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2006-11-19

G8-Proteste in der BRD - Ein Rückblick

G-8-Proteste - ein Rückblick

EinBetagterHerrAusGöttingen

Sehr erfreulich zu lesen, wie massiv sich schon jetzt - ein dreiviertel Jahr davor - eine breite Protestbasis gegen den bevorstehenden G8-Gipfel in Heiligendamm entwickelt.

Anlass für mich, an diesem langweiligen Sonntagnachmittag zu versuchen, den jungen Aktivisten einen kurzen Rückblick darüber zu präsentieren, was sich bei den G8 (früher G7- bzw. Weltwirtschafts-) Gipfeln der vergangenen zwei Jahrzehnte so "auf der Straße" abspielte...vielleicht - oder hoffentlich - auch für viele hier ein Anreiz, nächstes Jahr erst recht zahlreich auf die Straße zu gehen. Ob friedlich oder militant...

WWG 1988

Kurz zu mir:
ein seriöser Herr jenseits der 40, der zu den wirklich spannenden Zeiten der Bewegung (die guten alten Achtziger Jahre) seine Studienzeit in der damals brodelnden Protesthochburg Göttingen verbrachte und als damaliger "Berufsdemonstrant", wie uns die Presse nicht ganz unrichtig taufte, so ziemlich alles mitgemacht hat, von den Bauplatzbesetzungen in Grohnde über den Anti-AKW-Kampf in Wackersdorf bis zu den abendlichen Mahnwachen nach Conny Wessmanns Tod.

Hier jedoch möchte ich mich auf das Protest- und Mobilisierungsgeschehen rund um die G8-Gipfel, die in der BRD stattfanden, konzentrieren. Ich könnte darüber dutzende Seiten schreiben, das würde aber viele Leser wahrschl. langweilen. Daher reihe ich die Ereignisse chronologisch auf. Bewusst habe ich die Proteste gegen die IWF-/Weltbanktagung in Berlin '88 mit aufgeführt; zwar kein G8-Gipfel, aber vom Anlaß, Sicherheitsaufwand und Repression damit durchaus vergleichbar.

Ergänzungen, Kritik, eventuelles Fotomaterial zu meinem Beitrag sind ausdrücklich willkommen, und es würde mich freuen, wenn sich anhand meines Postings eine Diskussion über effektive Widerstandsformen damals und heute entwickelt.

gut, dann lege ich mal los...

WELTWIRTSCHAFTSGIPFEL IN BONN (Mai 1985)

