Grausame Schicksale in Afrikas Kliniken
Von SIR BOB GELDOF
Pop-Legende Bob Geldof (55) trägt Afrika am Herzen. Sein T-Shirt zeigt den schwarzen Kontinent und die Worte „Unser gemeinsames Interesse“
Ein ausgezehrter Junge schläft auf dem Flur eines Krankenhauses in Somalia. Eins von sechs Kindern stirbt in Afrika, bevor es fünf Jahre alt wird
Dr. Hussein Adan pflanzt Patienten Ziegenknochen ein und säubert Wunden mit Kamelmilch
Hunger, Aids, Krieg. Seit mehr als zwanzig Jahren kämpft Pop-Legende Bob Geldof (55) für die Zukunft des afrikanischen Kontinents. BILD veröffentlicht exklusive Auszüge seines Reise-Tagebuchs aus Afrika. Heute: Kamelknochen und Antibiotika. Die OP-Methoden einer Busch-Klinik in Somaliland.
Es sah aus wie üblich. Ein schäbiges kleines Krankenhaus ohne Geld, ohne Medikamente und mit ohnmächtigem und demoralisiertem Personal. Ich hatte das schon überall in Afrika gesehen. Aber dieses Krankenhaus war anders.
In einem schwach beleuchteten Raum, die Farbe blätterte von den Wänden, saß ein ungefähr vierzigjähriger Mann. Er hieß Mohammed Hassan und sein Bein schaute steif unter einer dünnen Decke hervor, die um seine Hüfte gewickelt war. Sein Bein heilte. Den Knochen hatte eine Kugel zersplittert. Er blieb bewusst vage, als er davon berichtete, wie es passiert war. Er war schon in anderen Krankenhäusern in der Region gewesen. Dort hatte man ihm gesagt, das Bein müsse abgenommen werden.
Die Methode, mit der sein Bein in Ordnung gebracht worden war, war anders. Der Verantwortliche für die kleine Klinik, Dr. Hussein Adan, erklärte: „Ich habe ein Stück Kamelknochen genommen und sterisiliert. Mit einer Mischung aus Kamelmilch und einer Paste aus der Rinde eines Wüstenstrauchs. Dann habe ich das Stück in sein Bein gelegt – dort, wo der Knochen vorher war, es eingepasst und die Wunde vernäht. Um die Infektion zu bekämpfen, habe ich ihm Antibiotika gegeben.“
Dr. Adan war beides – traditioneller Heiler und westlich ausgebildeter Arzt. Sein Krankenhaus mischte althergebrachte und moderne Medizin. Den Kamelknochen-Trick hat er schon tausendmal vollführt.
O. K., sehr beeindruckend. Aber ein Bein herzurichten ist nicht gerade Gehirnchirurgie.
In der nächsten Station lag ein 18-jähriges Mädchen. Ihr Kopf war bei einem Autounfall zerquetscht worden. „Ihr Gehirn kam auf der Straße schon raus,“ erklärte der Doktor. „Wir brachten sie her und entfernten die Steine und den Splitt. Dann reinigten wir das Hirn mit einer Mixtur aus Weihrauch und Kamelmilch. Dann bedeckten wir das Loch in ihrem Kopf mit einem Stück Ziegenknochen.“ Das Mädchen saß aufrecht im Bett. „Es geht ihr nicht gut, aber sie macht Fortschritte.“
Das alles wurde auf einem schwarzen, plastiküberzogenen Bett unter einem einzigen Ventilator vollbracht. Es gab nur eine Energiesparlampe an der Decke und eine dieser Handlampen, bei denen die Glühbirne nackt in einer Metallfassung steckt – wie sie Mechaniker unter dem Chassis benutzen.
In dieser unwirklichen Umgebung führte Dr. Adan die anspruchsvollsten Operationen durch. Auf der nächsten Station saß ein 14-jähriger Junge, den eine Hyäne angegriffen hatte. Sein Kiefer war an vier Stellen gebrochen. Der großartige Arzt hatte ihn zusammengefügt, bevor er die Zunge des Jungen wieder in seinem Mund annähte. Auch dafür benutzte er Kamelmilch. „Es hat starke heilende Kräfte, weil Kamele von verschiedenen Bäumen und Kräutern essen, die alle ins Blut gelangen. Kamelmilch ist besonders gut für das Gehirn.“
Kamelknochen und Ziegenknochen, Weihrauch und Antibiotika und immer wieder Kamelmilch. Es klingt lächerlich. Aber wie so vieles in Afrika – es klappt. Und das Verblüffende ist, dass Tradition und Moderne keine Gegensätze sind oder Start und Ziel, sondern etwas, was zusammengenommen die afrikanische Lösung ist.
Im Westen herrscht die Vorstellung, dass Entwicklung das stetige Ansteigen von Tradition zur Moderne ist. Es gehe darum, dass „Afrika uns einholen muss“. Aber alles deutet darauf hin, dass Tradition nicht unbedingt der Vorläufer von Modernität ist. Was Afrika Veränderung und Fortschritt bringen wird, ist das Zusammenspiel von beidem.
Lesen Sie morgen:
Der Junge, dessen Eltern ihn nicht zur Schule gehen ließen
[http://www.bild.t-online.de/BTO/news/2007/05/24/geldof-bob-serie/afrika-kliniken-schicksale.html]