Am 21. Juni hat in L' Aquila die landesweite Vollversammlung gegen den G8 stattgefunden.
Die sehr stark partizipierte [1] und heterogene Vollversammlung hat das aus der vorherigen Vollversammlung vom 1. Juni hervorgegangene Communiqué "L' Aquila und die anderen" [2] in seinen Ausrichtungen bezüglich von Verbreitung und Verortung der Mobilisierungen gegen den G8 wieder aufgegriffen. Vom 2. bis zum 10. Juli wird es also breit gestreute Initiativen in allen italienischen Städten geben - Mobilisierungen, die gegen die Verantwortlichen für die Krise sein werden und im Zeichen der Solidarität gegenüber den vom Erdbeben getroffenen Bevölkerungsgruppen und der Einforderung eines sozialen Wiederaufbaus des abruzzischen Territoriums[3].
Die vom 2. bis zum 10. Juli vorgesehenen Initiativen werden in dieser zeitlichen Folge Umsetzung finden:
2. Juli: Diverse von Vereinen und territorialen Wirklichkeiten[4] von der Insel getragene und gestaltete Veranstaltungen auf Sardinien.
4. Juli: Demonstration in Vicenza, um das Dal Molin-Gelände[5] den Bürgern zurück zu geben. Unabhängigkeit, Würde, Teilhabe: Die Erde rebelliert gegen die Kriegsstützpunkte[6].
7. Juli, in Rom. Empfang der G8. Anlässlich der Anwesenheit in der Hauptstadt von internationalen Delegationen auf der Durchreise nach Coppito[7] ruft das Netzwerk NoG8 in Rom einen "Tag des Empfangs für die mächtigen der Erde" ein, mit breit gestreuten Initiativen und "piazze sociali"[8] zur Krisenbekämpfung".
Weiterhin am 7. Juli wird in Pescara unter dem Motto: "Die Abruzzen sind ein Seehafen[9] - Wir weisen nicht ab!" eine Initiative von Goletta Verde[10] gegen das Decreto Sicurezza[11] in Solidarität mit den Migranten stattfinden. Ebenfalls in Pescara werden am 9. Juli Initiativen zur Verteidigung des Wassers als gemeinschaftliches Gut der Menschheit stattfinden.
8. Juli: In allen Städten geortete Initiativen, um eine "Topographie der Krise" zu zeichnen, durch die die Territorien sowie die sozialen Gemeinschaften und Organisationen, angefangen bei Rom, über Neapel, Genua, Padova, Bologna, Mailand, Ancona, Palermo und alle anderen ihre Empörung wegen der und gegen die Krise, die Verteuerung der Preise, die Prekarität, die Arbeitslosigkeit, die Verwüstung der Umwelt, die Kommerzialisierung der gemeinschaftlichen Güter, die Militarisierung manifestieren werden.
Bei den bezüglich der Mobilisierungen auf dem aquilanischen Territorium eingebrachten Vorschlägen handelt es sich um:
Einen Fackelzug, um "Wahrheit, Gerechtigkeit und sozialen Wiederaufbau" einzufordern, der am 6. Juli von Mitternacht bis um 3:32 des 6. April stattfinden wird.
Ein Forum über den sozialen Wiederaufbau, das man am 7. Juli in L' Aquila abhalten wird und die Themen, die für das aquilanische Territorium von grundlegender Bedeutung sind in Beziehung zur globalen Krise angehen wird.
Schlussendlich, wird am 10. Juli einen friedlichen und massenhaften Marsch durch die Territorien des Erdbebens stattfinden, der die Solidarität mit den aquilanischen Bevölkerungen und die Notwendigkeit eines sozialen Wiederaufbaus zum Ausdruck bringen soll aber auch den generalisierten Dissens gegen die Krise, bezüglich dessen die Initiatoren die lokalen Wirklichkeiten zur Auseinandersetzung mit der Tatsache auffordern wollen, dass keine echte Gemeinsamkeit über den Aufbau dieser Initiative zustande gekommen ist.
Es ist offensichtlich, dass die Beschleunigung, der der Kontext ausgesetzt gewesen ist, eine unmittelbare Folge des Erdbebens und der niederträchtigen Entscheidung der Regierung ist, den G8 der Krise in diesem Territorium abhalten zu wollen - eine Entscheidung, die alle Anwesenden ein weiteres Mal verurteilt haben.
Der beste Weg, den wir gefunden haben, um eine sehr lange Vollversammlung wie die heutige synthetisierend zusammenzufassen ist für uns der gewesen, in diesem Bericht alle Termine wieder zu geben. Wir bitten schließlich auf entschlossene und von allen mitgetragene Weise darum, das wer auch immer seine Solidarität und seine Kampfesfährten[12] in jenen Tagen hierher tragen wollen wird, dies unter absoluter und respektvoller Berücksichtigung der tragischen Wirklichkeit tun möge, die in diesem Territorium durchlebt wird.
Es fehlen nur noch 16 Tage bis zum G8. Also werden jetzt die verschiedenen Wirklichkeiten, die die Mobilisierungen aufbauen, so früh wie möglich mehr Informationen über die verschiedenen Initiativen verbreiten.
