Beim G8-Gipfel sollen offenbar
nicht nur Demonstranten von
Heiligendamm ferngehalten wer-
den, sondern auch Anwälte von
ihren Mandanten. Jedenfalls üben
Strafverteidiger in Mecklenburg-
Vorpommern heftige Kritik an der
zuständigen Polizei.
Zur Sicherung rechtsstaatlicher Verfahren in der Zeit der Proteste rund um den G-8-Gipfel haben die Vereinigung der Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger Mecklenburg Vorpommern (VdSMV) und der Republikanischen Anwaltsverein (RAV) einen anwaltlichen Notdienst eingerichtet. Um zu einem reibungslosen Ablauf der Großveranstaltung beizutragen, streben die Anwältinnen und Anwälte verbindliche Absprachen und konkrete Zusagen seitens der “Besondere Aufbau Organisation der Polizei” (BAO) “Kavala” der Polizeidirektion Rostock für die bevorstehenden Polizeieinsätze im Rahmen der G8 Proteste an. Doch die BAO “Kavala” verweigert bisher offenbar jede Kooperation mit dem anwaltlichen Notdienst.
Der Republikanische Anwaltsverein beklagt inzwischen, dass der Paragraph 129a zur “Allzweckwaffe staatlicher Verfolgung” zu mutieren scheine. Entsprechende Verfahren würden später “in den meisten Fällen eingestellt und dienten in letzter Zeit oft lediglich zur Einschüchterung und Ausforschung funktionierender oppositioneller Strukturen”, sagt Britta Eder, Mitglied im Bundesvorstand des RAV.
Zur Sicherung von Freiheits- und Grundrechten und zur Vermeidung willkürlichen Polizeihandelns seien Vereinbarungen zwischen Polizei und Anwaltschaft im Vorfeld derartiger Großereignisse notwendig. Nur auf diese Weise könne Rechtsverstößen seitens der Staatsgewalt effektiv vorgebeugt werden. Nur dann sei eine adäquate anwaltliche Arbeit für die von Polizeimaßnahmen Betroffene gewährleistet, mahnen die AnwältInnen.
Zur Sicherung der rechtsstaatlichen Vorgaben wurden die Verantwortlichen der BAO “Kavala” durch den anwaltlichen Notdienst bereits am 3. April mündlich in einem gemeinsamen Gespräch und nach zugesagter, aber nicht erteilter Antwort schriftlich zu verbindlichen Zusagen aufgefordert. Bis zum heutigen Tag erhielten die AnwältInnen jedoch keine Antwort von der BAO “Kavala”. Ihnen geht es vor allem darum, dass sie ihren Beruf frei ausüben können und ihrer MitarbeiterInnen Zugang zu Betroffenen in den Gefangenensammelstellen und im möglicher Weise in Sperrzonen befindlichen “Einsatzraum”, etwa in einem so genannten polizeilichen “Kessel” erhalten.
Die AnwältInnen wollen sicher stellen, dass Grundrechte, wie etwa Telefonate für Betroffene einer freiheitsentziehenden Maßnahme, eingehalten werden. Sie wollen unverhältnismäßige Polizeimaßnahmen verhindern, wie die erkennungsdienstliche Behandlung trotz mitgeführtem Ausweis oder die Anfertigung von Fotos bei jeder Festnahme. Zudem wollen die AnwältInnen dafür sorgen, dass eine zeitnahe Richtervorführung auch bei Freiheitsentziehungen “im freien Felde” gewährleistet ist, die Gefangenensammelstellen mit Anwaltszimmern und ausreichenden Besprechungsräumen ausgestattet und die Ansprechpartner des Führungs- und Lagestabes der Polizei bekannt sind.
“Die Verweigerungshaltung der BAO ‘Kavala’ werten wir als mangelnde Kooperationsbereitschaft mit dem anwaltlichen Notdienst. Die genannten Fragen sind im Rahmen der Castor-Transporte und anderer Großveranstaltungen einschlägig als Probleme bekannt. Die Rechte der Betroffenen und ihrer Anwälte sind durch zahlreiche gerichtliche Entscheidungen bestätigt worden”, so Britta Eder.
Der RAV befürchtet aufgrund der bisherigen Kooperationsverweigerung, dass seitens der BAO “Kavala” wenig Interesse an der Anwendung einer deeskalierenden Polizeistrategie besteht. Die Tatsache, dass Zusagen nicht eingehalten werden, mache deutlich, dass sich die Polizei ihrer Verantwortung für einen reibungslosen Ablauf des G-8-Gipfels entziehe. “Der RAV hält demgegenüber die sofortige Erörterung der rechtlichen Verfahrensweisen für eine notwendige Voraussetzung einer rechtsstaatlich orientierten Bewältigung der skizzierten Problemlage” bekräftigt Britta Eder.
Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, Ulla Jelpke, hat unterdessen das Demonstrationsverbot rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm scharf kritisiert. Jelpke ist selbst Anmelderin des Sternmarschs am 7. Juni, der unter das Verbot fallen soll. Das Versammlungsverbot sei eine “undemokratische Willkürhandlung nach dem Vorbild der ‘Operation Schutzwall’ beim letzten G8-Gipfel 2006 im russischen St. Petersburg”, sagte Jelpke.
Tatsächlich lägen keinerlei konkrete Erkenntnisse über mögliche Gewalttaten oder gar Terroranschläge im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel vor. Das gehe auch aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke hervor. Bei 20 Brandanschlägen werde ein Zusammenhang mit dem Gipfel “vermutet”. Worauf sich diese Vermutung stützt, sei ebenso unklar wie der Zeitraum, in dem die Anschläge begangen wurden, so Jelpke.
Gefragt hatte Die Linke nach der Art der Anschläge und Anschlagsziele, dem entstandenen Schaden, einer möglichen Gefährdung von Menschen sowie Belegen über einen Zusammenhang mit dem G8-Gipfel wie etwa Bekennerschreiben. Jelpke: “Hier bleibt die Bundesregierung eine Antwort schuldig. Es liegen auch ‘keine konkreten Erkenntnisse über mögliche zukünftige Anschläge’ vor.”
Wissen wollte Die Linke auch, welche Gruppierungen, die sich an den Anti-G8-Protesten beteiligen wollen, von der Regierung als gewalttätig eingeschätzt werden. Dazu verweist die Bundesregierung laut der Bundestagsabgeordneten Jelpke auf geheimdienstliche “Erkenntnisse”, die geheim bleiben müssten, und auf eine “abstrakte Gefährdung”, die bei Großereignissen nie auszuschließen sei.
“Die Panikmache war ein Bluff, um die breiten Proteste gegen den G8-Gipfel bereits im Vorfeld zu kriminalisieren und Versammlungsverbote durchzusetzen”, sagte Jelpke. “Dieser Schuss geht nach hinten los. Denn für viele Kritiker des G8-Gipfels heißt es: Jetzt erst recht auf nach Heiligendamm.”
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