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2004-12-20

Nato-Geheimarmeen und ihr Terror

Waren die Nato-Untergrundarmeen während des Kalten Krieges wertvolle Sicherheitsnetze oder gefährliche Terrorzellen?

Die europäischen Staaten un-
terhielten während des Kalten
Krieges Geheimarmeen. In
einem Buch schreibt der
Schweizer Forscher Daniele
Ganser, dass diese auch in
Terroranschläge verwickelt
gewesen seien – eine brisante
Aussage vor dem Hintergrund
des heutigen «Anti-Terror-
Kriegs». Der Autor wirft auch
die Frage auf, ob dies unter
veränderten historischen
Bedingungen wieder der Fall
sein könnte.

Die grösste Militärallianz der Welt,
die Nato, hat sich seit dem Ende
des Kalten Krieges stark verändert.
Ursprünglich als Verteidigungs-
allianz für Westeuropa und die
USA gegen die Sowjetunion aufge-
baut, versteht sich die Nato heute
zunehmend als globale Anti-Ter-
ror-Allianz. Dass die Nato im Kal-
ten Krieg in ganz Westeuropa
Geheimarmeen unterhalten hat,
die in einigen Ländern in Terroran-
schläge verwickelt waren, wird erst
heute entdeckt und untersucht.
Andreotti bringt Stein ins Rollen
Dass es die Nato-Geheimar-
meen gab – Fachjargon: Stay-be-
hind-Armeen –, wurde erstmals im
Herbst 1990 in Italien durch Minis-
terpräsident Giulio Andreotti offi-
ziell bestätigt: In Italien, erklärte
Andreotti dem erstaunten Senat,
sei die Geheimarmee unter dem
Decknamen «Gladio» – das
Schwert – als geheime Unterabtei-
lung im Verteidigungsministerium
innerhalb des militärischen Ge-
heimdienstes angesiedelt. Ihr Auf-
trag sei es, im Falle einer Invasion
und Besetzung des Landes hinter
den feindlichen Linien den Gueril-
lakampf aufzunehmen und eine
Untergrundarmee zu bilden.
Unter heftigen Protesten be-
stätigte Andreotti, dass die Ge-
heimarmee noch aktiv sei und dass
der US-Auslandgeheimdienst CIA
nach dem Zweiten Weltkrieg dem
italienischen militärischen Ge-
heimdienst dabei geholfen habe,
«Gladio» aufzubauen und über
Jahrzehnte hinweg zu leiten. Die
linke Opposition übte schärfste
Kritik an der geheimen CIA-Armee
im Lande – und «Gladio» wurde
aufgelöst.

Um den innenpolitischen
Druck zu mildern, wies Andreotti
im Winter 1990 wiederholt darauf
hin, dass Stay-behind-Armeen in
allen Ländern Westeuropas exis-
tierten und dass die CIA und der
britische Auslandgeheimdienst
MI6 jeweils Aufbau, Ausrüstung,
Training und Koordination der Ge-
heimnetze leiteten. Ein geheimer
Ausschuss der Nato koordiniere
die Geheimarmeen.
Einige Regierungen, so jene von
Präsident François Mitterrand in
Frankreich, bestritten die Existenz
ihrer Geheimarmeen. Worauf And-
reotti erbarmungslos weitere sen-
sible Daten an die Presse weiter-
reichte und betonte, dass auch der
französische militärische Geheim-
dienst am letzten geheimen Stay-
behind-Treffen in Brüssel am
23. Oktober 1990 teilgenommen
habe. Darauf musste auch Paris die
Existenz einer Geheimarmee mit
einiger Verlegenheit zugeben.
Nato behindert Forschung
Die schwierige Quellenlage und
die strikte Weigerung von Nato,
CIA und MI6, über das Thema zu
sprechen, haben die historische
Erforschung dieses Bereichs in den
letzten Jahren erheblich behin-
dert. Aufgrund von Studien des
Center for Security Studies (CSS)
der ETH Zürich lässt sich heute
aber die direkte Beteiligung von
CIA und MI6 durch ehemalige
Agenten bestätigen. Zudem ist
jetzt auch bekannt, dass die Nato
über zwei geheime Unterabteilun-
gen der Supreme Headquarters Al-
lied Powers Europe (Shape) im bel-
gischen Mons die Stay-behind-Ar-
meen koordinierte: das Allied
Clandestine Committee (ACC)
und das Clandestine Planning
Committee (CPC).

