Am 4. April 209 erreichten mehr als 200 AktivistInnen der Gruppe „NATO-ZU/Shut down NATO“ (eine internationale gewaltfreie Initiative, die von War Resisters` Internationational mit gegründet wurde) eine erfolgreiche gewaltfreie Blockade der nördlichen Zugangstraße zum Palais de Musique et de Congres, wo der NATO-Gipfel stattfand. Zur selben Zeit führten andere Gruppen der Koalition „Block-NATO“ (zu der „NATO-ZU/Shut down NATO“ gehört) mit 500 Menschen erfolgreiche Blockaden in der Innenstadt auf der Hauptstraße durch, die beide orangenen Zoneni verband (Av. de la Paix / Av des Vosges - Place de la République) und eine auf der Route du Rhin mit 500 Menschen. Im Ganzen nahmen mehr als 1000 Menschen an gewaltfreien Blockaden teil. Alle drei Blockaden blieben dort bis etwa 12 Uhr, als die SprecherInnenräte der Blockaden beschlossen, die Blockaden aufzuheben und sich der Demonstration anzuschließen.
Während die beiden Innenstadtblockaden anfangs von der Polizei mit Tränengas angegriffen wurden, beruhigte sich die Lage nach einiger Zeit und die Polizei entspannte ebenfalls.
Die gewaltfreie Blockade von Block-NATO und NATO-ZU/Shut down NATO zeigte, dass es sogar in solch einer eskalierten Situation möglich war, gewaltfrei zu blockieren und den Nato-Gipfel mit dieser Aktion zivilen Ungehorsams zu stören. Nach einem Bericht in der Badener Zeitung führten die Blockaden zur Umleitung des Konvoys der Staats- und Regierungschefs und störten die JournalistInnen, die den Gipfel beobachten wollten. Während später am Tag die Gewalt im Bereich des Straßburger Hafens ausbrach, wo die internationale Demonstration stattfand, stellte die sorgfältige Vorbereitung der Blockaden sicher, dass es keine Gewalt vonseiten der AktivistInnen gab.
Vorbereitung im Camp
Die Schlussvorbereitung für die Blockaden begann im Camp in der Rue de la Ganzau, im Süden Straßburgs. Das Camp war die Basis für eine große Bandbreite von AktivistInnen, von PazifistInnen zum sogenannten „Schwarzen Block“ (eine keinesfalls homogene Gruppierung) und vielen Leuten, die keine klare Zugehörigkeit hatten. Im Camp hatten Block-Nato und NATO-ZU/Shut down NATO ihr eigenes “barrio”, wo jeden Tag mindestens drei Einheiten Training in gewaltfreier Aktion stattfanden, wo Bezugsgruppen gebildet wurden, die VertreterInnen der Bezugsgruppen sich im SprecherInnenrat trafen und allgemein die ganze Planung und Vorbereitung für die Blockade stattfand.
Am 1. April trafen sich VertreterInnen von Block-NATO und NATO-ZU/Shut down NATO auch mit der Polizei, um die geplanten Aktionen Zivilen Ungehorsams, die Grundsätze der Gewaltfreiheit und die Rolle der Polizei-Kontaktpersonen als Kommunikationskanal zwischen der Polizei und dem SprecherInnenrat zu erläutern. Während die Polizei mit Interesse zuhörte, verpflichtete sie sich selbst nicht zu Gewaltfreiheit und bestand darauf, alle „angemessenen Mittel“ für die Auflösung von Blockaden zu nutzen, was den Gebrauch von Tränengas nicht ausschloss. Die Polizei machte auch klar, dass es ihre Arbeit sei, uns von unseren geplanten Aktionen abzuschrecken.
Daher schloss das Training in Gewaltfreiheit nicht nur Arbeit in Bezugsgruppen, Konsensfindung, Blockadetechniken und allgemeine Aspekte der Gewaltfreiheit ein, sondern auch eine Diskussion, wie mit Tränengas umzugehen sei, das für viele der TeilnehmerInnen etwas war, das sie vorher noch nicht erfahren hatten und das viele als beängstigend empfanden.
