Der Bundestag hat am Freitag die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung und die Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung beschlossen. Der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Bundesrichter Wolfgang Neskovic (Die Linke) ist ein entschiedener Kritiker der Reform.
Herr Neskovic, schon bisher haben Telekommunikationsunternehmen die Verbindungsdaten ihrer Kunden drei Monate gespeichert. Künftig werden es sechs Monate sein. Warum die Aufregung?
Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob Daten - wie bisher - zur Abrechnung und zur Kontrolle der Abrechnung gespeichert werden oder ob der Staat sich der Datenspeicherung zur Kontrolle der Bürger bedient. Weil das Bundesverfassungsgericht die verdachtslose Erhebung personenbezogener Daten verbietet, bedient sich der Staat künftig der bei den Telekommunikationsunternehmen gespeicherten Daten, macht also die Unternehmen zu seinen Erfüllungsgehilfen und zieht im Übrigen die Unschuldsmine auf.
Das aber geschieht, so wird versichert, ausschließlich zur Effektivierung der Terror- und Kriminalitätsbekämpfung.
Natürlich, das wird versichert. Aber es handelt sich hier nur um den jüngsten Fall eines allgemeinen Phänomens. Wir erleben den ideologischen Umbau der Grundrechte von Abwehrrechten des Bürgers gegen den Staat hin zu Eingriffsrechten des Staates in die Privatsphäre der Bürger im Namen der Sicherheit. Das Grundgesetz wird so von den Füßen auf den Kopf gestellt.
Andererseits ist nicht zu übersehen, dass Staat und Gesellschaft von Risiken, wie etwas dem Terrorismus, bedroht werden ...
Mit denen muss ein Rechtsstaat leben. Es ist nicht seine Schwäche, sondern gerade seine Stärke, dass er bewusst darauf verzichtet, alle Risiken ausschließen zu wollen. Das wird immer öfter - vor allem auch von der Bundesregierung - vergessen. Allein schon an der Vorstellung, jeder nur möglichen Gefahr mit staatlichen Maßnahmen beikommen zu können und die Sicherheit mit immer tiefer gehenden Freiheitsbeschränkungen stetig heraufzusetzen, erkennt man die Denkungsart der Diktaturen.
Ärzte, Anwälte und Journalisten fühlen sich besonders provoziert. Anders als Abgeordnete und Strafverteidiger müssen sie nun damit rechnen, von Sicherheitsbehörden belauscht zu werden.
Warum Gespräche, die ein Abgeordneter führt, einen höheren Schutz genießen sollen als Gespräche eines Journalisten mit einem Informanten, hat mir noch niemand erklären können. Offenbar hat sich noch nicht herumgesprochen, dass mit dem Zeugnisverweigerungsrecht nicht der Journalist geschützt werden soll, sondern die Pressefreiheit. Die ist für eine Demokratie nicht weniger wichtig als die Stellung der Abgeordneten.
Das Gespräch führte Christian Bommarius.
Source: www.berlinonline.de