Ein Kampf zwischen Profil und Plattitüde
In den letzten Jahren wurde es immer deutlicher. An der Popmusik kommt man nicht mehr vorbei, wenn man Politisches oder Religiöses bewegen möchte. Keine Veranstaltung ohne musikalisches Rahmenprogramm. Zuletzt am Evangelischen Kirchentag, bei den Live8-Konzerten oder beim G8-Gipfel in Heiligendamm. Wie sehr Popmusik und ihre Veranstaltungen da immer ins Bild passen, scheint kaum noch zu interessieren. Denn letztendlich stehen die Open-Air-Konzerte stets am Ende einer langen Logik- und Argumentationskette. Aber müsste man nicht schon viel früher ansetzen, um Menschen, Bürger und Jugendliche zu sensibilisieren? Sollte nicht bereits in Schulen Vorarbeit geleistet werden, um Jugendlichen langfristige Entwicklungen aufzuzeigen, so dass am Ende nicht nur ein platter Schlachtruf, den sie absorbieren müssen, ertönt, ähnlich Herbert Grönemeyers missratenen Grußworten zur Eröffnung des „Deine Stimme gegen Armut“-Konzertes: „Die Politiker werden sich mächtig ärgern.“ Warum eigentlich, werden sich viele gefragt haben.
An diesem Punkt scheint Popmusik ihre Grenzen erreicht zu haben. Aufklärend kann sie nicht wirken, weil sie dafür nicht erfunden wurde und argumentativ kommen die Konzerte „für und gegen etwas“ langsam in Schieflage. Denn man verzahnt die Musik eines Künstlers nicht selten mit dessen Werten und Einstellungen. Ist man dann gegen Globalisierung, weil es auch die Sportfreunde Stiller sind oder ist man für Jesus, weil Bläck Fööss am Evangelischen Kirchentag auftreten? Und wie sehr trennen die Künstler ihr Engagement vom durchaus gerechtfertigten Gedanken, dass sie sich selbst trotzdem als Produkt verkaufen?
Vom Mittel zum Zweck
Popmusik wurde Mittel zum Zweck. Freilich entbehrt es jeder Grundlage, den Sportfreunden Stiller zu unterstellen, der Auftritt in Heiligendamm wäre eine getarnte Promotion für das demnächst erscheinende Album gewesen. Oder die Fantastischen Vier würden mit ihrem Heiligendamm-Auftritt noch einmal an das kürzlich veröffentlichte Album samt Tourneedaten erinnern wollen. Aber so ganz deutlich wird die Trennlinie eben nie bleiben. Weil es schlicht auch an Nachhaltigkeit fehlt. Plötzlich tauchen dann Künstler auf, die man Jahre vorher nie mit der Globalisierungsthematik in Verbindung gebracht hätte. Diese punktuellen Argumentationen der Künstler reiben sich mit einer konsequenten Haltung oder Politik. Niemand weiß ja, wie lange sich die Künstler mit der Materie beschäftigt haben. Steht deren Meinung auf festem Fundament, haben sie sich lange damit auseinandergesetzt oder gar nur eine Studie gelesen, ohne vielleicht die immer wichtige andere Seite auch einmal in Betracht zu ziehen? Klar, Herbert Grönemeyer sagt immer wieder mal ein paar Sätze zur politischen Situation in Deutschland, hat aber seinen Lebensmittelpunkt in den letzten zehn Jahren nach London verlegt. Und so sieht man sich in allen Alterslagen mit Parolen von Künstlern konfrontiert, die man eben so übernimmt, weil man frei davon ausgeht, dass die sich schon was gedacht haben, wenn sie das in der Öffentlichkeit verkünden und mit ihrem Namen dafür einstehen. Hinterfragt wird das längst nicht mehr. Egal ob nun zum G8-Gipfel musiziert wird oder zur Kinderkrippenplatzsituation in der eigenen Gemeinde. Die Ziele mögen da stehen als vorgefertigte Formulierung. Nur der Weg dorthin bleibt verborgen. Und so muss man sich nicht wundern, wenn Jugendliche in Heiligendamm eher aufs Konzert gehen, um die Fantastischen Vier für 2,50 Euro live zu erleben und am Konzertmotto kaum interessiert sind. Denn letztendlich scheint jede dieser Veranstaltungen mit musikalischem Familienfoto und dem Song „All you need is Love“ zu enden.
