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2007-06-07

junge Welt: "Unglaubliche Brutalität gegen Kundgebung"

Anwaltlicher Notdienst kritisiert Polizeiübergriffe und Schikanen gegen G-8-Gegner. Ein Gespräch mit Michael A. Hofmann

* Michael A. Hofmann ist Rechtsanwalt und Mitglied des Bundesvorstandes des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV). Zur Zeit gehört er zum "Anwaltlichen Notdienst" in Rostock

Die Debatte über die Anti-G-8-Proteste dreht sich derzeit vor allem um die Gewalt autonomer Gruppen bei der Großdemonstration am Sonnabend in Rostock. Inwiefern gerät dadurch die Polizeigewalt gegenüber Demonstranten in den Hintergrund?

Nach unserer Beobachtung haben sich am Samstag die Demonstranten gegen einen stundenlangen, unverhältnismäßigen Polizeieinsatz gewehrt, bei dem mit unglaublicher Brutalität gegen eine bis dahin weitgehend friedliche Kundgebung vorgegangen wurde. Wir sind im Moment damit konfrontiert, daß im Bewußtsein der deutschen Leserschaft die großformatigen Schlagzeilen der Bild-Zeitung und anderer bürgerlicher Postillen dominieren. Leider ist das Bewußtsein in unserer Gesellschaft noch nicht so weit entwickelt, einzusehen, daß auch Polizisten Straftaten im Amt begehen können.

Wie hoch ist die Zahl der rechtswidrigen Polizeiaktionen und Schikanen, die Sie vor Ort bisher erlebt und dokumentiert haben?

Wir können vom Anwaltlichen Notdienst, der vom RAV zusammen mit der Strafverteidigervereinigung Mecklenburg-Vorpommern sowie der Rechtsanwaltskammer vorbereitet und durchgeführt wird, keine gesicherten Zahlen wiedergeben. Zumal wir auch nicht pauschal davon sprechen können, daß jede Aktion der Polizei per se tatsächlich rechtswidrig gewesen sein muß. Aber wir können schon sagen, daß weder Anzahl noch Intensität der Übergriffe durch irgend etwas zu rechtfertigen sind.

Ist es bereits zu sogenannten Schnellgerichtsverfahren gekommen?

Ja, am Dienstag wurde ein junger Mann wegen schwerem Landfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten ohne Bewährung verurteilt. Er befindet sich aber nach wie vor auf freiem Fuß, da der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt worden ist. Die Verhandlungen gegen die anderen acht in U-Haft Befindlichen werden am heutigen Mittwoch durchgeführt.

Sowohl bei der Demonstration gegen den ASEM-Gipfel in Hamburg als auch bei den derzeit rund um Heiligendamm stattfindenden Anti-G-8-Protesten hat die Polizei auf Mitglieder Ihres Verbandes eingeprügelt, die sich klar als Demonstrationsbeobachter zu erkennen gegeben haben. Können Sie Ihrer anwaltlichen Tätigkeit überhaupt noch nachkommen?

Im wesentlichen schon. Wir erleben aber immer wieder auf der Straße, wenn wir Demonstrationen begleiten oder Festgenommenen anwaltlichen Beistand zukommen lassen wollen, wüste Beschimpfungen durch Polizisten, wie etwa "Hau ab, Du Arschloch, oder ich hau Dir eine in die Fresse!". Auch wurden Kollegen von Polizisten geschubst und zu Boden geworfen. Und wir sind damit konfrontiert, daß viele Menschen nicht nachvollziehen können, daß Anwälte auch Steinewerfer verteidigen. Aber jeder einer Straftat beschuldigte Mensch hat einen grundgesetzlich garantierten Anspruch auf Rechtsschutz, also auf anwaltlichen Beistand. Und bis zu seiner rechtskräftigen Verurteilung gilt für ihn ebenfalls die grundrechtsgeschützte Unschuldsvermutung. Die Behinderung von uns Anwälten besteht im wesentlichen darin, daß die Polizei uns den Zugang zu Mandanten verwehrt oder nicht in jeder Gefangenensammelstelle Anwaltszimmer zur Verfügung stellt.

Selbst der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler hat in einem Interview betont, sich - sollte er Opfer von Polizeiübergriffen werden - zur Wehr zu setzen. Warum wird dieses Recht auf Notwehr den autonomen Globalisierungsgegnern sogar von den eigenen Bündnispartnern abgesprochen?

Das kann ich nicht beantworten. Der RAV gehört nicht zu den Organisatoren der G-8-Proteste. In der momentanen Situation kann es nicht Aufgabe des Anwaltlichen Notdienstes sein, die Diskussion um legitime und legale Notwehr zu führen. Uns geht es jetzt darum, konkret beschuldigten Menschen zu helfen; dabei sind wir durchaus parteilich - nämlich immer dann, wenn rechtsstaatliche und grundgesetzliche Standards nicht eingehalten werden.

Interview: Markus Bernhardt

* Opfer von Polizeiübergriffen oder Inhaftierte können sich unter der Telefonnummer 038204/768111 an den Anwaltlichen Notdienst wenden

[http://www.jungewelt.de/2007/06-06/033.php]