Lage in Strasbourg auch nach dem NATO-Gipfel angespannt. Solidaritätskundgebung mit Gefangenen untersagt. Strenge Kontrollen und Behinderungen bei der Ausreise
Von Björn Kietzmann
Nach den Großdemonstrationen und Aktionen von rund 30 000 Kriegsgegnern gegen den NATO-Gipfel am Wochenende befanden sich am Montag noch mindestens 35 Demonstranten in französischem Polizeigewahrsam. Zehn von ihnen sollen einem Haftrichter vorgeführt werden. Einer Person aus Belarus droht die Abschiebung. Erschreckend ist zudem, daß das internationale Legal Team noch rund 15 Menschen vermißt. Die Rechtshilfegruppe hofft nun auf internationale Solidarität, um Druck auf die französische Regierung ausüben zu können.
Um die festgenommen Kriegsgegner zu unterstützen, sollte bereits am Sonntag nachmittag eine Soli-Kundgebung vor der zentralen Strasbourger Polizeiwache stattfinden. Die Polizei reagierte umgehend mit einem Versammlungsverbot. Viele Menschen, die dennoch versuchten, zur Kundgebung zu erreichen, wurden wenige Meter hinter dem Protestcamp von Beamten abgefangen und zurückgeschickt. Lediglich vier NATO-Gegnern gelang es, zum Eingang der Wache vorzudringen, weiteren zwei Dutzend schafften es immerhin, sich etwa 150 Meter vor dem Revier zu versammeln.
»Wir wollen gemeinsam mit unseren Freunden abreisen und sie nicht allein zurücklassen«, erklärte eine Demonstrantin. Deshalb hätten sie sich entschlossen, dem Protestverbot zu trotzen. Eine handvoll Leute hielt die Parole »Freiheit für die Gefangenen – Stopp NATO« auf ein kleines Tuch geschrieben in die Höhe. Das reichte schon für einen Polizeieinatz. Herbeieilende Beamte postierten sich unmittelbar vor den Antimilitaristen, so daß anwesende Journalisten diese nicht mehr fotografieren konnten. Anschließend rissen sie das Tuch an sich und entfernten sich mit ihrer Beute.
Obwohl das Gipfeltreffen der NATO-Strategen am Samstag beendet war, blieb die Lage in Strasbourg also angespannt. Viele Gipfelgegner mußten mehrfache und akribische Kontrollen hinnehmen. Französische Polizeikräfte durchsuchen in der Nähe des Anti-NATO-Camps und in der Strasbourger Innenstadt die Autos und Taschen vermeintlicher Demonstranten. An den Grenzen wurden viele Reisende durch deutsche Polizisten über mehrere Stunden festgehalten und durchsucht. Festnahmen seien hier allerdings keine erfolgt, wie ein Sprecher der Bundespolizeidirektion Stuttgart auf jW-Anfrage mitteilte. Die Kontrollen seien durchgeführt worden, um »verbotenen Gegenstände« sicherzustellen. Zum Beispiel Schlagringe oder Abwehrspray«, erklärte ein Bundespolizist am Grenzübergang Nonnenweiher.
Das war scheinbar nur die halbe Wahrheit. Laut dem Legal-Team ist bei Kontrollen vor allem nach Kameras und Foto-Handys gesucht worden. Viele dieser Geräte seien beschlagnahmt worden. Die Polizei verspreche sich davon offenbar Bildmaterial von den Protesten zu bekommen, mutmaßt die Gruppe. Französischen Polizisten hätten sogar das Videomaterial einer Journalistin beschlagnahmt.
Einschränkungen der Pressefreiheit waren auch in Deutschland spürbar. Am Samstag wurden zahlreiche Journalisten, darunter auch zwei Berichterstatter der jungen Welt massiv in ihrer Arbeit behindert. Deutsche Polizeikräfte weigerten sich unter anderem, Journalisten nach Frankreich ausreisen zu lassen.
Source: http://www.jungewelt.de/2009/04-07/012.php