Das Who-is-who der Weltverbesserer hat heute Angela Merkel getroffen. Sie konnten ihre Wünsche äußern, wie die wichtigsten Probleme der Welt gelöst werden sollen. Ihr Urteil reichte von überschwänglichem Lob bis zu barscher Kritik für die Kanzlerin.
Berlin - Sie müssen im Kampf gegen HIV, Hunger, Kriminalität oder den Klimawandel mit den Entscheidungen der Politik arbeiten, egal ob Regierungschefs die Entwicklungshilfe nun erhöhen oder nicht: 19 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) trafen sich heute mit Kanzlerin Angela Merkel in Berlin. Von Greenpeace über Oxfam, dem International World Wildlife Fund (WWF), Transparency International bis zu Ärzte ohne Grenzen reichte das Spektrum - es sind die Organisationen, die sich direkt vor Ort in Afrika, Südamerika oder Asien für eine bessere Welt einsetzen.
Ihre etwa eineinhalbstündige Unterredung mit der Kanzlerin stellte eine wichtige Verbindung her: Die zwischen der Arbeit der Entwicklungshelfer und den milliardenschweren Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrienationen vom 6. bis zum 8. Juni in Heiligendamm, dem G8-Gipfel, dessen Agenda Deutschland bestimmt.
Industrieländer schummeln
"Überraschend gut" sei das Treffen mit der Kanzlerin heute gewesen, sagte Claudia Warning vom Verband Entwicklungspolitik deutscher NGOs zu SPIEGEL ONLINE. Auch Teilnehmer aus dem Ausland wie Hugette Labelle von Transparency International sprachen davon, dass die Kanzlerin die Anliegen der NGOs sehr ernst nahm.
Dazu gehört zum Beispiel die Angewohnheit der Industrieländer, in Sachen Entwicklungshilfe schlicht zu schummeln: Wenn sie Entwicklungsländern Schulden streichen, verbuchen sie den Betrag als Entwicklungshilfe - obwohl sich die Industrieländer in einem UN-Abkommen aus dem Jahr 2002 dazu verpflichtet hatte, ebendies nicht zu tun. "Rechnet man die gestrichenen Schulden aus der Entwicklungshilfe raus, steht Deutschland ziemlich schlecht da", sagt Claudia Warning.
Ein Kritikpunkt der NGOs war für Merkel völlig neu: der internationale Handel mit Schulden. Nach einem Bericht der Weltbank kaufen Finanzinvestoren die Schulden von Entwicklungsländern auf. In einem Fall verkaufte Rumänien eine Forderung von 3,5 Millionen Euro gegenüber Sambia an einen Investor - der trieb das Geld mit entsprechender Gewinnspanne ein, am Ende 15 Millionen Euro. Die Industrieländer sind, wenn sie ihre monetären Forderungen einmal verkauft haben, nicht mehr in der Lage, die entsprechenden Schulden der Entwicklungsländer zu erlassen.
Patienten sterben wegen fehlender Medikamente
Ohnehin auf der Gipfel-Agenda ganz oben steht der Kampf gegen den Klimawandel, ein Thema, mit dem sich Merkels bereits auf EU-Ebene profilieren konnte. Nun soll sich Merkel bei den NGO's nach guten Verhandlungstaktiken erkundigt haben - spricht, welche der Klima-Ziele sie bei den anderen G8-Staaten am ehesten gegen andere Ziele verhandeln könnte. Nach Vorstellung der NGO's soll bis zum Jahr 2050 der Ausstoß von Treibhausgasen um 50 Prozent verringert werden, 80 Prozent der Reduktion müssten demnach die Industrieländer beisteuern.
Scharfe Kritik an Merkel kam von "Ärzte ohne Grenzen". "Unsere Patienten, die an Tuberkulose erkrankt sind, sterben", heißt es drastisch einer Stellungnahme. Ein Großteil der Gesprächszeit habe sich Merkel mit wenig kontroversen Themen wie eben dem Klimawandel gewidmet. "Ich finde es unehrlich, Innovation auf die Agenda das G8-Gipfels zu setzen und nicht zu sagen, dass arme Länder ganz andere Mechanismen als Industrieländer brauchen", sagt Tido von Schön-Angerer, Leiter der Medikamentenkampagne der Organisation. Innovation heißt vor allem Patentschutz und genau der verhindere die Entwicklung wichtiger Medikamente, etwa beim Kampf gegen Tuberkulose: Firmen, die dank ihrer Patente Geld mit ihren Medikamenten verdienen, müssten nicht in neue, bessere Produkt investieren. Ein weiteres Problem: Geschützte Medikamente, etwa die der zweiten Generation im Kampf gegen HIV, sind oft unerschwinglich für die armen Länder. Schön-Angerer kritisierte, Merkels Stab habe nicht einmal die Dringlichkeit des Problems erkannt.
Das Treffen mit den NGOs soll auf jeden Fall nicht das letzte gewesen sein: Ende des Jahres hat Merkel ein weiteres angekündigt. Dann zusammen mit Japan, das den nächsten G8-Vorsitz inne hat.
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