Ich bin sicher, daß sich die Kölnerinnen und Kölner auf dieses Ereignis freuen und daß sich die Besucher angesichts der Kölner Gastfreundschaft hier wohlfühlen werden“
Kölns Oberbürgermeister Burger
1999 ist die Bewährungsprobe für Deutschland: Die Bundesregierung führt den Vorsitz der Schengen-Staaten, der WEU, der G7 bzw. G8 und hat die Präsidentschaft in der EU inne.
Im Juni 1999 ist Köln Tagungsort für zwei symbolträchtige Zusammenkünfte. Am 3. und 4.6. trifft sich der Europäische Rat, zwei Wochen später, vom 18. bis 20.6. die Regierungschefs der G7-Nationen. Für beide Gipfel werden um die 1.500 Delegierte und über 5.000 JournalistInnen erwartet, denen der Heumarkt als Pressezentrum dient. Für den reibungslosen Ablauf sollen 10.000 Bullen sowie zahlreiche Angehörige der Sicherheitsdienste der jeweiligen Delegierten nebst privater Security sorgen. Die Gipfel finden im Kölner Viertel Gürzenich in der Innenstadt statt.
Für die EU-Gipfel hat die Stadt Köln ein kulturelles Beiprogramm organisiert und vier Millionen DM locker gemacht, um 65 Veranstaltungen und Konzerte zu organisieren, zu dem auf dem Roncalli-Platz 35.000 Menschen erwartet werden. Am 12. und 13.6. findet in der Innenstadt ein Medienbürgerfest statt. Die Vertreibung der BürgerInnen, die nicht ins Stadtbild passen, hat bereits begonnen.
EU-Gipfel
Der halbjährlich stattfindende EU-Gipfel wird in Köln ausgerichtet, weil Deutschland zur Zeit den EU-Vorsitz innehat. Teilnehmen werden die europäischen Staats- und Regierungschefs sowie BeobachterInnen zahlreicher weiterer Staaten, die die Aufnahme in die EU begehren.
Auf der Tagesordnung stehen vor allem Themen der Struktur und Erweiterung bzw. Wettbewerbsfähigkeit der EU: Osterweiterung von EU und NATO; Finanzierung der Agenda 2000 und damit verbundenen Agrarsubventionen; Strukturhilfeausgaben; Stabilitätspakt des Euro; Beschäftigungspolitik (Bündnis für Arbeit auf europäischer Ebene); „Harmonisierung“ von Kontroll- und Überwachungssystemen (EUROPOL); Vereinheitlichung des Asylrechts; Status von NATO und WEU. Die Bundesregierung möchte auf dem Gipfel die Schaffung einer europäischen Grundrechtecharta voranbringen.
Weltwirtschaftsgipfel
Seit 1975, kurz nach der Weltwirtschaftskrise 1973/74 und der „Ölkrise“ 1973, findet der Weltwirtschaftsgipfel als jährliches Treffen der 7 „wichtigsten“ Industrienationen USA, Japan, Frankreich, Deutschland, Italien, Kanada und Großbritannien statt. 1998 wurde auch Rußland als vollberechtigter Teilnehmer anerkannt (G8). Real kann statt G8 eher von G§ gesprochen, geht es doch am ehesten um die Interessen der Wirtschaftsräume Nordamerika (USA), Europa (BRD) und Teile Asiens (Japan).
Die Treffen werden von den jeweiligen Finanzministern und Zentralbankpräsidenten sowie dem IWF vorbereitet und thematisieren Fragen der Wirtschafts- und Währungspolitik, Arbeitslosigkeit, Energiepolitik und Flüchtlingsbewegungen. Die jeweiligen AußenministerInnen sitzen mit am Tisch, dazu Direktoren der Weltbank, der WTO sowie der Generalsekretär der UN. Auf dem letzten Gipfel in Birmingham standen die Finanzkrise Asiens, die Lage in Indonesien und die Atomtests Indiens auf der Tagesordnung. Verabredet wurde mehr Transparenz auf den Finanzmärkten und eine stärkere Bekämpfung „organisierter Kriminalität“.
Für den WWG werden etwa 800 Delegierte erwartet. Die diesjährige Tagesordnung des Treffens, das im Weltensaal des Museum Ludwig stattfindet, ist noch nicht veröffentlicht. Sicherlich werden aber das Multilaterale Investitionsabkommen (MAI) und die Finanzkrisen in Rußland, Südamerika und Asien thematisiert.
Internationale Gegenaktivitäten
Viele europäische und internationale Gruppen arbeiten gegen die Politik der EU oder Weltbank/ IWF/ G7. Sie bereiten ihrerseits Aktionen gegen die Gipfel vor. Zumeist thematisieren sie die Strukturen von Weltwirtschaft/ Verschuldung, Entwicklungspolitik, Ökologie sowie als zentrales Thema Arbeits-/ Erwerbslosigkeit. Indische AktivistInnen von Peoples Global Action (PGA) planen z.B. eine Karawane durch Europa, Action contre le chomage (AC!) und andere europäische Erwerbsloseninitiativen kollektives Schwarzfahren zu den Gipfeln, ATTAC eine Aktionen und eine Konferenz zu internationaler Vernetzung von Widerstand.
