Nach der 45. Münchner Sicherheitskonferenz (Siko) war die öffentliche Berichterstattung so wie immer: die Siko wurde als Erfolg bewertet. Den neuen Veranstaltungsorganisator Ischinger freute vor allem die Anwesenheit des US-Vizepräsidenten Joe Biden.
Zwei Wochen nach der Amtseinführung von Präsident Obama betrat die neue Administration bei der Siko zum ersten Mal die außenpolitische Bühne. Biden stellte auf der Siko die „neuen" Richtlinien der US-Außenpolitik vor. Schwerpunkt seiner Ausführungen war das Verhältnis der USA zur EU innerhalb der NATO.
USA-EU
Unter George W. Bush hatte es politische Spaltungen in der NATO gegeben. Unter deutsch-französischer Führung wurde eine eigenständige EU-Militärpolitik entwickelt, die in manchen Bereichen in Konkurrenz zu bestehenden und geplanten NATO-Kontingenten und -Planungen steht. Während des Irakkriegs formierten Berlin und Paris einen europäischen Block um sich, ebenso in der UNO mit Russland und China.
Seitdem forciert die EU die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Der deutsche und der französische Imperialismus sind in der EU vorherrschend und treiben den Ausbau einer transnationalen Staatlichkeit, der Aufstellung europäischer Streitkräfte und die Umsetzung einer gemeinsamen europäischen Militärpolitik voran.
Die NATO ist längst nicht mehr „nur" ein Mittel zur Verfolgung gemeinsamer imperialistischer Interessen des Westens gegenüber den halbkolonialen Ländern der „Dritten Welt" und konkurrierenden Regionalmächten wie Russland und China. Sie war und ist aber auch Spiegelbild der wachsenden Konkurrenz innerhalb des imperialistischen Lagers. Das Zeitalter der „Globalisierung" hat die Blöcke in eine immer schärfere Ausbeutungs- und Verwertungskonkurrenz geführt. Die USA und die EU treten um Rohstoffe, Märkte, Profitraten, ja auch die „Neugestaltung" des globalen Kapitalismus weltweit in Konkurrenz. Diese innerimperialistische Zuspitzung wurde auch in der NATO ausgetragen.
Die Siko 2009 stand unter dem Eindruck der beginnenden schwersten Wirtschaftskrise seit 1929. Die NATO fungiert heute als Schutztruppe der US-Invasoren und ihrer Verbündeten in Afghanistan: ca. 15.000 Soldaten der ISAF-Truppen, die den einzigen NATO-Einsatz während des „Kriegs gegen den Terror" darstellen.
Die letzten Jahre der Bush-Administration waren eben nicht nur durch „Kooperation", sondern mehr und mehr auch durch politische Konflikte geprägt. Immer wieder betrieben die USA mit einzelnen EU-Mitgliedern offen Politik gegen die Interessen Deutschlands und Frankreichs in der EU, wie z.B. die Militärabkommen mit Polen, Tschechien und Ungarn zur Stationierung eines Raketenabwehrschirms zeigen. Vordergründig dienen diese Maßnahmen der NATO zur Abschreckung der gemeinsamen Gegner von USA und EU, wie Russland oder Iran. Doch schon im Georgien-Krieg konnte die NATO nicht geeint auftreten und die unterschiedlichen Interessen der USA und der EU traten offen zu Tage.
Neuanfang in der NATO?
Von US-Vize Biden gab es zunächst mal Streicheleinheiten für die europäischen Partner, von einem „Neubeginn" in den transatlantischen Beziehungen war dort die Rede. Erstmals wurden die EU-Militärkapazitäten lobend von einem US-Repräsentanten in der NATO erwähnt - es soll ein neuer Geist der Zusammenarbeit und Kooperation in der NATO herrschen.
Dies kann und muss man zum einen als erneuerte Kriegserklärung an alle potentiellen Gegner der NATO verstehen, sei es in Afghanistan, im Iran, in Pakistan; zum anderen war diese Erklärung Bidens auch das Eingeständnis der tiefen Krise des US-Imperialismus.
Der 2001 ausgerufene „Krieg gegen den Terror" ist in eine Sackgasse geraten, die einen Strategiewechsel gegenüber den „Partnern" erfordert. Die USA und ihre Besatzungshelfer haben weder im Irak noch in Afghanistan einen militärischen oder politischen Sieg erreicht. Die USA sind gezwungen, auf die EU zuzugehen.
