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2007-06-04

Berliner Zeitung: Leitartikel: Das Debakel von Rostock

Hendrik Munsberg

Das Treffen der acht mächtigsten Staats- und Regierungschefs dieser Erde soll erst Mitte der Woche im Ostseebad Heiligendamm beginnen, doch schon jetzt ist klar, dass der Gipfel in Deutschland von nun an in eine Reihe gestellt werden wird mit den denkwürdigen Anti-Globalisierungsschlachten von Seattle und Genua. Der Name der deutschen Hansestadt Rostock wird künftig in diesem Zusammenhang fallen.

Erschütternd liest sich die Bilanz der Auftakt-Demonstration vom Sonnabend, als eine anfangs friedliche Großveranstaltung urplötzlich in eine brutale Schlacht ausartete: Fast 1000 Menschen wurden dabei verletzt, darunter 520 Demonstranten und beinahe genauso viele Polizeibeamte. Mehr als 50 von ihnen mussten mit schweren Verletzungen in Krankenhäuser eingeliefert werden. Das sind Zahlen, die unbedingt hatten vermieden werden sollen.

Und die heute nur einen Schluss nahe legen: Das Sicherheitskonzept für den G-8-Gipfel in Deutschland, das die hiesigen Behörden zwei lange Jahre ausgearbeitet haben, ist gescheitert, wie sich binnen weniger Stunden erwies. Nach übereinstimmenden Angaben von Augenzeugen und Behörden waren es rund zweitausend linke Autonome, die wie aus dem Nichts heraus eine blutige Auseinandersetzung anzettelten; viele von ihnen waren aus dem Ausland angereist: aus Bulgarien, Russland, Japan, Schweden, Frankreich - die globalisierte Randale kopiert die Organisationsmuster ihres Hassobjektes.

Anders als in Seattle und Genua ist den Polizeikräften von Rostock offenkundig nicht der Vorwurf zu machen, sie hätten durch unverhältnismäßige Härte eine Eskalation der Gewalt erst befördert. Sogar aus den Reihen der Demonstrationsorganisatoren wurde der Polizei bescheinigt, sie habe sich in Rostock an ihren deeskalierenden Kurs gehalten. Doch bis jetzt kann niemand genau erklären, wie es den Gewaltbereiten überhaupt gelingen konnte, trotz angeblich scharfer Kontrollen, zum Ort der Demonstration zu gelangen und dabei unbemerkt Landesgrenzen zu überschreiten. Anscheinend haben die Autonomen ihre Techniken verfeinert, sich der Beobachtung und dem Zugriff der Behörden zu entziehen.

Ratlos nach dem Debakel von Rostock - so wirken nun die deutschen Sicherheitsbehörden, denen aus den Reihen der Globalisierungskritiker zuletzt immer lauter der Vorwurf gemacht worden war, sie kriminalisierten die gesamte Protestbewegung durch überzogene Sicherheitsmaßnahmen. Jetzt sieht es eher so aus, als seien die umstrittenen Razzien in Berlin und Hamburg oder die Überwachung des Postverkehrs eher Ausdruck einer irrlichternden Ermittlungsroutine gewesen. Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit hat sich damit zwar keineswegs erledigt, doch stellt sich nun mindestens genauso dringend die Frage nach der Effizienz: Was und wie viel wissen die Behörden überhaupt über die gewaltbereite Szene, die offenkundig international bestens vernetzt ist? Anscheinend nicht allzu viel. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und seine Länderkollegen werden in den nächsten Tagen und Wochen viele drängende Fragen beantworten müssen. Eines jedoch kann den deutschen Behörden keiner vorwerfen: dass sie nicht gewarnt hätten vor einer Eskalation der Gewalt rund um den Gipfel in Heiligendamm.

Ein Fiasko sind die Ereignisse von Rostock deshalb auch für die friedliche Anti-Globalisierungsbewegung, auch sie gehört zu den Verlierern. Organisationen wie Attac wollten den Gipfel der Mächtigen nutzen, um ihre Kritik zu äußern an der Art und Weise, in der sich der Prozess der wirtschaftlichen Globalisierung vollzieht. Das Anliegen ist berechtigt; das wachsende Unbehagen über die zunehmende Dominanz des Ökonomischen muss eine politische Plattform finden. Doch wer spricht nach Rostock noch darüber? Auch die Organisatoren der Demonstration zeigen sich jetzt vom Ausbruch der Gewalt überrascht, nun räumen sie eigene Versäumnisse ein. War ihre bisherige Kritik an vermeintlich überzogenen Sicherheitsvorkehrungen bloß naiv? Waren sie nicht insgeheim sogar dankbar, als viele ihrer Anhänger durch die umstrittenen Aktionen der Behörden erst so richtig zum Protest motiviert wurden? Und wussten sie etwa nicht, dass die Gewaltbereiten den friedlichen Protest nur allzu gern als Tarnung nutzen?

Wenn Attac-Sprecher Peter Wahl den Autonomen nun via Fernsehen zuruft, “wir wollen euch nicht mehr sehen”, ist das eine zu späte Einsicht.

Berliner Zeitung, 04.06.2007

[http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/meinung/658897.html]