Der ideelle Wert der Musik
Eine entscheidende Frage ist an dieser Stelle, was Popmusik ideell noch leisten kann? Den immer wieder zitierten Woodstock-Geist wird man nicht mehr beleben können, selbst wenn Bono laut welt.de erklärt: „Ich habe Woodstock verpasst, Rostock werde ich nicht verpassen!“ Das schmeckt natürlich schon nach Durchhalteparole. Auch weil man weiß, dass die Musik viel zur Globalisierung beigetragen hat und die Globalisierung der Musik via Internet neue Türen und Verdienstmöglichkeiten beschert hat. Es ist ein bizarrer Ritt, den Künstler für ideelle Ziele in Kauf nehmen. Pendelnd zwischen Glaubwürdigkeit und Profit-Marionette. In diesem Sumpf hehre Ziele zu pflanzen scheint mehr als schwierig zu sein. Vor allem weil Popmusik nicht mehr ein Nebenweiher der Kultur ist, sondern sich verselbstständigt hat, während sonstige kulturelle Beiwerke wie Kunst noch in der übrig gebliebenen Suppe schwimmen. Das Profil hat sich allerdings nicht geschärft, zumindest was die Popmusik betrifft. Zwar glaubt Bono, dass es „nur drei Bands auf dieser Erde gibt, die mit ihrer Magie und ihrem Talent die Welt verändern können“ (Radiohead, R.E.M. und Pearl Jam, Anm. d. Red.), aber was zu ändern ist und wie, das bleibt weiter verborgen. Und so werden aus vermeintlich ideellen Zielen ziemlich schnell konkrete Ziele, die man eben so einsammelt in der Welt der Popmusik. Man ist gegen Armut, Arbeitslosigkeit oder für Schuldenabbau und Solidarität. Aber leider eben immer nur am Ende. Nie ohne kontinuierliche Wegbeschreibung, oder einen Fahrplan, der Jüngeren deutlich macht, was eigentlich passiert und wie man das ändern kann. Vielleicht verei-nen sich die ideellen Ambitionen der Künstler hier mit den Ursachen ihres Erfolges. Dem knallharte, wirtschaftliche Kalkulationen vorausgingen, oft gepaart mit erzwungenem Glück. Einfacher gestaltet sich das freilich auf dem Evangelischen Kirchentag. Wenn Popmusik eher beschaulich präsentiert wird. Mit dem Ziel gemeinsam glücklich zu sein, als Schlussfolgerungs-Konzert. Da bekommt man es mit den kleinen Popkünstlern zu tun. Den A-Cappella-Knaben Wise Guys oder den Bläck Fööss. Oder der Schauspielerin Katja Riemann, die zusammen mit einer Ethno-Band auftritt. Die Verbindung zur Kirche und deren ideellen Zielen bleibt zunächst einmal verborgen. Weil eventuell auch nicht existent. Man hat den Eindruck, hier werde zuerst argumentiert oder veranschaulicht, um was es gehen soll. Hat man das dann an Jugendliche, Frauen und Männer gebracht, geht es ab zum gemeinsamen Feiern. Gerne auch im Glanz der Popstars, die aber mindestens eine Nummer kleiner ausfallen als bei der Politik. Die aber wie der Künstler Patrik Nuo auf Nachfrage dann plötzlich auch etwas zum Thema Kirche beizutragen haben und zum Thema Sex immerhin vermerken können, entschieden bis nach der Hochzeit zu warten.
Überhaupt scheint die Evangelische Kirche popkulturell gewiefter zu sein. Mit der Band Allee der Kosmonauten propagierten sie 2005 den Slogan „Mit christlicher Popmusik in die Charts“, allein die Botschaft wollte beim jugendlichen Konsumenten nicht ankommen. Zwar versucht es die Kirche nicht so brachial wie die Politik, vielleicht auch weil man in der Popmusik immer noch eine Verarmung der Kultur und eine Gefährdung für Jugendliche sieht. Aber wie sind dann die Musikkonzerte am Evangelischen Kirchentag zu werten? Reines und teures Beiwerk? Haben die Künstler etwas zur Sache zu sagen? Fungieren die Künstler als Transmitter für wie auch immer geartete Botschaften? Man erfährt es nicht. Denn irgendwann werden die Argumente ausgehen und der Musiker wird als letzter Strohhalm herangezogen, ganz nach dem Motto „selbst der Künstler XY unterstützte unsere letzten Vorhaben und Botschaften mit seiner Anwesenheit am Kirchentag“. Ob das der Künstler wusste?
Mehr Profil in der Zukunft
Popmusik braucht wieder ein schärferes Profil. Das lässt sich jedoch nicht erreichen, indem Musik und ihre Künstler immer nur am Ende der Argumentationskette stehen. Poppolitisches Engagement ist richtig und wichtig. Aber konzertiert muss es sein. Denn politisches Engagement bedeutet nicht ausschließlich, bei großen Events sichtbar zu sein, auch dazwischen muss Bewusstsein vermittelt werden und auf langfristige Weise zu den großen Problemen hingeführt werden. Man wünschte sich von Popmusiker, dass sie ihr Engagement überschaubarer gestalten. Dass sie aufzeigen, inwieweit und inwiefern sie sich mit den Thematiken auseinandergesetzt haben. Dass sie klar trennen zwischen Selbstzweck, der ihnen ohne Zweifel gestattet sein soll, und Fremdzweck. Und dass man nie die Basis aus den Augen verliert. Denn es sind die Kinder und Jugendlichen, die in den nächsten Jahren hinterfragen müssen, wie alles kam. Doch so richtig mit einbezogen werden Kinder und Jugendliche, die cash-cows der Popbranche, schon lange nicht mehr. Mit den Eltern geht es eben zum Kirchentag oder nach Heiligendamm. Warum, wird nie oder erst in zehn Jahren geklärt. Auch weil es an entsprechender Information in Schulen fehlt. Die obligatorische Hüpfburg wird als Legitimation ein weiteres Mal herhalten müssen. Doch noch besteht die Chance, das Protestprofil der Popmusik zu schärfen und insbesondere zu verbreitern. Nur so können alle zur selben Zeit am gleichen Ort abgeholt werden.
Sven Ferchow