Chefs von sieben Industrienationen und Russland trafen sich vor einem Jahr – Vorwürfe gegen Polizei
Rostock/dpa. Vor einem Jahr schlugen die Wellen in Mecklenburg- Vorpommern hoch. Die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrienationen und Russlands trafen sich Anfang Juni zum G8-Gipfel in Heiligendamm. Das Ostseebad wurde mit einem Zaun abgeriegelt. 16 000 Polizisten sicherten den Gipfel. Schwere Ausschreitungen gewalttätiger Autonomer ließen die Bilder der friedlichen Demonstration am Wochenende vor dem Gipfelbeginn verblassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihre Gäste ließen sich später im größten Strandkorb der Welt fotografieren. Inzwischen erinnert in Rostock, Heiligendamm und Umgebung außer vereinzelten Graffiti nichts mehr an den Gipfel.
Nach dem Gipfel ist nach Worten des Koordinators des Anti-G8- Bündnisses, Monty Schädel, die Anti-Globalisierungsszene näher zusammengerückt. «Wir haben noch keine Ziele durchgesetzt, die Zusammenarbeit ist aber besser geworden – ein Qualitätssprung im Vergleich zur Zeit davor», sagt Schädel, der Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft ist. Die Proteste hätten gezeigt, dass mit gewaltfreien Mitteln, etwa der Blockade am Zaun, etwas zu erreichen sei. «Wir haben die Gipfelteilnehmer eingesperrt, mehr konnten und wollten wir nicht erreichen.» Es bleiben aber die alten Vorwürfe, dass sich die Polizei unverhältnismäßig und unfair gegenüber Demonstranten verhielt.
Das lässt der Chef der G8-Polizeieinheit, Knut Abramowski, so nicht stehen. «Wir haben den ordnungsgemäßen Verlauf des Gipfels sichergestellt», betont er. «Wir haben verhindert, dass die Rostocker Innenstadt in Trümmer gelegt wurde.» Abramowski, heute Chef der Polizeidirektion Schwerin, bleibt ruhig beim Gedanken an die anstehende Überprüfung des Luftwaffen-Einsatzes im Gebiet um Heiligendamm durch das Bundesverfassungsgericht. Der Einsatz sei nötig gewesen, um versteckte Depots zu orten. Die Verfassungsmäßigkeit sei vorher überprüft worden.
Der Geschäftsführer des Landestourismusverbandes, Bernd Fischer, findet: «Mecklenburg-Vorpommern ist international bekannter geworden.» Er verweist auf die umfangreiche Berichterstattung in ausländischen Medien. «Das kam zur rechten Zeit», will doch der Nordosten den mit 2,9 Prozent sehr bescheidenen Anteil ausländischer Gäste steigern. Richtig zufrieden ist aber die Sprecherin des Grand Hotels in Heiligendamm, in dem die Staats- und Regierungschefs getagt hatten. Nach dem Gipfel sei die Zimmerauslastung von schwachen 40 Prozent 2006 auf 62 bis 64 Prozent in diesem Jahr gestiegen, sagt Kirsten Brasche-Salinger.
Ein aufregendes Jahr haben die Gerichte und die Rostocker Staatsanwaltschaft hinter sich. Laut Oberstaatsanwalt Peter Lückemann wurden 1450 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit G8 eingeleitet. 46 Verfahren sind noch am Laufen, 83 endeten mit rechtskräftigen Verurteilungen. Allerdings hätten sich die Behörden nach Ansicht von Kritikern viel ersparen können, wenn sie nicht minimale Verstöße gegen das Versammlungsgesetz genauso verfolgt hätten wie Steinewürfe gegen Polizisten.
Immer wieder in der Kritik war die Behandlung von festgenommenen Demonstranten, die teilweise stundenlang und ohne anwaltliche Betreuung in sogenannten Gefangenensammelstellen in Käfigen festgehalten wurden. «Wir haben bei G8 massive Eingriffe in die Bürgerrechte und Versammlungsfreiheit erlebt», sagt die Grünen- Bundesvorsitzende Claudia Roth. «Heiligendamm steht für die Trennung von Politik und Gesellschaft. Der Zaun ist weltweit zum Symbol geworden für eine Politik, die sich abschottet und verschließt gegenüber den Menschen.»
von Joachim Mangler, 29.05.08
Source: www.mz-web.de