»Farce von Demokratie«
Von Frank Brendle
Seinen symbolischen Höhepunkt erlebte der Internationale Friedenskongreß, der gestern in Strasbourg zu Ende ging, als Matthis Giraux und Malalai Joya auf die Bühne kamen: der eine ein desertierter Sergeant der US-Armee als Teil der Besatzungskräfte in Afghanistan, die andere eine afghanische Frauenrechtlerin. Die beiden lernten sich auf dem Kongreß kennen. »Ich möchte Malalai sagen, wie leid mir die Gewalt tut, die von meinem Volk ausgeht«, sagte der emotional aufgewühlte Exsoldat.
Joya erwiderte unter dem Beifall der knapp 400 Konferenzbesucher, es sei an den Regierungen, sich zu entschuldigen. »Sie benutzen euch für den Krieg, und sie betrügen uns um Demokratie und Frauenrechte.« Letzteres offenbar auch in Europa selbst, denn Joya erklärte, sie habe in Strasbourg »eine Farce von Demokratie« erlebt.
Darin waren sich alle Konferenzteilnehmer einig. Der sonst nicht um Worte verlegene Bundesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, Monty Schädel zeigte sich noch gestern im jW-Gespräch schockiert und sprach davon, er habe Ereignisse erlebt, »die ich mir bisher gar nicht vorstellen konnte«. Er habe größten Respekt vor all jenen, die stundenlang unter Tränengasbeschuß standen, weil ihnen die Polizei den Weg zur Auftaktkundgebung verwehrt hatte. »Unsere kleine Angst« angesichts Tränengas und Polizeigewalt veranschauliche einen Bruchteil dessen, was die Menschen in Kriegsgebieten erleiden müssen, sagte der US-Wissenschafter Joseph Gerson.
Gezielt provoziert
»Die Linie der Behörden lautete: Es soll keine Demo in Strasbourg geben«, faßte Arienne Denis vom französischen Mouvement de la Paix zusammen. Reiner Braun vom Internationalen Koordinierungsgremium (ICC) ergänzte, die Polizei habe seit einer Woche provoziert und friedliche Demonstranten angegriffen, um die Protestierenden einzuschüchtern. Die Organisatoren wollen in Kürze ein Dossier mit Zeugenaussagen erstellen, auch die Linksfraktion im Bundestag werde den Polizeieinsatz aufklären helfen, so Braun.
Im Detail zeigte sich die Konferenz weniger einig in der Bewertung der Ereignisse rund um die behinderte Demonstration. Reiner Braun distanzierte sich pauschal von jeglicher militanter Aktionsform: »Wir werden nie Gewalt gegen Menschen und Dinge akzeptieren«, weil dies die Zustimmung der Bevölkerung vereitele. »Diese Leute gestern«, sagte er mit Blick auf den sogenannten schwarzen Block, »haben der NATO geholfen.«
Dafür gab es Zuspruch vom Podium, aber Kritik aus dem Publikum. Eine Frau, die sich selbst dem schwarzen Block zurechnete, sieht einen Grund für die Kontroverse in der unterschiedlichen sozialen Zusammensetzung der beiden Spektren. Es gebe nur wenig Überschneidungen zwischen denjenigen, die auf dem Camp waren, und jenen, die den Kongreß besuchten. Anstatt sich voneinander zu distanzieren, solle man sich gegenseitig zuhören.
Kritische Hinweise
Insgesamt litt der Kongreß unter einer gewissen Zerfaserung. In einer Menge Workshops tauschten sich Antikriegsaktivisten, Wissenschaftler und Politiker aus praktisch sämtlichen NATO-Staaten aus, eine Zusammenführung dessen, was dort besprochen wurde, gab es jedoch nur in Ansätzen. Auch über den Widerstand, der in Ländern wie Irak und Afghanistan gegen die NATO geleistet wird, wurde nur wenig gesprochen. Die Anregung von Christiane Reymann (Die Linke), eine feministische Sicht auf Krieg und Gewalt zu entwickeln, fand ebensowenig Resonanz wie der kritische Hinweis aus dem Publikum, es gebe auch in der Protestbewegung ein erhebliches Maß an »patriarchaler männlicher Gewalt«.
Insgesamt zeigten sich die Initiatoren aber zufrieden, so wie auch Tobias Pflüger, Abgeordneter der Linksfraktion im Europaparlament. »Die NATO wird kein einziges Jubiläum mehr feiern können, bei dem sie ungestört bleiben wird«, so Pflüger.
Source: http://www.jungewelt.de/2009/04-06/005.php