Während die TeilnehmerInnen sich für die Blockade vorbereiteten, spitzte sich die Lage in der Gegend rund um das Camp verschiedene Male zu. Am Donnerstagabend, nach einer Anti-Repressionsdemonstration in der Innenstadt von Straßburg, während der eine Menge Schaden angerichtet worden war, begleitete die Polizei Gruppen zum Camp zurück, und am nordöstlichen Eingang zum Camp feuerte die Polizei eine Menge Tränengas auf Gruppen von Leuten auf dem Feld. Als Konsequenz fingen die Leute an, Barrikaden an den übrigen Eingängen zum Camp aufzubauen.
Um hier einzugreifen, beschloss NATO-ZU/Shut down NATO, ein Campplenum einzuberufen, um zu diskutieren, wie mit der Lage umzugehen sei. Zur selben Zeit nahmen wir Kontakt auf zum Internationalen Koordinationskomitee (ICC), das den Gegengipfel und die Demonstration organisierte, und baten das ICC, einen Versuch zu machen, auf die Polizei einzuwirken, während wir versuchen würden, im Innern des Camps zu deeskalieren. Diese koordinierten Anstrengungen beruhigten schließlich die Lage, aber ein geplanter SprecherInnenrat von NATO-ZU/Shut down NATO wurde Opfer dieser Deeskalationsanstrengungen, da dafür keine Kapazität mehr übrig war.
Am Freitag, dem letzten Tag vor der Aktion, ging die Diskussion in den Bezugsgruppen und dem SprecherInnenrat hin zu Taktiken für die Aktion. Wir diskutierten die verschiedenen möglichen Blockadepunkte in unserer Gegend, ob die Bezugsgruppen sich mit einer, zwei oder drei Blockadepunkten gut fühlen würden und - vor allem - wie wir zu unserem Blockadebereich gelangen sollten. Zur selben Zeit gab es weitere Trainings, und neue Bezugsgruppen stießen zur Aktion und dem SprecherInnenrat hinzu. Bei einer Zählung am Nachmittag waren etwa 150 Menschen in NATO-ZU/Shut down NATO organisiert, eine Zahl, die nach der letzten Trainingseinheit am Nachmittag auf mehr als 200 anschwoll.
Während die Menschen damit beschäftigt waren, sich für den folgenden Tag vorzubereiten, eskalierte die Lage wiederum, dieses Mal auf der Rue de la Ganzau. Es scheint, der Grund für diese Eskalation war die Festnahme einer Gruppe von Clowns zum Zweck der Identifizierung. Obwohl alle Clowns freigelassen worden waren, bauten Menschen Barrikaden auf der Rue de la Ganzau und zündeten sgar die erste Barrikade an. Dieses Mal halfen Deeskalationsversuche von NATO-ZU/Shut down NATO nichts, und es scheint, die Lage beruhigte sich nach einer Zeit eher dank der Polizei, die kein Interesse an einer Eskalation hatte.
Während des Nachmittags und am Abend verließen die meisten Gruppen von NATO-ZU/Shut down NATO das Camp und verbrachten die Nacht an verschiedenen Plätzen im Norden von Straßburg.
Die Blockaden
Früh am Morgen um 3 Uhr verließen die übrigen Gruppen von Block-NATO das Lager und versuchten den öffentlich angekündigten Treffpunkt an der Universität im Süden der Stadt zu erreichen. Ohne Warnung wurden sie von der Polizei mit Tränengas angegriffen, aber schafften es sich zurückzuziehen und die Polizei zu umgehen, wobei sie deutlich jede Konfrontation vermieden. Andere Gruppen gingen direkt zur Universität, wo sie ebenfalls von der Polizei mit Tränengas angegriffen wurden, als sie versuchten wegzugehen. Die Bezugsgruppen von NATO-ZU/Shut down NATO hatten eine andere Taktik. Wir hatten keinen öffentlichen Treffpunkt, sondern hatten entschieden, dass jede Bezugsgruppe ihren eigenen Weg zum Blockadepunkt suchen solle, um dort pünktlich um 7 Uhr in der Frühe einzutreffen. Der Plan funktionierte. Wir stießen auf keinerlei Polizei in der Gegend und erreichten nicht nur ohne Problme den Blockadepunkt an der Avenue Pierre Mendes France, wir konnten auch die Blockade ohne Eingreifen der Polizei einrichten. Um 7.05 Uhr verbreitete sich die Nachricht, dass NATO-ZU/Shut down NATO die nördliche Zugangsstraße zum Natogipfel blockierte.