So, wie die USA ökonomisch auf die imperialistischen Partner angewiesen sind - irgendwer muss die US-Staatsanleihen ja kaufen -, sind die USA auch heute angewiesen auf die politische, weniger auf die militärische Unterstützung durch die EU. Passend dazu hat Frankreich seine militärpolitische Abstinenz in der NATO abgelegt und ist pünktlich zum 60jährigen Jubiläum wieder Vollmitglied der NATO.
Die militärisch stärkste Macht des EU-Blocks (Britannien ist auch innerhalb der NATO bisher strikter Verbündeter der USA) integriert sich, wenn auch sehr mühsam, wieder als militärpolitischer Akteur, das hat entscheidende Auswirkungen. Erstmals übernimmt ein anderes Land außer den USA eine NATO-Zentrale, ab diesem Jahr fällt der Stützpunkt Norfolk in französische Hände. Ebenfalls wurde kurz nach der Siko bekannt, dass Frankreich einen größeren Rüstungsdeal mit Kuwait abgeschlossen hat. Bisher war dieser Markt für die USA "reserviert".
In dieses Bild passt auch die Reise des deutschen Außenministers Steinmeier und seiner Begleiter aus der Wirtschaft im Februar in den Irak. Die EU-Kernmächte wollen auch dort die Prämien für die Krise des US-Imperialismus einstreichen. Wir erinnern uns: Jahrelang war es ja für das deutsche Kapital ein Jammer, dass Deutschland nicht aktiv im Irakkrieg dabei war. So blieb dem deutschen Kapital dieser Markt versperrt. Konzerne wie Siemens klagten, nur als „Subunternehmer" im Irak am Geschäft beteiligt zu sein. Nun sind die USA gezwungen, die von ihnen dominierten und ausgebeuteten Märkte und Regionen dem deutsch-französischen Kapital stärker zu öffnen. Dafür übernimmt die EU Kosten der Weltwirtschaftskrise und verstärkt ihre Truppen in Afghanistan.
natototenkopf.jpgNATO am Wendepunkt?
Die Weltwirtschaftskrise treibt den globalen Imperialismus in eine schärfere Konkurrenz zueinander und zwingt die imperialistischen Staaten zu verschärften Angriffen auf die Lohnabhängigen und Unterdrückten weltweit.
Als revolutionäre InternationalistInnen und AntiimperialistInnen ist es unsere Aufgabe, internationalen Widerstand gegen die Krise aufzubauen, Bündnisse gegen die Angriffe der herrschenden Klasse zu schmieden und diese Kämpfe bis zum revolutionären Sturz des Systems weiterzutreiben.
Aber wir dürfen nicht einer allgemeinen „Untergangspropaganda" das Wort reden - der Kapitalismus kann nur durch eine Revolution überwunden werden. Gerade in seinen schärfsten Krisen hat der Imperialismus millionenfach Tod und Leid über die Menschheit gebracht - das heute dafür zur Verfügung stehende Arsenal ist bekannt.
Ein der dringlichsten militärischen Aufgabe für den Imperialismus ist heute die Besetzung und Kontrolle Afghanistans. Dieses geostrategisch wichtige Land zwischen den Regionalmächten Russland, Indien und China, einer möglichen Regionalmacht Iran und eines kriselnden Pakistan muss von allen NATO-Staaten gehalten werden. In Afghanistan wird die "zweite Etappe" der globalen Krise des Imperialismus, jene der globalen Hegemonie, mitentschieden.
Bislang sichern 70.000 Besatzer den Status quo im Land, d.h. im Osten und Süden herrscht praktisch Krieg gegen die Besatzer, im Norden und Westen gibt es „Arragements" mit den örtlichen „Warlords". Die imperialistische Marionette Karsai sekundiert der NATO mit einer vom Westen ausgebildeten und ausgerüsteten Armee, deren Einsatzfähigkeit und Stärke allerdings fraglich ist. Gleichzeitig wird Afghanistan schon heute für gemeinsame Operationen mit der pakistanischen Armee genutzt - auf beiden Seiten der Grenze.