Kölner Gegenaktivitäten
Parallel zu den europäischen Gruppen arbeiten mehrere Kölner und bundesweite Gruppen seit 1998 zur Vorbereitung der Gipfel. Die Gruppen sind in ihren Inhalten, Forderungen und ihrer Politik zum Teil sehr unterschiedlich, was in der Praxis gemeinsamer Vorbereitungen oder Aufrufe oft schwierig ist.
Dennoch haben sich die meisten im “Bündnis Köln 1999” zusammengeschlossen. Mit dabei sind Initiativen und NROs wie ila, fzs (freier zusammenschluß von studierendenschaften), netzwerk friedenskooperative, WEED (Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung), BUND, GAJB (Grün Alternatives Jugendbündnis), Jusos, NRO-Frauenforum, ASten, etc. Für die Öffentlichkeitsarbeit gibt ein Redaktionskollektiv aus beteiligten Gruppen zweimonatlich die “Gipfel-Zeitung” heraus.
An den Vorbereitungstreffen der Kölner Aktivitäten nehmen auch Gruppen teil, die ihrerseits Bündnisse darstellen: Linksradikales Anti EU/ WWG-Bündnis, Euromarsch-Bündnis, Bundesweites Treffen zu Aktionen gegen den G7- und EU-Gipfel in Köln, FrauenLesben-Koordination. Bisher ist Konsens unter den verschiedenen Gruppen, sich nicht zu spalten bzw. spalten zu lassen. Vorgespräche mit der Polizei fanden demgemäß mit Beteiligten der unterschiedlichsten Spektren statt.
Durch die vom Euromarsch-Bündnis vom 5.6. auf den 29.5. vorverlegte Euromarsch-Abschlußdemonstration allerdings gerät die gemeinsame Mobilisierung in Gefahr. Die für den 5. Juni geplante Großdemonstration aller beteiligter Gruppen fällt ins Wasser, da die TeilnehmerInnen des Euromarsch mit einigen Zehntausend den größten Teil ausmachen.
Zum EU-Gipfel gibt es einen Gegenkongreß vom 30.5. bis 2.6., der wiederum vom Bündnis Köln 1999 organisiert wird. Die für den 5.6. geplante Großdemonstration wird nun vom Linksradikalen Anti EU/ WWG-Bündnis für den 3.6. organisiert. Während der Zeit zwischen den Gipfeln soll es ein Camp geben. Bisher ist die Organisierung aber sehr wackelig bis nicht existent: Es gibt außer “play fair” noch keine feste Orga-Gruppe, außerdem mangelt es an Orten und Räumen. Für den 19.6. plant das Bündnis Köln 1999 eine Großdemonstration gegen den WWG. Vorher, am 17. Und 18.6., findet wieder ein Gegenkongreß statt. Der Gegenkongreß wird hauptsächlich vom Arbeitsausschuß des Bündnis Köln 1999 sowie von Kein Mensch ist illegal und medico international getragen. Themenschwerpunkte sind Migration, Arbeit und Weltwirtschaft.
Die “Erlaßjahrkampagne 2000”, die das Jahr 2000 als “Nullrunde” für Schuldenzahlungen für Trikont-Staaten durchsetzen will, organisiert am 19.6. eine Menschenkette mit etwa 50.000 erwarteten TeilnehmerInnen um Gürzenich.
Alle Demonstrationen wurden bereits 1998 für den Kölner Neumarkt angemeldet. Die Stadt hat den Neumarkt daraufhin dem Zirkus Roncalli verpachtet. Das klingt banal, aber in Köln gibt es sonst keinen Ort, um eine für mehrere Tausend angemeldete Demonstration aufzunehmen. Die Alternativen sind der Stadtrand oder ein etwas entfernt gelegenes Fußballstadion als Versammlungsort. Weil das natürlich niemand will, klagen die VeranstalterInnen gegen die Stadt. Für die Demonstration des Linksradikalen Anti EU/WWG-Bündnis am 3.6., an Fronleichnam, gilt es ein weiteres Problem zu lösen: In NRW ist Fronleichnam der Tag großer Prozessionen. Laut einem Verwaltungsgerichtsurteil darf die Anreise zu einer Demonstration erst nach Ende der Prozessionen beginnen; d.h. die Demonstration des LiRa-Bündnisses kann erst am späten Nachmittag starten und die Bullen haben möglicherweise eine gerichtlich legitimierte Eingriffsmöglichkeit.