Später am Morgen schafften es die übrigen Gruppen von Block-NATO auch, ihre gewaltfreien Blockaden einzurichten. Im Ganzen nahmen mehr als 1000 Menschen an den drei Blockadne von Block-NATO und NATO-ZU/Shut down NATO teil.
Die Atmosphäre bei den Blockaden war entspannt und fröhlich. Wir hatten es geschafft! Nach all den Diskussionen der vorangegangenen Tage hatten wir nicht wirklich erwartet, Blockaden einrichten zu können und noch weniger, stundenlang zu blockieren. Jeder und jede war vorbereitet, innerhalb von Minuten von der Polizei mit Hilfe von Tränengas geräumt zu werden, aber am Ende entschieden die Blockaden selbst, die Blockade aufzuheben und sich der Demonstration anzuschließen. Auf diese Weise bewiesen wir unsere Autonomie über unsere Aktionsform und überließen die Entscheidung nicht der Polizei.
Die Demonstration
NATO-ZU/Shut down NATO beendete ihre Blockade gegen Mittag mit einem kleinen Ritual. Wir begannen dann den langen Marsch zur Hafengegend von Straßburg, wo die Demonstration beginnen sollte, und durchquerten die Sicherheitszonen. Als wir näher kamen, sahen wir jedoch schwarzen Rauch am Himmel aus der Gegend, wo wir die Europabrücke über den Rhein vermuteten, die Straßburg auf der französischen Seite mit Kehl in Deutschland verbindet, und über die eine weitere Demonstration aus Deutschland kommen sollte. Als wir zur Brücke „Pont d’Anvers“ kamen, die zur Hafengegend führt, machten wir erst einen Halt beim Wagen des Küchenkollektivs Rampenplan, das dort mit etwas Essen auf uns wartete.
Während wir aßen, erschien die Polizei in großer Zahl, fuhr auf den Pont d’Anvers zu und sprühte Pfefferspray von ihren Lastwagen herunter. Wir zogen uns schnell in einen weiteren Abstand zurück und riefen kurz darauf einen SprecherInnenrat zusammen, um festzustellen, ob es allen Bezugsgruppen gut ging.
Die Polizeipräsenz hinderte uns daran, uns der Demonstration anzuschließen (die nicht wirklich eine Demonstration war, sondern in Chaos endete), und nach einiger Zeit beschlossen die Bezugsgruppen, es damit gut sein zu lassen.
Später am Abend trafen wir uns im Camp wieder. Während einige von NATO-ZU/Shut down NATO für ein Campplenum sorgten, um zu diskutieren, was im Fall eines Racheangriffs durch die Polizei zu tun sei (es hatte Gerüchte in dieser Richtung gegeben) und versuchten, die Lage zu deeskalieren, beteiligten sich andere an einem Auswertungsplenum von NATO-ZU/Shut down NATO. Während die Leute nach dem Tag müde waren, geschockt von der Gewalt des Tages und erschöpft nach Tagen des Umgehens mit Eskalation und Deeskalation, war die allgemeine Einschätzung, dass NATO-ZU/Shut down NATO und Block-NATO eine sehr erfolgreiche Aktion gemacht habe, sehr viel erfolgreicher, als irgendjemand am Abend zuvor sich vorgestellt hatte. Jedoch war die Befriedigung über unseren Erfolg vermischt mit Trauer über den allgemeinen Lauf der Ereignisse.
Diejenigen, die noch Energie hatten, nahmen an der Musik und der Party teil, während die übrigen völlig erschöpft in ihren Schlafsack fielen.
Zum Glück blieb es während der Nacht ruhig.
Am folgenden Tag war es Zeit, Auf Wiedersehen zu sagen. Ein letzter Polizei-Kontrollpunkt, und wir waren auf unserem Heimweg.
Andreas Speck, War Resisters' International, 8. April 2009
Source: http://www.wri-irg.org/fr/node/7196