Vorangegangen war eine breite, von den öffentlichen Medien jedoch kaum wahrgenommene Mobilisierungskampagne, an der sich eine breite Basis von DGB und Grünen bis hin zu verschiedenen autonomen und antiimperialistischen Gruppen beteiligten. Mit in Bonn anwesend beim Gipfel war der meistgehasste Mann der westlichen Welt, der damalige US-Präsident Ronald Reagan. Interessantes Detail am Rande: angesichts der damaligen permanenten Bedrohung - man schrieb die Hochzeit des Kalten Krieges! - hatte Reagan ständig einen Assistenten im Schlepptau, der einen ominösen schwarzen Koffer bei sich trug...wie später zu erfahren war, befand sich in diesem Koffer eine Art Laptop-Einrichtung mit dem berühmten "roten Knopf", dessen Knopfdruck sofort Atomraketen Richtung Sowjetunion losgeschickt hätte! Reagan wollte sich die Rund-Um-die-Uhr-Möglichkeit eines nuklearen Krieges also auch während des Gipfels am Rhein aufrechterhalten.
Die Bullen waren damals schon mit einem Rekordaufgebot von 10 000 Beamten aus allen Bundesländern vor Ort.
Es gab zahlreiche sehr phantasievolle (und gewaltfreie) Aktionen gegen den Gipfel, so z.B. einen Gegengipfel sowie eine sog. "Spaßguerilla", die in ihrer Erscheinungsform eine Art politischer Karneval glich.
Zu der zentralen Großdemo gegen den Gipfel kamen aus meiner Erinnerung etwa 20- 25 000 Leute (nagelt mich bitte nicht fest mit exakten Zahlendaten!). Einen formierten Schwarzen Block wie 2 Jahre später bei der Berliner Reagan-Demo gab es meiner Erinnerung nach nicht, die Autonomen verteilten sich im gesamten Demo-Zug, viele hatten auch auf eine Vermummung verzichtet.
Die Bullen waren massiv sichtbar präsent, hielten sich aber mit Angriffen auf die Demo weitgehend zurück.
Nach Beendigung der Demo war der Bonner Münsterplatz mit Menschenmassen unterschiedl. politischer Lager gefüllt.
Eine Bulleneinheit aus Baden-Württemberg begann damit, einzelne Leute herauszugreifen, was von der Menge mit ausgiebigem Flaschen- und Steinbewurf beantwortet wurde, so daß die Cops (nur wenige trugen Plastikschilde) sich erstmal zurückziehen mussten.
Dieser dämliche und völlig überflüssige Bullenangriff bildete den Auftakt für eine etwa einstündige Schlacht auf dem Münsterplatz, in deren Verlauf Bullentrupps immer wieder vergeblich versuchten, in die Menschenmenge zu stoßen, aber immer wieder zurückgeschlagen wurden.
Ein heutzutage undenkbares Bild war das der autonomen Aktivisten aus Norddeutschland, die sogar Eisenstangen und -rohre dabeihatten und damit die Knüppelaktionen der Bullen sehr effektiv erwiderten. Einige Cops bekamen Stangenhiebe auf Helm und Körper und gingen zu Boden.
Zwischenzeitlich hatten die Bullen immer wieder sich komplett zurückgezogen, so daß es uns möglich war, ungestört dicke Pflastersteine auszugraben und damit die komplette Schaufensterfassade des Kaufhof zu entglasen.
Die Aktion wurde auch von vielen anwesenden Nicht-Militanten (DGB, Grüne) mit Beifall begrüsst.
nachdem auch einige Auslagen geplündert wurden, kam der erwartete Sturm der Cops:
Circa 30-40 Bullen eines Sondereinsatzkommandos (SEK) kamen auf den Platz gestürmt und prügelten wie die Geisteskranken wild auf alles ein, was rumstand. Die Masse hielt gut dagegen, die Bullen wurden massiv mit allen Arten von Wurfgeschossen eingedeckt. Ein einzelner SEK-Polizist, der im Übereifer blind in die Masse gerannt war, wurde der Helm vom Kopf gerissen und er erhielt eine ausgiebige Tracht prügel.
Nachdem auch diese SEK-Aktion missglückt war, ließen die Bullen den Münsterplatz komplett in Ruhe.
Meiner Erinnerung nach wurde trotz der exzessiven Steinwurf- und Entglasungsaktionen kaum Leute festgenommen.
Insgesamt ist zu sagen, das das Bullenvorgehen seinerzeit völlig planlos und konfus war, was auch zeitweise dafür sorgte, das die Aktionen unsererseits so folgenlos abliefen.

IWF-/ WELTBANKTAGUNG IN BERLIN (September 1988):

