In einer knappen Woche beginnt der G8-Gipfel in Heiligendamm – und die Stimmung zwischen militanten Gegnern der Veranstaltung auf der einen und Staatsschützern auf der anderen Seite kocht langsam hoch. Die einen stecken Autos in Brand und rufen zu Gewalt auf, die anderen errichten meterhohe Zäune, nehmen Geruchsproben von Verdächtigen und öffnen deren Post. Was ist los in Deutschland in Sachen Bürgerrechte und Bürgerschutz?
Darüber spricht Sylvia Tiegs mit der FDP-Bundestagsabgeordneten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
Das Gespräch im Wortlaut:
Tiegs: Am 30. Mai ist dieser Stacheldrahtzaun rund um das Gipfelgelände in Heiligendamm geschlossen worden und ich muss ehrlich sagen, ich habe die Bilder gesehen und gedacht, dass das alles nicht wahr sein kann. Wie geht es Ihnen damit?
Leutheusser-Schnarrenberger: Mein Eindruck ist auch der, hier zeigt sich Deutschland von einer Seite, die eigentlich kein gutes Bild abgibt, mit einem kilometerlangen Zaun, der ja auch viele Millionen kostet, auch die Bürgerinnen von Heiligendamm und die Bürger in einer Zone einzuschließen ist schon merkwürdig. Natürlich ist Heiligendamm ein schwieriges Pflaster, um solch wichtigen Staatsgästen Sicherheit zu geben. Ich glaube, der ganze Ort ist vollkommen ungeeignet und deshalb sind jetzt diese drastischen Sicherheitsmaßnahmen im Konzept der Bundesregierung. Das heißt eben, dass Demonstrieren und sich friedlich versammeln schon angesichts dieses Zaunes ganz, ganz schwierig wird.
Tiegs: Nun ich dieser G8-Gipfel in Heiligendamm ja weiß Gott nicht der erste, der sich so abschottet. Ich entsinne mich selber an einen G8-Gipfel in den USA vor drei Jahren, das war auf einer kleinen vorgelagerten Insel, da kam auch kein Protestierer ran. Da musste man zwar keinen Zaun ziehen, aber es war auch nicht viel besser. Nun gibt es ja fast die Idee, man könnte ja solche Gipfel auch auf der Zugspitze abhalten, wo nun gar keiner mehr hinkommen kann. Man lacht einerseits, andererseits denkt man, das ist doch alles irgendwie irre. Muss das so sein? Ich sage es noch mal dazu, andererseits ist so ein G8-Gipfel aus Terroristensicht ein herrliches Ziel Anschläge zu verüben. Ist man vielleicht auch naiv, wenn man sich wünscht, dass das alles so einfach sei und man könne das Mal eben um die Ecke im Hotel abhalten?
Leutheusser-Schnarrenberger: Um die Ecke im Hotel, geht es leider nicht. Das ging mal zu den Anfängen der G8-Gipfel, als man sich wirklich gemütlich in einem Kaminzimmer getroffen hat und richtig, also die Regierungschefs, die Staatschefs wirklich mal offen miteinander um Fragen und Antworten gerungen haben. Jetzt ist es ein Medienspektakel geworden und jetzt ist das ein Riesenaufwand, der wochenlang vorbereitet wird mit tausenden Beamten und jetzt geht das nicht mehr und jetzt haben wir diese Inszenierung, von der an so nicht wegkommt. Das wäre naiv zu behaupten. Da bleibt nichts anderes übrig als zu sehen, wie trotz dieser Umstände diejenigen, die einen G8-Gipfel kritisch sehen, die Globalisierung in ihren Entwicklungen und Auswüchsen kritisieren auch entscheidend Gehör finden und diese Balance zu finden, die ist schwierig und die ist bei den bisherigen Vorkehrungen in meinen Augen wirklich aus der Balance geraten. Da stimmt das Verhältnis nicht mehr zwischen Sicherheitsvorkehrungen und Demonstrationsrecht.