Als erste Amtshandlung schickte Obama weitere 17.000 SoldatInnen nach Afghanistan (bislang waren dort 36.000). Auf dem NATO-Treffen im polnischen Kattowice sprang dann Verteidigungsminister Jung zur Seite: 2009 entsendet die BRD 600 Soldaten mehr nach Afghanistan. In Kattowice gab es ansonsten die bekannten Töne. Der alte und neue US-Verteidigungsminister Gates forderte mehr Truppen der EU für Afghanistan. Auch NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer schlug in diese Kerbe. Britannien forderte eine sofort aufzustellende 3.000köpfige Angriffstruppe "für alle Fälle" - auch dies ein Beweis für die neue Aktivität der NATO.
Bis zur Wiederwahl von Marionette Karsai im September soll verstärkt Krieg in den aufständischen Regionen geführt werden. Die Aufstockung des Kontingents kann aber auch zur Kriegführung im Nordwesten Pakistans genutzt werden. In Afghanistan entscheidet sich die Haltbarkeit des neuen Kompromisses in der NATO zwischen den USA und der „deutsch-französischen" EU, sondern womöglich auch die Zukunft der NATO selbst.
Eine Niederlage und ein Scheitern wären mit einer massiven Schwächung des US-amerikanischen wie auch der europäischen Imperialisten verbunden, einer möglichen Stärkung von China und Russland, vor allem aber auch ein weit über Afghanistan hinaus gehendes Signal an alle unterdrückten, vom Imperialismus ausgebluteten Nationen und Nationalitäten. Das „bindet" die beiden Allianz zusammen. Ein Scheitern beider in diesem Krieg kann auch den Beginn einer Eiszeit zwischen den Blöcken ankündigen, die internen Kompromisse könnten genauso platzen wie die Spekulationsblasen.
Widerstand gegen NATO und Imperialismus!
Die Gruppe Arbeitermacht und die Jugendorganisation REVOLUTION unterstützen die antimilitaristischen Proteste in Strasbourg vom 1. bis 5. April gegen die Zelebrierung von 60 Jahren Krieg und Aufrüstung durch die NATO.
Wir rufen dazu auf, konsequent für die Niederlage aller imperialistischen Truppen und aller vom Imperialismus unterstützten Kriege, einzutreten. Wir brauchen keine pazifistischen Prediger und "Gewissensträger", die von einer „friedlichen Konfliktlösung" innerhalb des Imperialismus träumen. Wir treten für die militärische Niederlage der Besatzer in Afghanistan, im Irak und in den palästinensischen Gebieten ein.
Für InternationalistInnen steht der „Hauptfeind im eigenen Land". Hier müssen wir gegen Imperialismus, Krieg und Rüstung kämpfen. Diesen Kampf führen wir in Solidarität mit unterdrückten und besetzten Völkern.
Dies bedeutet auch, bei den Protesten in Strasbourg gegen die reformistischen und kleinbürgerlichen Führungen der "Friedensbewegung" zu kämpfen, deren Orientierung auf eine „friedliche und soziale" EU im Gegensatz zur „bösen" USA hinausläuft. Zudem bedeutet ihre Orientierung den Verzicht auf militante Kampfmethoden wie Besetzungen und Blockaden. Anstatt die Reformisten aufzufordern, die Arbeiterklasse für den antiimperialistischen Kampf zu gewinnen, versuchen sie alles, um einen Volksfront-Block mit vermeintlich "demokratischeren" und "friedlicheren" Teilen der Bourgeoisie zu bilden.
Letztlich kann die NATO, kann jede Form imperialistischer Kriegspolitik, von Aufrüstung bis zum Vernichtungskrieg nur durch den internationalen Klassenkampf gegen die herrschenden Klassen bekämpft werden. Es gibt daher - anders als die "Friedensbewegung" durch ihre Trennung von Politik und Militär/Krieg - keinen vom Klassenkampf getrennten, „separaten" Friedenskampf. Unser "Friedenskampf" heißt Klassenkampf, heißt Kampf gegen das kapitalistische, imperialistische Weltsystem, für die sozialistische Weltrevolution!
- Gegen NATO, Besatzung und Krieg! Für antiimperialistischen Widerstand in Strasbourg!
- Gegen EU-Imperialismus und Aufrüstung - für revolutionären Defätismus!
- Gegen Krise, Staat und Kapital - für den Aufbau einer neuen, Fünften Internationale!
- 1.-5. April: Auf nach Strasbourg!
Source: http://www.linkezeitung.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=6433&Itemid=32