Gericht in Strasbourg verurteilt Berliner Aktivisten. Drei Angeklagte wegen Formfehlern freigelassen
Von Frank Brendle
Ein 29jähriger Deutscher, der Anfang April bei den Demonstrationen gegen den NATO-Gipfel in Frankreich festgenommen wurde, ist am Dienstag von einem Gericht in Strasbourg zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt worden. Das Gericht befand ihn schuldig, aus einer »bewaffneten Zusammenrottung« Steine auf Polizisten geworfen zu haben. Der Anwalt des Beschuldigten zeigte sich »überrascht« darüber, daß die Polizisten, die als Zeugen aussagten, seinen Mandanten aus großer Entfernung unter 700 Menschen identifiziert haben wollen und im Wortlaut übereinstimmende Zeugenaussagen machten. Offenbar habe die Polizei nach der Festnahme ein Szenario »rekonstruiert«. Das berichteten mehrere französische Tageszeitungen und das Antirepressionsteam Strasbourg.
Drei Franzosen konnten das Gericht dagegen auf freiem Fuß verlassen. Die aus Tours stammenden Männer im Alter von 20, 23 und 26 Jahren waren einen Tag vor der Großdemonstration am 4. April auf dem Parkplatz eines Supermarktes festgenommen worden und seither in Haft. Ihr legaler Einkauf – Terpentin, Öl, Atemschutzmasken, Handschuhe und ein Wischlappen – diente der Staatsanwaltschaft als Beweis, daß sie einen Molotowcocktail herstellen wollten. Wegen dieser Absicht sollten die drei, die bislang völlig unbescholten sind, für zehn bis zwölf Monate ins Gefängnis. Der Staat wolle ein Exempel statuieren, kommentierten rund 50 Sympathisanten, die vor dem Gericht protestierten.
Die Angeklagten selbst gaben an, sie hätten mit den Brennstoffen im Protestcamp Kohlenbecken anzünden und durch Rauchentwicklung den Polizeihubschraubern die Sicht nehmen wollen. Handschuhe und Schutzmasken hätten ihrem persönlichen Schutz vor Tränengas und Verletzungen gedient. Letzteres nannten die Anwälte angesichts der Polizeigewalt nur vernünftig. Der Staatswanwaltschaft fehle jeglicher Beweis für ein militantes Vorhaben der Angeklagten.
Erfolg hatten die drei Antimilitaristen schließlich wegen mehrerer Formfehler und Ungenauigkeiten in der Anklageschrift. Das Verfahren mußte als nichtig gewertet werden. Allerdings kann die Staatsanwaltschaft innerhalb von drei Jahren erneut Anklage in gleicher Sache erheben.
In einer weiteren Gerichtsverhandlung ging es am Dienstag um den Vorwurf der Bewaffnung: Der Angeklagte war einen Tag nach der Demo beim Verlassen des Protestcamps festgenommen und durchsucht worden. Dabei wurde ein Schweizer Taschenmesser gefunden. Drei Monate auf Bewährung forderte die Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hingegen stellte die Frage: »Was ist ein Camper ohne Schweizer Messer?« Das Urteil soll am 25. Juni ergehen. Zwei Deutsche aus Rostock befinden sich derzeit noch ohne Gerichtstermin in Untersuchungshaft.
Source: http://www.jungewelt.de/2009/05-07/053.php