Go Hirasawa mobilisiert mit der Gruppe “No G8! Action” gegen den G-8-Gipfel in Japan. Gibt es dort eine andere Protestkultur?
GO HIRASAWA ist Filmdozent an der Universität Tokio und Medienaktivist. Zuletzt hat er auf der diesjährigen Berlinale die Retrospektive zum japanischen Regisseur Koji Wakamatsu koordiniert.
taz: Herr Hirasawa, Sie waren vergangenes Jahr auch in Heiligendamm beim G-8-Gipfel. Wie fanden Sie die Proteste?
Go Hirasawa: Wir sind zu zehnt aus Japan angereist, um an den Protesten teilzunehmen. Vor allem die Camps waren für uns eine besondere Erfahrung. Dort kamen so viele Leute aus allen möglichen Ländern zusammen, das war eine wunderbare Gelegenheit, Informationen auszutauschen, zu diskutieren.
Gab es auch Sachen, die Ihnen seltsam vorkamen?
Oh ja, diese ewige Suche nach dem Konsens. In Deutschland oder Europa wird jeder Teil der Strategie oder Taktik bei Protesten mit allen diskutiert, und das dauert sehr lang. Ich fand es interessant, das mitanzusehen, aber besonders praktisch kam es mir nicht vor.
Wie ist das in Japan?
Wir wählen für Aktionen oder Proteste jeweils eine oder zwei Personen, die dann für eine größere Gruppe entscheiden. Kommandanten wäre vielleicht das falsche Wort dafür, es geht eher um Verantwortlichkeit. Das Alter der Personen spielt dabei keine Rolle, was zählt, sind die Erfahrung und Fähigkeiten, in entscheidenden Moment die richtige Entscheidung zu treffen. Wenn man in Japan einmal verhaftet worden ist, bleibt man meist für 23 Tage in Gewahrsam. Deshalb ist es wichtig, Aktionen gut vorzubereiten und mit der Gruppe zu planen, spontane Aktionen sind da weniger geeignet.
Bei vergangenen Gipfeln in Europa oder den USA haben AktivistInnen häufig kritisiert, dass die Polizei unverhältnismäßig reagiere, es zu Übergriffen komme. Erwarten Sie ähnliche Situationen in Japan?
Wir erwarten während des Gipfels eine sehr ähnliche Situation wie in Heiligendamm. Die Polizei in Japan geht allerdings meist anders vor als in Europa, offene Gewalt ist nicht üblich, sie agiert eher subtil, zum Beispiel besucht sie politisch Aktive zu Hause und versucht sie so einzuschüchtern. Sie versucht allerdings auch OrganisatorInnen von Protesten im Vorfeld zu verhaften. Und wenn im Grunde nichts gegen sie vorliegt oder sich keine eindeutigen Organisatoren ausmachen lassen, konstruiert sie etwas. Das ist ein sehr typisches Vorgehen der japanischen Polizei.
Sieht denn die japanische Bevölkerung den G-8-Gipfel kritisch?
Die meisten Japaner hegen nicht den geringsten Zweifel an der Legitimität der G 8 oder am kapitalistischen Wirtschaftssystem. Ich habe das Gefühl, die Leute in Europa sind da viel kritischer. Wir hoffen, dass wir solch eine Grundstimmung auch in Japan verbreiten können, dass die Leute nicht einfach alles hinnehmen, sondern anfangen, Dinge infrage zu stellen. Bisher spielen ja hauptsächlich Europa und Amerika eine Rolle, wenn es um die Kritik der neoliberalen Globalisierung geht. Das wird sich hoffentlich ändern.
Gibt es auch Unterschiede zwischen der Linken in Japan und in Deutschland?
Linke Gruppen in Deutschland sind untereinander sehr gut vernetzt. Mich hat es beeindruckt, wie es hier gelungen ist, ein breites Bündnis gegen den G-8-Gipfel aufzubauen. In Japan sind die Linken untereinander völlig zerstritten. Die Gruppen bekämpfen sich gegenseitig, anstatt gemeinsam für ihre Ziele zu kämpfen.
Was sind die Hauptgruppen?
Antimilitaristische Gruppen gibt es sehr viele, Gewerkschaften natürlich. Und die Neue Linke, die schon gar nicht mehr so neu ist, weil sie sich in den 60ern gegründet hat, da gehören zum Beispiel die Trotzkisten dazu. Dann gibt es noch jüngere Bewegungen, die seit den 1980ern entstanden sind: Bewegungen gegen Armut, gegen Obdachlosigkeit oder gegen Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, inzwischen auch die Mayday-Bewegung.
Spricht man in Japan auch von der globalisierungskritischen Bewegung?
Ja. Sie ist inzwischen eine der größten Bewegungen in Japan. Das “Battle of Seattle” in den späten 1990ern setzte auch bei uns den Anfangspunkt für dieses Thema. Während des G 8 in Genua gab es eine Demonstration zur italienischen Botschaft, aus der heraus sich eine globalisierungskritische Gruppe namens Anti-Capitalist Action (ACA) gründete. Ein weiteres sehr wichtiges Treffen für die Bewegungen in Ost- und Südostasien war die WTO-Tagung 2005 in Hongkong. Dies war ein guter Treffpunkt, um sich kennen zu lernen und auszutauschen. Das stärkt auch das Moment gegenseitiger Solidarität. Gerade durch die starke Insellagen sind Bewegungen in Asien oft räumlich sehr isoliert voneinander. Aus diesem Grund hoffen wir auch für die Proteste in Lake Toya auf große Unterstützung durch internationale Aktivistinnen in Japan, aber natürlich auch durch globale Solidaritätsaktionen.