Auch heute noch wird im altlinken Spektrum viel darüber gestritten, was damals eigentlich schief lief, das trotz der Massendemos der militante Protest eigentlich kaum zum tragen kam. Die einen geben der damaligen zerstrittenheit insb. des Berliner autonomen Spektrums die Schuld, andere sind der Meinung, die enorme Notstands-Bullenstreitmacht hat jeglichen Versuch offensiver Widerstandsformen im Keim erstickt.
Die IWF-Tagung dauerte fast eine Woche und war der bis heute größte Bulleneinsatz der Berliner Nachkriegszeit.
Schon Monate zuvor wurde die gesamtdeutsche Linke mit einer Art präventiven Repressionswelle überzogen, die bis heute einmalig ist: Hausbesuche und -durchsuchungen von Hamburg bis Stuttgart, Bullenobservationen, Medienhetze (was durch den missglückten RAF-Anschlag auf Tietmeyer noch verstärkt wurde).
Wir reisten einige Tage vor Beginn der IWF-Tagung nach Berlin und wurden bereits am damaligen DDR-Grenzkontrollpunkt Helmstedt von westdeutschen Bullen bzw. grenzschützern gefilzt bis auf die Unterhose. Dieselbe Prozedur (Schikane) wiederfuhr uns dann am Westberliner Kontrollpunkt Dreilinden. Auch im Berliner Stadtgebiet überall Bullenkolonnen, es erinnerte an eine militärische Notstandsübung. Auffallend war die große Zahl von westdeutschen Bullenhundertschaften, die völlig desorientiert in der Gegend umherkarrten.
Das Vorhaben der angreisten Autonomen, Kreuzberg -SO36 wie im Vorjahr beim Reagan-besuch für nächtliche Kämpfe gegen die Bullenheere zu nutzen, ging komplett in die Hose, was an dem belagerungszustand der Bullen lag, aber auch an der erklärten Absicht vieler Berliner Aktivisten, den Protest raus aus dem Kiez in die Westberliner City zu tragen.
In den folgenden tagen gab es eine Reihe von Großdemos, u.a. vor den Siemens-Werken in Spandau, wo die Autonomen zwar deutlich präsent waren, militante Aktionen jedoch angesichts der hautnahen Bullenspaliere so gut wie unmöglich waren.
Bei Einbruch der Dunkelheit gag es wiederholt Scharmützel in der City-West, die sehr gelungen waren, u.a. wurden die anwesenden Bonzen-Säcke in einem Fall bei ihrem Abendessen im Kempinski gestört.
Auch gab es vereinzelt umgekippte Autos, aber die erhoffte Massenmilitanz lief während dieser Tage ins Leere.
Auf der zentralen Großdemo, die in Charlottenburg stattfand und u.a. auch in Sichtweite des Tagungsortes (ICC) kam, erschienen ca. 40 000 Menschen. Während der Demo gab es eine Brutalität von direkten Bullenangriffen auf die Demo, welche ich bis dato noch nicht erlebt hatte:
Der Berliner Innensenator (CDU-hardliner Kewenig) schien entschlossen, um jeden Preis das Vermummungsverbot durchzusetzen. Als herren fürs Grobe standen die damals noch existente, berüchtigte Berliner Prügel-Spezialeinheit EbLT, ca. 300 aus Bayern angekarrte USK-Schläger sowie andere Bulleneinheiten bereit, die mehrfach mit größter Gewalt die Demo auseinanderknüppelten. Der Höhepunkt dieser überzogenen Bullengewalt war der Angriff der Berliner EBLT-Schläger auf den lautsprecherwagen des autonomen Blocks, bei dem zahlreiche Aktivisten schwer verletzt wurden.
Insgesamt ist zu sagen, das aus meiner subjektiven Sicht der IWF-Protest total in die Hose ging, zumindest was die Form des militanten Widerstands anbelangt.

WELTWIRTSCHAFTSGIPFEL IN MÜNCHEN (Juni 1992):

Die Mobilisierung erfolgte ebenfalls bundesweit, blieb aber hinter denen der achtziger Jahre meiner Meinung nach deutlich zurück, zumindest was den autonomen Teil anbelangte. Der in den späten 90ern immer stärker zu beobachtende Trend der Protest- und Reisemüdigkeit des militanten autonomen Spektrums zeigte hier seine ersten Erscheinungen.
Die Bullenrepression war vergleichbar mit der der IWF-Tagung in Berlin, also überall Vorkontrollen, Überwachung auf Schritt und Tritt, Ausweiskontrollen und und...
Der Verlauf der Großdemo am Vortag des berühmten Münchner Polizeikessels verlief nahezu identisch mit der oben geschilderten in Berlin:
20 000 geschätzte Teilnehmer, u.a. auch ein eigener Lesbenblock des antiimp-Spektrums, seitlich ein relativ lockeres Bullenspalier. Abgesetzt standen eine riesige Anzahl von bayerischen USK-Einheiten sowie aus ganz Deutschland zusammengezogenen SEK's bereit.
Die SEK-Bullen, erkannbar an grauen Kampfanzügen, gingen einige Male kurz in die Demo, verhielten sich aber halbwegs
zivilisiert, während die USK-Trupps jeden noch so kleinen Anlaß nahmen, um mit brachialer Gewalt Leute aus dem Demo-Zug rauszugreifen. Anzumerken ist, das es zuvor keinerlei Angriffe aus der Demo gab, die derartige Bullenangriffe gerechtfertig hätten! Es gab keine Steinwürfe, keine Entglasungsaktionen etc.!
In einem Fall packten Aktivisten ein Transparent aus und zogen es seitlich auf, was scheinbar behördlich untersagt war und einen sofortigen USK-Knüppelangriff nach sich zog.
Die Abhandlung des am nächsten tag stattfinden Polizeikessel erspare ich mir hier, da sie den meisten noch in Erinnerung sein wird...es würde auch den Rahmen sprengen.