Im Weiteren ist erwiesen, dass
Geheimarmeen in der Tat in den
Nato-Ländern Italien, Frankreich,
Deutschland, Spanien, Portugal,
Griechenland, Türkei, Belgien, Lu-
xemburg, Niederlande, Dänemark
und Norwegen wie auch in den
neutralen Ländern Schweden,
Schweiz, Österreich und Finnland
existierten (siehe Kasten).
Geheimes Sicherheitsnetz
Als die ersten Konturen der Ge-
heimarmeen 1990 entdeckt wur-
den, sprach die internationale
Presse vom «bestgehüteten, ge-
fährlichsten politisch-militäri-
schen Geheimnis seit dem Zweiten
Weltkrieg» («The Observer»). Noch
heute kreist die Forschung um die
Kernfrage, ob es sich bei diesen
Geheimarmeen um wertvolle Si-
cherheitsnetze für den Invasions-
fall oder nicht viel eher um illegale,
gefährliche Terrorzellen handelte.
Die paradoxe Antwort auf diese
Frage lautet: beides.
Die Stay-behind-Armeen waren
dem Volk, dem Parlament und den
meisten Regierungsmitgliedern
unbekannt und bildeten in ganz
Westeuropa ein unsichtbares, ko-
ordiniertes, geheimes Sicherheits-
netz. In einigen Ländern, aber
nicht in allen, mutierten die Si-
cherheitsnetzejedoch auch zu Ter-
rorzellen.

Im Kontext der gegenwärtigen
Terrorismusforschung interessiert
natürlich vor allem die Frage, unter
welchen historischen Umständen
die Geheimarmeen zu Terrorzellen
werden konnten, welche Ziele mit
den Terroranschlägen verbunden
waren und in welchem Grad diese
Mutation lokal erfolgte oder vom
Pentagon, von der Nato, von der
CIA oder vom MI6 planmässig ge-
steuert wurde.
Unter den vom Terror verschon-
ten Ländern befindet sich zusam-
men mit Dänemark, den Nieder-
landen, Luxemburg und Finnland
auch die Schweiz. Inanderen Län-
dern, darunter Italien und die Tür-
kei, waren die Geheimarmeen
durch die so genannte «Strategie
der Spannung» in Terroranschläge
verwickelt.

«Strategie der Spannung»
Ministerpräsident Andreotti
hatte die Existenz der Geheim-
armeen nicht freiwillig bestätigt,
sondern war durch die For-
schungsresultate von Richter Feli-
ce Casson dazu gezwungen wor-
den. Casson hatte über mehrere
Jahre Terroranschläge in Italien
untersucht, vor allem jenen von
Peteano 1972, und hatte schliess-
lich «Gladio» und die «Strategie der
Spannung» entdeckt. «Diese zielt
darauf ab», so schreibt Casson, «in-
nerhalb des Landes Spannung zu
erzeugen, um konservative, reak-
tionäre soziale und politische Strö-
mungen zu stärken. Während die-
se Strategie ausgeführt wurde, war
es notwendig, die Drahtzieher zu
schützen, da verschiedene Fakten
auf sie hinwiesen. Zeugen haben
also Informationen zurückgehal-
ten, um rechtsextreme Täter zu
schützen.»

Neben dem äusseren Feind, der
Sowjetunion, bekämpfte die anti-
kommunistische Geheimarmee
zusammen mit rechtsextremen
Terroristen auch einen inneren
Feind, wie Casson entdeckte: die
starke Kommunistische Partei
(PCI) und die kleinere Sozialisti-
sche Partei (PSI). Washington, Lon-
don und der italienische militäri-
sche Geheimdienst befürchteten,
dass der Einzug der Kommunisten
in die Regierung die Nato von in-
nen heraus schwächen könnte.
Um dies zu verhindern, wurde das
Volk manipuliert: Rechtsextreme
Terroristen führten Anschläge aus,
diese wurden durch gefälschte
Spuren dem politischen Gegner
angelastet, worauf das Volk selber
nach mehr Polizei, weniger Frei-
heitsrechten und mehr Überwa-
chung durch die Nachrichten-
dienste verlangte. Hinter den
Kulissen schützten die Nachrich-
tendienste über Jahre die Täter
und flogen sie bei Bedarf auch ins
Spanien Francos aus.

