten selbst nicht mehr über Inhalt, sondern nurmehr über Form diskutieren.

[http://de.indymedia.org/2007/06/181215.shtml]