EU-GIPFEL IN ESSEN (Dezember 1994):

Eine eigentliche zentrale Demo fand nicht statt, da die Essener Behörde im Vorfeld eine Großdemo wegen zu erwartetem "unfriedlichen Verlauf" kurzerhand verboten hatte. Das Verbot hielt auch einer gerichtlichen Überprüfung seitens des Anmelders statt.
Trotz des Demo-Verbotes versammelten sich in der Essener Fußgängerzone bei Kälte und Nieselwetter ca. 1000 Leute, überwiegend des autonomen Spektrums. Eine sehr mutige Aktion, zumal sich die Menge auch noch zu einem geschlossenen Block formierte. bevor wir allerdings auch nur wenige Schritte laufen konnten, wurden wir komplett von SEK-Kommandos eingeschlossen. Die Folge war eine der größten Massenverhaftungen der letzten Jahrzehnte:
fast 1000 Leute wurden abgeführt und inhaftiert! Eine solche Massenverhaftung hatte ich zuvor nur bei der Hüttendorfräumung in Wackersdorf im Winter 85 erlebt.
Auch hier hatte es zuvor keinerlei militante Aktionen gegeben. Unsere bloße verbotene Anwesenheit reichte aus, damit der Rechtstaat BRD seine hässlichste Fratze zeigte.
Die Medien nahmen leider kaum Notiz von diesem rechtswidrigen Exzess am Rande des Gipfels.

WELTWIRTSCHAFTSGIPFEL IN KÖLN (Juni 1999):

Der aus meiner streng subjektiven Sicht schlechteste und lustloseste Gipfel-Protest aller Zeiten:
Im Vorfeld unsinnige Streitereien innerhalb der unterschiedl. linken Spektren, die davor sorgten, das die Proteste reine Latsch-Demos waren, die zudem noch zahlenmässig weit hinter den Erwartungen zurückblieben.
Eine Zahl jenseits der 10 000 Teilnehmer, wie noch Jahre zuvor in München, wurde bei weitem nicht mehr erreicht.
Es gab die üblichen Rangeleien mit den Bullen, aber keine spektakulären Polizeiexzesse wie in München oder Berlin.
Während bei den früheren Gipfeldemos der militante Teil deutlich präsent und sichtbar war, bildeten die Autonomen '99 in Köln lediglich eine Randerscheinung.

So, das war mein rein persönlicher Rückblick...
viele hier werden sich evtl daran stoßen, das ich an der Anti-WWG-Kampagne aus Köln kein gutes Licht lasse.
Aber auch die Linke muss sich meiner Meinung nach solchen kontroversen Disskussionen stellen, gerade im Hinblick auf den G 8 im kommenden Jahr.

Meine Prognose für Heiligendamm:
Die erhoffte Teilnehmerzahl von 100 000 bei der zentralen Demo in Rostock wird - leider - kaum erreicht werden.
Militante Aktionen verpuffen weitgehend wirkungslos, da es der militanten Linken der Gegenwart zum einen an der Mobilisierungskraft der 80er fehlt - zum anderen aber (und das muss man auch als Nostalgie-Altlinker einfach anerkennen) die Bullenstrategie heutzutage einfach weitaus effektiver ist als seinerzeit...


Images:

WWG 1988
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