Teuflische Strategie
«Man musste Zivilisten angrei-
fen, Männer, Frauen, Kinder, un-
schuldige Menschen, unbekannte
Menschen, die weit weg vom poli-
tischen Spiel waren», erklärte der
Terrorist Vincenzo Vinciguerra, der
von Casson als Täter des Anschlags
von Peteano überführt wurde.
«Der Grund dafür war einfach. Die
Anschläge sollten das italienische
Volk dazu bringen, den Staat um
grössere Sicherheit zu bitten. Diese
politische Logik liegt all den Mas-
sakern und Terroranschlägen zu
Grunde, welche ohne richterliches
Urteil bleiben, weil der Staat sich ja
nicht selber verurteilen kann.»
Die teuflisch ausgeklügelte
Strategie funktionierte und trug
dazu bei, dass die im Parlament
stark vertretenen italienischen
Kommunisten nie eine Regierung
bilden konnten und dass auch die
Sozialisten stark geschwächt wur-
den.

Nato bekämpfte Kurden
In der Türkei bekämpfte die
Nato-Geheimarmee – unterstützt
von der CIA unter dem Deckna-
men «Counter-Guerrilla» – die
Kurden und war gemäss türki-
schen Quellen an verschiedenen
Folteraktionen und am Taskim-
Platz-Massaker vom Jahre 1977 be-
teiligt. Bülent Ecevit, der während
seiner langen politischen Karriere
mehrmals als Ministerpräsident
der Türkei diente, kritisierte wie-
derholt, dass die «Counter-Guer-
rilla» jenseits aller demokratischen
Kontrolle operiere und dabei Men-
schenrechte schwer verletze.Ver-
teidigungsminister Safa Giray ver-
anlasste dies 1990 zum Kommen-
tar: «Ecevit sollte lieber sein dum-
mes Maul halten.»

Der türkische General Talat Tur-
han wurde nach dem Militär-
putsch von 1971 durch die «Coun-
ter-Guerrilla» gefangen genom-
men und gefoltert, worauf er in
aller Öffentlichkeit protestierte:
«Das ist die geheime Einheit der
Nato-Länder!» Seine Kritik wurde
nicht gehört, worauf er drei Bücher
zum Thema schrieb. «Als in Italien
im Jahre 1990 eine Untergrund-
armee mit dem Namen ,Gladio‘
entdeckt wurde», schrieb Turhan,
«organisiert durch die Nato und
kontrolliert durch die CIA, kamen
türkische und ausländische Jour-
nalisten zu mir und publizierten
meine Berichte, da sie wussten,
dass ich schon seit 17 Jahren dieses
Gebiet untersuchte.»
Umtriebe auch in Deutschland
In Deutschland, so zeigen die
Daten, wurde ein Teil der Geheim-
armee schon 1952 durch das frei-
willige Geständnis des ehemaligen
SS-Offiziers Hans Otto entdeckt.
Otto erklärte der erstaunten Krimi-
nalpolizei in Frankfurt, dass er zu-
sammen mit 100 weiteren Getreu-
en einer geheimen Widerstands-
gruppe angehöre, welche für den
Fall einer sowjetischen Invasion
trainiere,geheime Waffenlager un-
terhalte und dafür von den Ameri-
kanern unterstützt werde.

Gemäss Otto hatte die Ge-
heimarmee «Bund Deutscher Ju-
gend – Technischer Dienst» (BDJ-
TD) auch den innenpolitischen
Feind im Auge: die Mitglieder der
Deutschen Kommunistischen
Partei und der SPD, von denen ei-
nige gemäss detaillierten «Pros-
kriptionslisten» im «Ernstfall»
umgebracht werden sollten, da
man sie der Kollaboration mit
dem Feind verdächtige. Die Poli-
zei sicherte darauf die «Proskrip-
tionslisten», welche im hessi-
schen Landesparlament zu gros-
ser Aufregung führten, und inhaf-
tierte einige rechtsextreme BDJ-
TD-Mitglieder.
Zur Bestürzung der Politiker
ordnete hierauf die Bundesanwalt-
schaft die Freilassung der Geheim-
armee-Mitglieder an, was den hes-
sischen Ministerpräsidenten Au-
gust Zinn zu zorniger Ironie veran-
lasste: «Die einzige juristische Er-
klärung für diese Feilassung kann
nur sein, dass die Richter in Karls-
ruhe erklärt haben, dass sie unter
der Anweisung der Amerikaner
stehen.»

