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2013-06-15

Prozess wegen Polizeiwillkür beim G8-Gipfel in Genua Gerechtigkeit - nach zwölf Jahren

Sie wurden misshandelt, erniedrigt und medizinisch nicht versorgt. Erst jetzt erfahren Hunderte Demonstranten, die beim G8-Gipfel in Genua 2001 Polizeiwillkür ausgesetzt waren, Gerechtigkeit: Das Oberstes Gericht in Rom bestätigte Haftstrafen für sieben Beamte.

Von Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom

Polizeiwillkür, Gewaltexzesse gegen Demonstranten, ein Toter. Die blutige Geschichte des G8- Gipfels von Genua ist mit diesem Urteil zumindest strafrechtlich abgeschlossen. Bei diesem Prozess ging es um 44 Angeklagte, die in der Haftanstalt von Bolzaneto an systematischen Misshandlungen von Gipfelgegnern beteiligt gewesen sein sollen. Etwa 250 Demonstranten, unter ihnen 70 Deutsche, waren dort mehrere Tage festgehalten worden, ohne Kontakt zu Angehörigen, Anwälten oder Konsulaten aufnehmen zu können.

Was die Inhaftierten in dieser Zeit erlebten, war die Hölle: “Sie haben Zigaretten auf mir ausgedrückt”, sagt einer der damals Inhaftierten. “Wenn jemand fragte, ob er auf die Toilette dürfe, ist er ein großes Risiko eingegangen. Es war ein Spießrutenlauf: Polizisten schlugen und traten auf ihn ein.”

Mit dem Urteil des Obersten Gerichts in Rom ist die blutige Geschichte des G8-Gipfels von Genua zumindest juristisch abgeschlossen.

Gefangene wurden verprügelt und erniedrigt

Die Richter des Obersten Gerichtshofes in Rom haben in letzter Instanz Haftstrafen gegen sieben Beamte bestätigt, die Gefangene systematisch verprügelt, erniedrigt und medizinisch nicht versorgt haben. Besonders grausam war der Polizeibeamte Massimo Luigi Pigozzi vorgegangen – er hatte einem Demonstranten die Hand buchstäblich zerrissen. Pigozzi muss für drei Jahre und zwei Monate ins Gefängnis.

Zwei Jahre und zwei Monate Haft bekam die Ärztin Sonia Sciandra, die vorsätzlich Patientenkarteien gefälscht hatte. Das medizinische Personal hatte sich an den Misshandlungen beteiligt. Der Krankenpfleger Marco Poggi sagte im Prozess gegen seine damaligen Kollegen aus. “Das schlimmste war ein Tritt gegen einen jungen Mann. Ich habe zwar keine Röntgenaugen, aber meine Erfahrung sagt mir, dass Schien- und Wadenbein höchstwahrscheinlich gebrochen waren.”

33 weitere Angeklagte wurden schuldig gesprochen, ihre Vergehen sind allerdings bereits verjährt.

Vertreter der Opfer begrüßten den Prozessausgang. Für Verbitterung sorgt lediglich die Tatsache, dass die Berlusconi-Regierung damals durch einige ad-hoc-Gesetze für eine schnelle Verjährung der Verbrechen gesorgt hatte.

Vittorio Agnoletto war im Jahr 2001 Sprecher des Sozialforums von Genua, also der Globalisierungskritiker. Er will nach 12 Jahren Prozess noch keinen Schlussstrich unter Genua ziehen: “Der Ärzteverband muss nun gegen alle verurteilten Ärzte vorgehen, unabhängig davon, ob ihre Taten bereits verjährt sind”, fordert Agnoletto. “Und auch die Carabinieri, die Polizei und die Vollzugsanstalten müssen gegen verurteilte Beamte vorgehen. Die können nicht so weiter machen, als ob nichts geschehen wäre.”

Und die 155 Demonstranten, die im Juli 2001 in Bolzaneto nachweislich Opfer von Polizeigewalt wurden, können nun zumindest mit einer Entschädigung rechnen.

Source: http://www.tagesschau.de/ausland/kleinjung108.html