Die Aufzählung der beschriebenen Aktivitäten ist auf jeden Fall unvollständig. Viele andere Initiativen und Organisationen haben ihrerseits Aktionen angekündigt oder halten ihre Treffen in Köln ab, um vor Ort zu sein. So plant z.B. der BUND mit FOE eine Konferenz zu “Regionalpolitik und Partizipation in einer erweiterten EU”, das Frauenforum NRW macht eine internationale Anhörung zu ökonomischen Rechten von Frauen, verschiedene Kirchengruppen treffen sich, das Kölner Erzbistum arbeitet gegen die Verschuldungskrise, amnesty international organisiert eine Podiumsdiskussion zu Rüstungsexporten und Menschenrechtsverletzungen sowie Aktionen während der Gipfel etc.
Linksradikales Anti EU/ WWG-Bündnis/ Linksradikale Mobilisierung
Neben den in Köln und bundesweit entstehenden Zusammenhängen hat sich seit Anfang 1998 das Linksradikale Anti EU/ WWG-Bündnis konstituiert. Die Mobilisierung soll an frühere Kristallisationspunkte anknüpfen: Die Proteste gegen die IWF-Tagung in Berlin 1988 (für vollständige Schuldenstreichung und Reparationszahlungen); gegen den WWG 1992 in München (gegen die Feiern zum 500jährigen Reich, für die Solidarität mit politischen Gefangenen weltweit); gegen den EU-Gipfel 1994 in Essen (Ausbau der EU zu einem expansiven Herrschaftszusammenhang nach innen und außen); aber auch an die Kämpfe gegen den WWG u.a. in Florenz und Tokio. Im Kölner Anti-Gipfel-Info 10/98 formuliert das Linksradikale Anti EU/ WWG-Bündnis:
Zerschlagung aller herrschaftssichernden Institutionen wie WWG, IWF/ Weltbank, NATO…
Sofortige Schuldenstreichung und Reparationszahlungen der kapitalistischen Zentren an die ausgeplünderten Menschen im Trikont
Offene Grenzen, rechtliche, politische und soziale Gleichstellung aller Flüchtlinge und MigrantInnen mit deutschen BürgerInnen
Schluß mit der herrschenden Bevölkerungspolitik. Einstellung aller Zwangssterilisierungsprogramme. Gegen sexistische Gewalt, gegen Abtreibungsverbote und für die Selbstbestimmung aller Frauen
Gegen Gen- und Reproduktionstechnologie, gegen die Manipulation und Selektion von Lebewesen nach Verwertungskriterien
Keine Einsätze der Bundeswehr außerhalb und innerhalb der BRD, für die Auflösung der Bundeswehr
Gegen Ökoimperialismus, gegen die Ausplünderung und Zerstörung der äußeren Natur
Freiheit für alle politischen Gefangenen weltweit
Zusammen mit der FrauenLesben-Koordination bereitet das Linksradikale Anti EU/ WWG-Bündnis die Großdemonstration am 3.6. vor.
Repression
Alle an der Vorbereitung beteiligten Gruppen wollen, daß die erste Aktion, die Euromarsch-Demo, halbwegs ohne Eskalation abläuft (wenn auch aus unterschiedlichen Gründen). Viele befürchten, daß Auseinandersetzungen am 29.5. den Druck bei der Demo am 3.6. erhöhen, so daß die Demo am 19.6. gegen den WWG nicht mehr zustandekommt (mangels Lust auf Prügel und wegen Verbot).
Das gesamte Viertel Gürzenich sowie Teile der Altstadt und Heumarkt werden während der Gipfel zur Sperrzone erklärt. Der Rheinufertunnel und die Deutzer Brücke sollen zeitweise gesperrt werden.
Die Einsatzleitung während der Gipfel hat der Polizeidirektor Granitzka. Es gibt die Einschätzung, daß er auf Deeskalation aus ist, da er Regierungspräsident werden will. Doch die Koordination der Bullen wird gemeinsam mit Landes- und Bundesinnenministerium abgestimmt. Dazu kommt, daß die Sicherheitsdienste der beteiligten Staaten mitreden, vor allem der USA. Der Stab der amerikanischen Delegation (allein Clintons Delegation zählt 1.000 Köpfe) z.B. hat verfügt, daß aus Furcht vor Bombenattentaten im Gürzenich die Pflastersteine verklebt und die Gully-Deckel festgeschweißt werden; zudem sollen Papierkörbe entfernt und Scharfschützen postiert werden.
Es wird offensichtlich den Versuch geben, DemonstrantInnen schon in den Städten am Losfahren zu hindern. Das bedeutet entweder, einzeln bzw. in kleinen Gruppen nach Köln zu fahren oder aber sich auf lange Prozeduren einzustellen.
Auf nach Köln!
In Köln wird also offenbar einiges zusammenlaufen. Es gibt viel zu tun, aber auch eine unendliche Palette an Möglichkeiten und Zusammenarbeit mit anderen Gruppen. Also: Auf nach Köln!
Aktuelle Termine und links:
http:\\www.friedenskooperative.de/themen/g799-000.htm
Vorbereitungsgruppe Kassel; Stand 14. 2. 1999
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