von Leo Gabriel
Schon am Vortag hatte Nicolas Sarkozy von den CRS, der für Knüppelorgien bei Demonstrationen spätestens seit 1968 berüchtigten Spezialtruppe der französichen Polizei, großspurig gefordert: “Ich will keinen Demonstranten sehen!” Ordnungsgemäß kam es dann noch dicker als die meisten der etwa 25.000 engagierten Friedensbewegten, die nach Straßburg gekommen waren, um gegen die Nato zu protestieren, erwartet hatten.
“Es war wirklich unglaublich: zuerst akzeptierten die französischen Behörden erst in allerletzter Minute die Demo-Route und dann blockierten sie die vereinbarten Zufahrtswege und ließen den gesamten öffentlichen Verkehr einstellen. Durch Einschüchterungen in den lokalen Radiosendern wurde auch die lokale Bevölkerung davon abgehalten, zur Kundgebung bei der Europa-Brücke zu kommen. Und dann flogen die Hubschrauber sogar noch bei der Kundgebung im Tiefflug. Ein gefundenes Fressen für die Provokateure.”
Dieses Statement gab niemand geringerer ab als Francis Würtz, der Vorsitzende der linken Fraktion im Europaparlament. Sekunden später krachte es. Die CRS feuerte Tränengas aus allen Rohren über die Menge der DemonstranInnen, die gerade von einem Rudel schwarz gekleideter Jugendlicher überholt wurde, eine Szene, die sich an diesem denkwürdigen Nachmittag des 4. April 2009 noch Dutzende Male wiederholen sollte.
Tatsächlich konnten weder die 8.000 deutschen DemonstrantInnen, die auf der anderen Seite der Europa-Brücke standen, noch Tausende von französischen und freiwilligen “Schlachtenbummlern” ihr Ziel, den unweit der Europa-Brücke gelegenen Platz erreichen, auf dem eine Stunde später die für 13 Uhr geplante Kundgebung begann.
Weitaus flinker waren da die schwarz gekleideten Jugendlichen, die von den übrigen DemonstrantInnen etwas zu Unrecht als “black block” identifiziert worden waren. Denn sie waren zwar schwarz angezogen, aber keineswegs ein homogener politischer Block.
Das zeigte auch die Szene, als ein Aktivist der österreichischen Anti-Imperialistischen Koalition einem der “schwarzen” Buben, die gerade das Zollhaus in Brand gesteckt haben, einen Flyer reichte, in dem die Anerkennung der palästinensischen Hamas gefordert wurde, und der spontan mit den Worten reagierte: “Hamas, um Gottes willen! Die sind doch Terroristen!”.
Diese Jugendlichen hatten bereits ein oder zwei Nächte im Camp hinter sich, von wo es ein mindestens eineinhalb stündiger Fußweg ins Stadtzentrum war. Gemeinsam marschierten mit den etwa 2.000 “Schwarzen” auch die Clowns, die sich lustig verkleidet hatten, um die Anrainer der marginalen Viertel zum Lachen zu bringen und einzuladen, sich der Demo anzuschließen.
Doch es kam anders: die Polizei blockierte ausgerechnet die Zufahrtswege, die die deutsch-französische Demoleitung mit den Polizeibehörden mühsam ausgehandelt hatte, was einen buchstäblichen “Schlagabtausch” zwischen den steinewerfenden “Schwarzen” und den CRS mit jeweils Dutzenden verletzten DemonstantInnen zur Folge hatte. Augenzeugen zufolge waren dies vor allem auf eine “falsche” Handhabung der Patronen mit den Gummigeschoßen zurückzuführen. Anstatt die Geschoße zuerst auf den Boden zu richten, wurden sie blindlings in die Menge geschossen…
Trotz dieser Kanonaden schaffte es eine etwa 10.000 köpfige Menschenmenge immer wieder, sich zusammenzufinden, solange, bis sie vor einer nur etwa 10 Meter breiten Bahnunterführung ins Stocken kam. Die Polizei hatte den Durchgang untersagt, weil auf der anderen Seite ein Hotel zu brennen begann, wobei die Urheberschaft dieses Brandanschlages bis zur Stunde ungeklärt ist.
Jetzt waren die DemonstrantInnen gefangen: während sich an der Spitze des Demonstrationszuges die “Schwarzen” mit der Polzei schwere Gefechte lieferten, hatte die Polizei zwei oder drei Keile in die Menge getrieben und dadurch den Demozug in mehrere Abschnitte zergliedert. Gleichzeitig waren die “Schwarzen” anscheinend bereit, Barrikaden anzuzünden, ein Vorhaben, von dem sie dann unter dem Druck der Menge doch Abstand nahmen.
Keinen Abstand nahmen einige Gruppen von CRS, die den “Schwarzen” nachstellten und nach dramischen Verfolgungsjagden zu dritt niederknüppelten. Wie in einem Bürgerkrieg gingen daraufhin die nicht schwarz gekleideten DemonstratInnen mit erhobenen Händen durch die von der Polizei errichteten Sperren, wobei Jugendliche herausgegriffen und verhaftet wurden.
Wie nach einer verlorenen Schlacht marschierten bei Sonnenuntergang Tausende in die außerhalb des Stadtkerns von Strassburg gelegenen Camps, die sich für ein paar Tage zu regelrechten Widerstandsdörfern entwickelt hatten. Vermutlich war es dem kleinen Mann vom Elysee gelungen, daß die Blicke der illusteren Runde, die gekommen war, den 60- jährigen Bestand des Nato- Bündnisses zu feiern, von keinem einzigen Demonstranten getrübt wurden.
Sarkozy hat also die Aufnahmsprüfung in die NATO geschafft. Ob er sie auch bestanden hat, wird die Zukunft weisen.
Source: http://linke.cc/news/article.php?story=20090405194002724&mode=print