Tiegs: Sie spielen, nehme ich an, auf etwas an, das in den vergangenen Wochen stark die Gemüter erhitzt hat. Ihres, als das Gemüt einer Liberalen aber auch das vieler anderer, vor allem Ostdeutscher. Ich meine damit das Nehmen von Geruchsproben von Verdächtigen in der G8-Gegner-Szene und auch das Öffnen von Post. Der Sicherheitsstaat sagt, das sei alles legitim, das sei durch die Rechtsordnung gedeckt und man möge sich nicht so aufregen. Andere sagen, es sei ja wie zu Zeiten der Stasi. Was ist da los?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich habe den Eindruck, dass hier deutlich überreagiert wird von Seiten der Sicherheitsbehörden und es geht nicht darum, ob im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens auch mal die Post geöffnet werden darf, was so rechtsstaatlich auch zugelassen ist, mit richterlicher Genehmigung. Hier geht es doch darum, dass in einem Briefzentrum Post geöffnet wurde, weil man Bekennerschreiben gesucht hat, die auch an die Presse gehen sollten, um auf ein weiteres Umfeld von möglichen G8-Demonstranten oder auch möglichen Demonstranten, die an Gewalt denken, zu kommen und an ihre Adresse zu kommen und damit wieder Ermittlungsansatz zu haben. Das ist etwas anderes, als das, was im Rahmen von Strafverfolgungsmaßnahmen selbstverständlich zulässig ist. Und zu den Geruchsproben, da kann ich nur sagen, das ist etwas, was die Bürgerinnen und Bürger zu Recht aufregt. Da geht es ja von ihrem Gefühl her absolut in die Intimsphäre. Die Erkenntnisse sind absolut zweifelhaft. Das Schwanzwedeln des ausgebildeten Hundes kann ja wohl nicht ein Beweismittel zur Überführung einer Person als Täter einer möglichen Straftat sein. Von daher gehört das eingestellt und da hat eben leider die Sicherheitsseite, die ja auch eine wichtige und schwere Aufgabe hat in meinen Augen absolut überzogen und das kann auch nicht gerechtfertigt werden.
Tiegs: Nun sind diejenigen in der G8-Gegner-Szene, die an Gewalt glauben, die sich sogar Gewalt wünschen ja auch nicht zimperlich mit ihren Methoden. Wenn man sich da so manches Schreiben anguckt, was in der Szene kursiert, wo also ganz unverhohlen dazu aufgerufen wird, “was abzufackeln”, oder “Bullen zu bewerfen” und wenn es dafür auch noch Punkte gibt nach denen man einen Wettbewerb gewinnen kann, wenn man sieht, das seit Wochen Autos brennen in Berlin und Hamburg und anderswo Farbbeutelanschläge verübt werden – das ist ja nicht nichts. Ist das nicht auch ein Stück weit gegenseitige Provokation?
Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich findet da auch ein Stück weit Provokation und vielleicht auch dann eine Gefahr von Eskalation statt und deshalb sind die Sicherheitsbehörden natürlich in einer ganz schwierigen, aber auch in einer sehr verantwortungsbewussten Lage. Da wo sie überziehen besteht die Gefahr, dass vielleicht auch eher Friedfertige sich ein Stück weit mit radikalisieren lassen würden und genau das ist es, was wir nicht brauchen. Ich denke, die Polizei weiß, dass da Autonome sind, das ist bei jedem G8-Gipfel so, die auch wirklich zu allen Mitteln greifen, aber nicht zu denen der friedlichen Demonstration. Natürlich muss die Polizei gewappnet sein, das ist sie aber auch, dafür ist ja der Zaun gebaut worden, dafür sind 16.000 Polizeikräfte da. Dafür wird die Anreise überprüft, dafür hat man die Erfahrung, auch diejenigen, die anreisen zu kontrollieren und vielleicht, wenn man Waffen findet, sie gar nicht bis hin nach Heiligendamm zum Demonstrationsort zu lassen.
Tiegs: Sie waren ja in den 90er Jahren Bundesjustizministerin. Ist es Ihnen in den vergangenen Wochen eben so gegangen, dass Sie das alles lesen und sehen und sagen, Mensch, das hätte ich nicht gemacht.
Leutheusser-Schnarrenberger: Etwas geht es mir schon so, vor allen Dingen, wenn ich immer wieder auch dann lese, dass ja Gerichte und in diesem Fall war es ja das zuständige Verwaltungsgericht dort in Rostock gesagt hat, dieses doch sehr weitgehende Demonstrationsverbot war rechtswidrig, also können sich zu Recht diejenigen, die da Rechtsmittel eingelegt haben, doch bestätigt fühlen, das heißt, Sie müssen näher rangelassen werden, um ihre Meinung sagen zu dürfen und dann frage ich mich wirklich als Justizministerin, ist das der richtige Weg oder müssen nicht die staatlichen Organisationen genau das im Vorfeld auch prüfen und es gar nicht immer erst zu Gerichtsverfahren kommen lassen, denn dann verfestigt sich der Eindruck, auf der einen Seite macht der Staat was er will, die Gerichte können es ja richten, wenn keiner sie anruft, wird es nicht gerichtet. Und das beschädigt den Rechtsstaat.