Die Verbindungen der deut-
schen Geheimarmee zum rechts-
extremen Milieu wurden in der
Folge nicht weiter untersucht.
Waffen- und Sprengstofflager der
Geheimarmee wurden gemäss
den Aussagen der rechtsextremen
Terroristen der Wehrsportgruppe
Hoffmann für den Bombenan-
schlag am Oktoberfest 1980 in
München verwendet; 13 Men-
schen kamen damals ums Leben,
213 wurden verwundet.
Geheimdienste und Terror
Man darf davon ausgehen, dass
es die Geheimarmeen heute in den
meisten Ländern nicht mehr gibt.
Die damit verbundene Strategie
kann aber theoretisch unter neuen
Vorzeichen jederzeit wieder akti-
viert werden. Die frühereVerwick-
lung von Geheimdiensten in terro-
ristische Handlungen ist natürlich
äusserst problematisch. Und zwar
deshalb, weil sich die westlichen
Demokratien im so genannten
«Krieg gegen den Terrorismus»
heute in erster Linie auf die Ge-
heimdienste verlassen und es dazu
keine Alternative gibt.

Einige Nachrichtendienste leis-
ten dabei zwar hervorragende Ar-
beit. Andere waren aber selber in
Terroranschläge und Manipulatio-
nen verwickelt. In Griechenland
zum Beispiel war die Geheimar-
mee LOK zusammen mit dem Ge-
heimdienst KYP am Militärputsch
von 1967 beteiligt. In Frankreich
stellte sich die Geheimarmee zu-
sammen mit der Organisation Ar-
mée Secrète (OAS) gegen die Regie-
rung von de Gaulle, als dieser Alge-
rien in die Unabhängigkeit entlas-
sen wollte und darauf vom eigenen
Militär mit Terror bekämpft wurde.
Die Ereignisse rund um die Nato-
Geheimarmeen müssen daher un-
ter der Mitarbeit der Geheimdiens-
te geklärt werden, damit ein neues
Vertrauensverhältnis geschaffen
werden kann.

  • DANIELE GANSER ist Senior
    Researcher am Center for Security
    Studies (CSS) der ETH Zürich. Sein
    Buch «NATO’s Secret Armies.
    Operation Gladio and Terrorism
    in Western Europe» ist eben beim
    Frank-Cass-Verlag in London
    erschienen. Das Buch behandelt
    ausschliesslich die Nato-Länder.
    INFORMATIONEN: Zum CSS-For-
    schungsprojekt: http://www.isn.
    ethz.ch/php/collections/coll_
    gladio.htm

Die Schweizer Geheimarmee

In der Schweiz wurde die Ge-
heimarmee P-26 durch die Parla-
mentarische Untersuchungs-
kommission des Eidgenössi-
schen Militärdepartementes
(PUK-EMD) unter der Leitung
von Ständerat Carlo Schmid im
November 1990 aufgedeckt. Ihre
Struktur und Mission wurden im
Abschlussbericht öffentlich do-
kumentiert. Darauf wurde die
P-26 aufgelöst, ihr letzter Kom-
mandant Efrem Cattelan seiner
Funktion enthoben, und ihrege-
heimen Waffenlager wurden in
die regulären Bestände der Ar-
mee übergeführt.

Die Untersuchungen der
PUK-EMD waren durch die «Fi-
chenaffäre» ausgelöst worden
und erfolgten unabhängig von
der Stay-behind-Debatte in den
Nato-Ländern. Die Geheim-
armee P-26 war weder in der
Schweiz noch im Ausland in Ter-
roranschläge verwickelt und be-
reitete sich ausschliesslich auf
den Besetzungsfall und den Wi-
derstandskampf vor.

Nachdem das Parlament Hin-
weise über Nato-Geheimarmeen
in ganz Westeuropa erhalten hat-
te, wurden die Verbindungen der
P-26 zum Nato-Netz 1991 im Be-
richt Pierre Cornu untersucht,
der zum grössten Teil als geheim
klassifiziert bleibt.
Der öffentlich zugängliche Teil
des Berichtes Cornu bestätigt die
engen Verbindungen der P-26
mit dem britischen Auslandge-
heimdienst MI6. Für den Fall der
Besetzung der Schweiz durch
fremde Truppen wurde durch
Mitglieder der Geheimarmee in
Irland eine Exilbasis für die
Schweizer Regierung vorberei-
tet. Mitglieder der P-26 trainier-
ten in England und britische Eli-
tesoldaten überwachten das
Training der P-26 in der Schweiz.
Gemäss Einschätzung des Bun-
desrats lag jedoch keine Verlet-
zung der Neutralität vor.(dgz)

http://www.php.isn.ethz.ch/news/mediadesk/documents/bund_20_12_2004.pdf

Source: www.php.isn.ethz.ch