Wer Internetseiten von Bundesbehörden besucht, wird gespeichert. Obwohl
das gegen ein rechtskräftiges Urteil verstößt.
Von Kai Biermann
Das Amtsgericht Berlin-Mitte hat dem Bundesjustizministerium im März
untersagt, Daten von Besuchern seiner Internetseite zu speichern. In dem
Urteil hieß es, es sei nicht gestattet, folgende Angaben aufzubewahren:
“Name der abgerufenen Datei bzw. Seite; Datum und Uhrzeit des Abrufs;
übertragene Datenmenge; Meldung, ob der Abruf erfolgreich war sowie die
Internetprotokolladresse (IP-Adresse) des zugreifenden Hostsystems”. Nun
jedoch erklärte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine kleine
Anfrage der FDP-Fraktion, dass genau dieses Vorgehen bei nahezu
sämtlichen Internetservern des Bundes Usus ist.
“Die überwiegende Zahl der Ressorts und (…) deren nachgeordnete
Behörden speichern die einem PC zugeordnete IP-Adresse, von denen aus
ihre Internetseiten besucht werden bzw. lassen dies durch beauftragte
Unternehmen speichern”, heißt es in der parlamentarischen Antwort.
Das mag banal klingen, weil von unzähligen Servern im Internet
sogenannte Logfiles angelegt werden — Protokolle also der Besuche und
Besucher. Allerdings existiert seit einiger Zeit eine Debatte, ob diese
Praxis nicht gegen den Datenschutz verstößt. Denn inzwischen gab es
einen Fall, der die Relevanz solcher Daten deutlich macht.
Das Bundeskriminalamt nämlich hat Logfiles benutzt, um Besucher
bestimmter Seiten auf www.bka.de zu identifizieren und gegen sie zu
ermitteln. Es ging um Informationen, die das BKA über die “militante
gruppe” ins Netz gestellt hatte. Wer sich diese ansah, geriet ins Visier
der Fahnder. “IP-Adressen, die eine signifikante Zugriffsfrequenz
aufweisen” wurden genauer untersucht. Was heißt, das BKA fragte bei den
Providern an, wem sie gehören.
Die Bundesregierung sieht dieses Vorgehen rechtlich gedeckt, wie sie in
der Antwort auf die FDP-Anfrage erklärte. Grundlage sei der Paragraf 131
der Strafprozessordnung. Der erlaubt die “Öffentlichkeitsfahndung”, wenn
Täter anders nicht zu entdecken sind. Normalerweise also die
Veröffentlichung von Phantombildern. Die eingestellten Seiten über die
“militante gruppe” seien Teil einer solchen Fahndung, so die
Argumentation der Bundesanwaltschaft, die Besucher damit von Interesse.
Das generelle Speichern von IP-Adressen begründet die Bundesregierung
mit Sicherheitsproblemen. Man sei im Internet “kontinuierlich massiven
und hoch professionellen Angriffen” ausgesetzt und müsse sich dagegen
wehren, heißt es in der Antwort. Dazu sei es zwingend notwendig,
IP-Adressen zu speichern, “um Angriffsmuster erkennen und Gegenmaßnahmen
einleiten zu können”.
Die Bundesregierung gibt zu, dass es rechtlich noch nicht abschließend
geklärt sei, ob dies zulässig ist. Sie vertritt die Meinung, dass
IP-Adressen allein noch keine personenbezogenen Daten darstellen,
solange nicht ermittelt wird, wem sie gehören. Das Berliner Gericht war
da anderer Meinung, da es allein mit der Adresse möglich sei, Profile
des Nutzerverhaltens herzustellen.
Im Urteil heißt es wörtlich: “Die Daten, die die Beklagte (…)
speicherte (insbesondere auch die dynamische IP-Adresse) stellen nach
zutreffender Ansicht personenbezogene Daten im Sinne des § 15 Abs. 1 TMG
dar.”
Bei der Bundesregierung heißt es, man prüfe die Auswirkungen dieses
Urteils “intensiv”.
ZEIT online
46/2007
Zeit, 08.11.2007
Source: einstellung.so36.net