L’Aquila, 21. Juni 2009
A.d.Ü.:
[1] "partecipazione" ist ein (wunderschöner) Begriff, der exakt seiner Bedeutung nach hier auch Verwendung findet. Es mein nämlich: teil "haben" - was mehr und ganz was anderes als das in der deutsche sprache eher geläufige (vorherrschende) teil "nehmen" ist. Be-teiligung ist eine gute Entsprechung, in "partecipazione" schwingt jedoch im Sinne der Begriffsbesetzung im Sprachgebrauch mehr Bewusstsein für aktive Gleichwertigkeit mit.
[2] Siehe: http://www.gipfelsoli.org/Home/L_Aquila_2009/G8_2009_Aufrufe/7278.html
[3] "Territorio" wird gängigerweise, aber unkritisch, mit "Gebiet" oder "Land" überetzt. Weil diese Lösung die wichtige, mit dem Gedanken der sozialen Selbstbestimmung in einem angestammten und sedimentierten Lebensraum verknüpfte Bedutungskomponente völlig ausblendet, wird hier bewusst der Begriff "Territorium" verwendet.
[4] Im Original: "Realtá". Dieser Begriff hat nicht annähernd eine angemessene Entsprechung im Deutschen, deshalb wird er im wörtlichen Sinne (Wirklichkeit) übersetzt. In der deutschen Sprache kommt "Zusammenhang" der Begrifflichkeit am nächsten, ohne dabei der Bedeutung im italienischen aber vollkommen gerecht zu werden: mit "Realtá" sind soziale oder, gegebenenfalls, politische "Wirklichkeiten" gemeint, also Situationen und das, was sich aus diesen heraus bildet. Das Bild der "Wirklichkeiten" hebt deutlicher als der deutsche Begriff "Zusammenhang" den Gedanken der Teilnahme, der Gestaltung und der Mitsprache als gesellschaftlicher Körper im gesellschaftlichen Kontext hervor.
[5] Zivilflughafen am Rande der nordostitalienischen Stadt Vicenza. Ende 2003 verabredeten die italienische und die US-Amerikanische Regierung die Umwandlung des Flughafens in eine Militäranlage - hinter verschlossenen Türen. Die Pläne wurden erst 2006 öffentlich. Die derzeit zwischen Deutschland und Italien aufgeteilte 173 Airborne Division soll dort wegen der Nähe zu Häfen und Luftwaffenstützpunkten geschlossen unterkommen ( grafische Darstellungen: http://www.youtube.com/watch?v=OqQyuaetfhk&feature=related ). U.a. soll der auf der operativen US-Army Achse Aviano-Camp Darby in Norditalien liegende Stützpunkt auch so genannten N.B.C. Storage betreiben (http://de.indymedia.org/2007/06/186192.shtml). Rasch formierte sich eine Widerstandsbewegung ( http://www.youtube.com/watch?v=-goCGWpNX1k ), die bereits mehrere Demonstrationen, Blockaden und Besetzungen ( siehe Playlist http://www.youtube.com/view_play_list?p=0A103A0115BDBA34 ) durchgeführt hat.
[6] Der Satz ist eine sehr raffinierte, nicht angemessen übertragbare Sprachkonstruktion: er ließe sich genauso mit: "Der Landstrich (der Boden - mit dem was auf ihm lebt) rebelliert gegen die Pfeiler des Krieges"
[7] In Coppito, einem Stadtteil am Rande von L' Aquila, liegt die Kaserne, von der aus das "Katastrophenmanagement" des Zivilschutzes und der Sicherheitsbehörden betrieben wird. Auch ist die Kaserne der logistische Stützpunkt Sivio Berlusconis. Dort finden im Zuge dessen auch die Pressekonferenzen oder aber politische Treffen statt - etwa mit Unternehmern. Die Kaserne soll während des G8 die wichtigsten Gipfelteilnehmer beherbergen. Siehe dazu u.a.: http://www.gipfelsoli.org/Home/La_Maddalena_2009/6897.html , http://www.gipfelsoli.org/Home/La_Maddalena_2009/6894.html
[8] Die Piazza ist ein ganz wichtiges, nicht nur strukturelles, sondern auch kulturelles und soziales Element des menschlichen und politischen Lebens, weil sie ein offener, allgemein zugänglicher Ort ist, an dem kollektive Zusammenkunft und Auseinandersetzung möglich sind. Nicht von ungefähr ist von Italien im Kontext von Protesten und militanten Auseinandersetzung nicht von "auf die Straße gehen" und von "Straßenkämpfen" die Rede, sondern jeweils von "scendere in Piazza" (runter gehen in die Piazza) und von "scontri di Piazza" (Zusammenstößen auf der Piazza) die Rede. Eine "Piazza sociale" kann als eine Piazza ("Platz" im städtischen Raum) verstanden werden, an dem eine soziale - also kommunikative, inhaltlich ausgerichtete, kollektive Zusammenkunft stattfindet.
[9] Wortspiel: "Porto di mare" ist auch eine Redewendung für ein Ort, an dem Mensch freiestens ein- und ausgeht
[10] Umweltschutzschiff der italienischen non-profit Umweltorganisation "Legambiente" (Liga für die Umwelt)
[11] Sicherheitspaket
[12] Im Original: "Percorsi di Lotta". "Lotta" = "Kampf". "Percorso" meint Weg. Der Gedanke ist, dass Kämpfe immer Wege sind, die gegangen werden.
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