Und wo verortet sich Ihre Gruppe, No G8! Action?
Wir verstehen uns als dezentral und antiautoritär. No G8! Action hat sich im Mai 2007 gegründet, vor dem G 8 in Rostock. Die Grundlage unserer Arbeit sind die Eckpunkte des Netzwerks Peoples Global Action.
Der nächste G-8-Gipfel findet auf der japanischen Insel Hokkaido statt. Was für ein Ort ist das?
Hokkaido ist eine relativ arme Provinz, sehr stark landwirtschaftlich geprägt. Vor fünf Jahren war dort eine Stadt vollkommen pleite, das ist zum ersten Mal in Japan vorgekommen.
Wie kommt das?
Japan ist ein unglaublich zentralistisches Land. Firmensitze, Industrie, die Verwaltung, all das konzentriert sich auf die großen Städte im Zentrum, auf Tokio und Osaka. Die Regionen im Norden und Süden haben dementsprechend wenig Einkommen, sie leben von der Landwirtschaft, teils auch von den Armeestützpunkten. Die Situation in Hokkaido ist also ziemlich ähnlich wie in Mecklenburg. Die Leute dort sind sauer auf die Regierung, weil der G 8 bei ihnen stattfindet und sie die Probleme mit den Sicherheitsvorkehrungen, den Protesten haben.
Sie können an lokale Probleme anknüpfen?
Wir versuchen es. Hokkaido ist ja nicht nur eine Region mit ökonomischen Problemen. In Hokkaido leben auch Ainu. Die Ainu sind ein indigenes Volk, sie haben auf Hokkaido gewohnt, bis Japan die Insel kolonisierte, und müssen auch heute noch um ihre Rechte kämpfen. Die Gruppe, die vor Ort die Proteste vorbereitet, hat ein Treffen mit den Indigenen organisiert und versucht, sich mit ihnen zu vernetzen.
Welche politischen Fragen stehen in Japan sonst auf der Tagesordnung?
Vor allem die zunehmenden Unterschiede zwischen Arm und Reich. Die neoliberalen Reformen des Premierministers Junichiro Koizumi haben diese Unterschiede verschärft, und das führt jetzt zu großen Problemen. Anders als in Deutschland gibt es kaum soziale Absicherung. Viele junge Leute leben in äußerst prekären Situationen, sind obdachlos, leben von Nebenjobs. Immerhin haben diese jungen Prekären in den letzten Jahren begonnen, sich zu organisieren. Sie spielen jetzt die Hauptrolle in der Mobilisierung gegen den G-8-Gipfel.
In einem Papier schreiben Sie, der Neoliberalismus geht in Japan Hand in Hand mit Neonationalismus.
Neoliberalismus umfasst in Japan natürlich dieselben Elemente wie anderswo: ein Diskurs, der weniger Staat und mehr Markt fordert, die Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Aber um solch ein Programm durchzusetzen, ist ein stabilisierender Faktor nötig, ein Ausgleich. Das war in Japan der Nationalismus. Der Ärger, den die neoliberalen Reformen verursachen, soll aufs Ausland abgeleitet werden. Das hat zu Beginn genau die gewünschten Effekte gehabt, so gut funktioniert diese Taktik inzwischen allerdings nicht mehr. Leider spielt aber Japan durch seinen extrem hoch entwickelten Kapitalismus immer noch eine Vorreiterrolle in Asien.
Der japanische Premierminister Yasuo Fukuda hat bekannt gegeben, dass die Schwerpunktthemen des G 8 Afrika und Klimawandel sein werden.
Japan ist sehr auf seinen guten internationalen Ruf bedacht, und das zeigt sich auch bei der Wahl dieser Themen. Dabei hat die japanische Regierung in letzter Zeit immer wieder gezeigt, wie wenig Interesse sie hat, tatsächlich etwas für den Klimawandel zu tun. Sie weigert sich, verbindliche Gesetze zu erlassen. Das Einzige, was sie unternimmt, ist, japanische Firmen zu unterstützen, damit sie effizientere Technologien entwickeln. Das hat sich bisher als wenig erfolgreich herausgestellt, die CO2-Emissionen haben in Japan in den letzten Jahren nicht abgenommen, sie sind um über 6 Prozent gestiegen. Dabei gibt es in der Bevölkerung durchaus ein Bewusstsein für das Thema Klimawandel.
Greift die Linke das auf?
Kaum. Umweltschutz ist in Japan ein Thema, das sehr stark von der Wirtschaft besetzt ist, da geht es um Technologien, Innovationen, Effizienz. Das macht es für die Linke nicht gerade attraktiv, sich damit zu beschäftigen. Linke Gruppen versuchen, mit einem anderen Begriff von Umwelt zu arbeiten, bei dem man nicht nur an Natur, an Klima denkt. Umwelt kann ja auch in einem allgemeineren Sinne verstanden werden, als die Umgebung, die Welt, in der die Menschen leben.
INTERVIEW JULIANE SCHUMACHER
Source: www.taz.de