Tiegs: Sie sind seinerzeit aus eigenem Willen zurückgetreten vom Amt der Justizministerin, weil Ihre Partei die FDP mehrheitlich hinter dem großen Lauschangriff stand, also dem Abhören von Privatwohnungen und Sie immer dagegen waren und gesagt haben, dass Sie das dann nicht mehr mitmachen könnten. Haben Sie den Eindruck, dass seither es mit den Bürgerrechten bergab gegangen ist, auch vor dem Hintergrund elfter September 2001?
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich sehe eine schleichende Entwertung der Grundrechte, einmal seit den ganzen versuchten Antworten, die auf die fürchterlichen Anschläge des elften September 2001 von der deutschen Politik gegeben wurden und auch durch Entscheidungen, die in jüngster Zeit getroffen worden sind. Die Grundrechte, die ja wirklich essentiell für unsere Demokratie sind, die den einzelnen Bürger in unserer freien Gesellschaft viele Möglichkeiten geben, das zu tun, was er möchte, in eben den Grenzen, die auf der Grundlage von Grundrechten gezogen worden sind und diese Grundrechte treten immer zurück, wenn es um die Abwägung Sicherheit und Freiheit geht. Es führt dazu, dass sogar der Kernbereich privatester Lebensgestaltung nicht mehr als unantastbar gesehen wird, obwohl gerade das das Bundesverfassungsgericht in diesem Lauschangriffsurteil auch in anderen Entscheidungen rausgearbeitet hat und von daher glaube ich, dass einfach im Moment die Grundwerte, die Grundrechte mit ihren Werten nicht den Stellenwert in der Politik haben, der ihnen wirklich zukommt, auch in Zeiten, wenn der Wind ins Gesicht bläst.
Tiegs: Geht Sie das gefühlsmäßig an?
Leutheusser-Schnarrenberger: Das bewegt mich sehr. Ich kämpfe gerade auch im Rechtsausschuss als rechtspolitische Sprecherin meiner Fraktion dafür, dass zumindest eben diese Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes bei der Gesetzgebung beachtet wird, und nicht immer Jahre später nur noch wieder eine Korrektur kommt. Ich habe den Eindruck, dass in ganz jüngster Zeit, in den letzten Wochen, doch in weiten Teilen der Politik durch alle Fraktionen hinweg, mehr Sensibilität eingetreten ist, weil gesehen wird, die Bankkonten sind für jeden fast zugänglich für Beamtenseite, die Daten vom Telefonieren, die Verbindungsdaten werden jetzt gespeichert. Alles kann mit allem miteinander vermischt werden. Biometrische Merkmale in Pässen. Von daher denke ich hat das immerhin eines bewirkt, dass zumindest ein Vorschlag des Bundesinnenministers, alle Fingerabdrücke von den Pässen auch in Dateien zu speichern und mit anderen Dateien zu vermischen, am Bundestag gescheitert ist. Das ist natürlich nur ein kleines Zeichen, aber immerhin haben da doch die Sozialdemokraten gesehen, der Rubikon ist überschritten, aber wir können uns nicht immer noch weiter von unserer Werteordnung entfernen.
Tiegs: Haben Sie das Gefühl, dass uns das alles ein sichereres Leben beschert, oder ist das Schlimme daran, dass man Sicherheit so nicht messen kann wie Grad Celsius auf dem Thermometer? Also wenn nichts passiert, ist nichts passiert. Man weiß aber nicht wirklich, warum ist nichts passiert.
Leutheusser-Schnarrenberger: Es wird diese Gesetzgebung gerade von den jeweiligen Innenministern immer betrieben mit der Argumentation, wenn etwas passieren sollte, dann haben wir aber alles gemacht, wir sind dann quasi nicht diejenigen, die Verantwortung tragen. Und eine Gesetzgebung immer im Ausnahmezustand zu machen, ist natürlich falsch und verhängnisvoll – weil das heißt, ich verabschiede mich von dem, was eigentlich Grundlage dessen ist, was unsere rechtsstaatliche Demokratie ausmacht. Von daher haben wir hier schon deutlich eine Veränderung, Sicherheit ist nicht messbar. Wir leben in Vorkehrungen, die wirklich eigentlich fast alles erfassen, was Gefahr sein kann. Dennoch wissen wir nicht, was absolut zu allem entschlossene Terroristen egal aus welcher Motivation heraus auch anstellen wollen und können. Deshalb dürfen wir den Bürgern nicht vorgaukeln, es gäbe mit diesen Gesetzen die absolute Sicherheit. Es gibt weniger Grundrechte, weniger Freiheit, aber nicht absolute Sicherheit – und das stimmt eben nicht.
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