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02.06.2007

tagesschau.de: Bundesverfassungsgericht könnte Demoverbot kippen: “Chancen der Demonstranten sind nicht schlecht”

Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald hat Globalisierungskritiker aus dem weiteren Umfeld des G8-Tagungsortes Heiligendamm verbannt. Diese sehen sich in ihren Grundrechten verletzt und wollen nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. ARD-Rechtsexperte Karl-Dieter Möller beurteilt im Interview mit tagesschau.de die Erfolgsaussichten einer solchen Verfassungsbeschwerde.

tagesschau.de: Herr Möller, wie bewerten Sie das Urteil des Oberverwaltungsgerichts in Greifswald?

Karl-Dieter Möller: Das Oberverwaltungsgericht hat das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit etwas enger ausgelegt als die Kollegen der Vorinstanz. Ob sie damit richtig liegen, ist fraglich. Zur Bewertung muss man natürlich den konkreten Raum sehen, in dem Demonstrationen stattfinden sollen.

Es kommt auch darauf an, welche Informationen die Richter vorgelegt bekommen haben. Vielleicht haben sich in der Zeit zwischen den Entscheidungen der beiden Gerichte die Tatsachen geändert. Das OVG hat zwar eine Demonstration zugelassen, allerdings nur auf einer entfernten Bundesstraße. Ob das dem Bundesverfassungsgericht ausreicht, das wage ich doch zu bezweifeln.

tagesschau.de: Heißt das, Sie gehen davon aus, dass Karlsruhe das Greifswalder Urteil kassiert?

Möller: Die Chancen der Demonstranten sind aus meiner Sicht nicht schlecht. In der Brokdorf-Entscheidung von 1985 hieß es, dass die Versammlungsfreiheit friedfertiger Demonstrationsteilnehmer auch dann erhalten bleibt, wenn mit Ausschreitungen Einzelner oder einer Minderheit zu rechnen ist. Ein Verbot kommt erst dann in Betracht, wenn eine Versammlung im Ganzen einen unfriedlichen Verlauf nimmt - oder wenn der Veranstalter einen solchen Verlauf anstrebt oder billigt. Bisher haben ja viele Gruppen angekündigt, friedlich demonstrieren zu wollen.

Es ist kaum zu verhindern, dass auch Chaoten anreisen, die Randale machen wollen. Aber auch in diesem Punkt sagen die Verfassungsrichter, die Behörden müssten erst einmal alle Mittel ausschöpfen, um den friedlichen Demonstranten die Verwirklichung
ihres Grundrechts zu ermöglichen. Deswegen muss man sich nun die Umgebung von Heiligendamm näher anschauen und ganz konkret fragen: Was ist vor Ort machbar, wie nah könnte demonstriert werden? Denn die Verfassungsrichter haben auch betont, dass Demonstrationen keinen Sinn haben, wenn sie an entfernten Orten und somit außerhalb der Wahrnehmung stattfinden. Daher könnte ich mir denken, dass die Verfassungsrichter den Demonstranten ermöglichen, näher an das Gelände heranzukommen.
“Bislang wurde vielleicht ein wenig überreagiert”

tagesschau.de: Wie schnell könnte eine solche Entscheidung ergehen?

Möller: Sehr schnell. Wie ich gehört habe, ist man in Karlsruhe nicht unvorbereitet. Beim Bundesverfassungsgericht hat man die Sachlage mit Sicherheit genau beobachtet und auch die alten Entscheidungen noch einmal studiert. Daher denke ich mir, dass die Entscheidung bereits Anfang kommender Woche kommen könnte.

tagesschau.de: Demoverbote, Durchsuchungen, vorbeugender Gewahrsam - Kritiker sehen die Grundrechte ausgehöhlt. Teilen Sie diese Sorge?

Möller: Bislang wurde von Seiten der Behörden vielleicht ein wenig überreagiert. Dennoch bewegen sich die Maßnahmen im Rahmen der Strafprozessordnung, auch die Durchsuchungen der Bundesanwaltschaft. Schließlich müssen auch die Behörden sehen, wie sie mit dem erwarteten Ansturm fertig werden. Und es gibt ja auch Demonstrationsanmeldungen von Rechtsextremen, etwa der NPD - da kommt es in aller Regel zu Zusammenstößen. Auf der anderen Seite muss aber natürlich auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Wieviel Schutz ist nötig? Und hat die Polizei die nötige Stärke, um die Situation unter Kontrolle zu halten? Das sind Fragen, die das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung wird prüfen müssen.
Das Interview führte Tim Gerrit Köhler für tagesschau.de