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2008-07-15

Politik und Polizeirisch

Die vollen 22 Bar Druck, erklärt der Kommandant des Wasserwerfers, dürfe er nur einsetzen, wenn ein „Störer“, so der Polizeijargon, weiter als 15 Meter entfernt sei. Je näher der Störer am Fahrzeug sei, desto weniger Druck komme zum Einsatz, „damit die Verletzungen nicht so gravierend sind.“ Es geht also um die Verhältnismäßigkeit der Mittel, um die vorsorgliche Begrenzung des Schadens, ums rechte Augenmaß. Das genau sind die großen Themen des Dokumentarfilms „Der Zaun“ von Andreas Horn und Armin Marewski, wobei uns eine findige Kamera fortgesetzt zeigt, dass die Verhältnismäßigkeit keineswegs gewahrt wird.

Bild: Am Zaun vor Heiligendamm

„Der Zaun“ erzählt vom G8-Gipfel im Ostseebad Heiligendamm im Juni 2007, besser gesagt, von einem Teilaspekt des Ereignisses. Vom Versuch, Störer und Staatschefs mittels eines teuren Walls aus Menschen, Stahl und Stacheldraht getrennt zu halten.

Die Kamera (Andreas Horn, Armin Dierolf) fasst gern Idylle und Machtaufmarsch, Beschaulichkeit und Bürgerkriegserwartung in einem Bild oder in trügerisch ruhigen Schnittfolgen zusammen. Heiligendamm strahlt behagliche Schläfrigkeit aus, in der die Maschinen und Hundertschaften der Polizei wie das Statistenheer einer Filmproduktion über außerirdische Invasoren wirken. 17 800 Beamte haben versucht, ein neuntägiges Versammlungsverbot durchzusetzen.

„Der Zaun“ macht wenig Hehl daraus, dass er parteiisch ist. Dass er Demonstranten und Anwohner differenzierter und ausführlicher zu Wort kommen lässt zeigt als die Polizisten, ist aber auch Symptom einer gesellschaftlichen Dialogkrise, die sich zum massiven Sperrgitter verdichtet hat. Auf der Bürgerseite des Zauns kann die Kamera sich noch halbwegs frei bewegen, auf der Gipfelseite nicht mehr.

Schwarz vermummte Gewaltanwendungstrupps, Strategen der Staatsprovokation, die man in völliger Verkennung ihres Eskalationskalküls Chaoten nennt, rückt die Kamera nur kurz in den Blick. Sie zeigt lieber fröhliche, bunt gemischte Blockiererhäufchen, deren Stimmung allerdings in Erwartung des Weggeschleppt- und Weggesperrtwerdens schnell aggressiver wird, wenn die Polizeireihen aufmarschieren. „Haut ab, haut ab“ skandieren sie dann.

Erst der Zaun provoziere die Gewalt, beteuern G8-Gegner. Das ist erzwungen naiv dahergeredet. