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17.05.2007

Das Recht auf Widerspruch

Vor dem Weltwirtschaftsgipfel ist Deeskalation angesagt, sonst droht ein neues "Genua". Damit ist kein Schmusekurs mit Gewalttätern gemeint - es geht um kluge Konzepte, Protest in friedliche Bahnen zu lenken.

Von Heribert Prantl

Vor genau fünf Jahren hat der Bundespräsident, er hieß damals Johannes Rau, der deutschen und der internationalen Politik in einer großen Rede zu erklären versucht, was man machen kann und machen muss, damit aus der Angst vor Globalisierung nicht Gegnerschaft zu Demokratie und Rechtsstaat wird. Die Rede stand unter der Überschrift "Globalisierung verantwortungsvoll gestalten".

Man sollte sie den Teilnehmern der G-8-Konferenz in die Tagungsmappe legen, noch besser: vorab zuschicken. Auch der Generalbundesanwältin, dem Verfassungsschutz und den Polizeiführern könnte es nicht schaden, einen Blick ins Web zu werfen - nicht nur dorthin, wo man die Spuren von echten und angeblichen "Chaoten" und "Extremisten" findet, sondern auch dahin, wo sich diese Mahnung von Rau findet.

Es war ein Appell wider den Fatalismus: Der Bundespräsident rief damals dazu auf, die Globalisierung nicht einfach über sich ergehen zu lassen. Er forderte von den Industrieländern, vom freien Welthandel nicht nur dann zu reden, wenn es ihnen nutzt, sondern ihre Märkte "für alle Produkte der Entwicklungsländer" zu öffnen.

Und er sagte dem einzelnen Bürger, wie er "zum fairen Welthandel beitragen" kann - wenn er, zum Beispiel, beim Kauf eines Teppichs auf das Symbol achtet, welches garantiert, dass die Ware nicht von Kindern geknüpft worden ist. Manche Rau-Kritiker haben damals gesagt, das sei nun doch ein wenig naiv. So naiv war das gar nicht; beim Anteil der Produkte mit dem Transfair-Siegel ist noch sehr viel Spielraum nach oben.

Fertigmachen zum Abferkeln!

Rau hat damals nicht nur den guten Verbraucheronkel gespielt, sondern auch den multinationalen Unternehmen heftig ins Gewissen geredet und die Deutschen dazu aufgefordert, ihnen im Internet auf die Finger zu schauen. Wer hält sich an den "global compact", wozu der UN-Generalsekretär 1999 aufgefordert hat? Wer hält sich also an die Verpflichtungen, an allen Produktionsstätten auf die Menschenrechte zu achten und weder Zwangsarbeit noch Kinderarbeit zu nutzen?

Sicher: Die Globalisierungskritiker von Heiligendamm tun schon einiges mehr, als den multinationalen Unternehmen nur auf die Finger zu schauen. Einige hauen auch. Sie pflegen in ihren Flugblättern nicht die abgewogene Ausdrucksweise eines Bundespräsidenten. Nein: Gewaltfrei ist die Szene nicht.

Aber der Weg von Sachbeschädigungen zum Terrorismus ist weit. Wenn die Generalbundesanwältin und die Sicherheitsbehörden da eine schnelle Klammer ziehen, eskalieren die Auseinandersetzungen. Wenn kleingewalttätige Demonstranten zu Terroristen gemacht werden, wenn der ohnehin schon sehr ausgedehnte Paragraph 129a StGB (der die Bildung und die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung als Verbrechen bestraft) noch weiter aufgeblasen wird - dann kann es passieren, dass die letzten Dinge schlimmer sein werden als die ersten.

Es ist hochproblematisch, wenn erst die Paragraphen zurechtgedreht werden, um Großrazzien machen zu können und dann der Chef der Polizei-Gewerkschaft diese Großrazzien als Beweis für die gewalttätige Radikalisierung der Szene nimmt. Soll es in deutschen Städten zu einem Genua kommen, zu Exzessen wie 2001 beim Weltwirtschaftsgipfel in der italienischen Hafenstadt?

Mit diesen Durchsuchungsaktionen gegen eine echt oder angeblich gewaltbereite Szene werden die Leute massiv eingeschüchtert, die friedlich, aber mit den Mitteln des zivilen Ungehorsams gegen den Weltwirtschaftsgipfel demonstrieren wollen. Das kann gefährlich eskalierend wirken. Das Mahnmal für Deeskalation kann man in Berlin-Charlottenburg besichtigen - ein Bronze-Relief, das Alfred Hrdlicka geschaffen hat. Dazu gibt es den Text: "Am 2. Juni 1967 wurde der Student Benno Ohnesorg im Hofe des Hauses Krumme Straße 66 während einer Demonstration gegen den tyrannischen Schah von Persien von einem Polizisten erschossen."

Sein Tod vor vierzig Jahren war ein Signal für die beginnende studentische und außerparlamentarische Bewegung, für den Protest gegen Ausbeutung in den Ländern der Dritten Welt und den "Kampf" für radikale Demokratisierung in Deutschland. Dieser Protest mündete auch deswegen in Exzessen, weil der Staat so repressiv darauf reagiert hat.

"Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Die staatlichen Behörden sind gehalten, versammlungsfreundlich zu verfahren und nicht ohne zureichenden Grund hinter bewährten Erfahrungen zurückzubleiben." Diese Leitsätze entstammen der Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1985. Gelten sie nicht mehr? Stammen sie aus einer vergangenen Zeit, als die Welt noch friedfertiger war?

11 mal 9 mal 2001

Heute werden alle sicherheitsbedrohlichen Erkenntnisse mit 11, mit 9 und mit 2001 multipliziert. Auch damals, bei den Demonstrationen gegen die Kernenergie, ging es hoch und manchmal gewalttätig her - doch gab es, vom höchsten Gericht gefordert, zwei eindeutige Vorgaben für das Handeln der staatlichen Organe: Achtung der Demonstrationsfreiheit und Deeskalation. Soll es nun wieder heißen: Knüppel aus dem Sack, Helm auf und fertigmachen zum "Abferkeln"! So hieß damals im Jargon der mobilen Polizeikräfte ein rücksichtsloser Einsatz.

Sicherlich: Die Behörden wollen dafür sorgen, dass der G-8-Gipfel ungestört verläuft und sich Deutschland von seiner schönen Seite zeigt. Was macht man da? Alle Demos verbieten? Solch demokratischen Analphabetismus hat das Bundesverfassungsgericht den Staatsorganen im Brokdorf-Urteil auszutreiben versucht. Danach muss die Polizei zweierlei schaffen: Gewalttätigkeiten verhindern und das Demonstrationsrecht schützen.

Polizei und Justiz hatten seitdem gelernt, dass zur funktionierenden Demokratie das Recht auf Widerspruch gehört; und sie hatten gelernt, wie man mit dem Widerspruch umgehen soll, wenn er gewalttätig zu werden droht. Man hatte gelernt, dass die Gewalttätigen das Gesetz des Handelns in der Hand haben, wenn der Staat nur mit Tränengas und Wasserwerfern antwortet.

Deeskalation ist ja nicht Schmusekurs mit Gewalttätern, sondern intelligenter Einsatz polizeilicher Stärke - es geht um kluge Konzepte, Protest in friedliche Bahnen zu lenken. Von dieser Klugheit möchte man vor dem Weltwirtschaftsgipfel in Heiligendamm bitte noch einiges merken.

(SZ vom 11. Mai 2007)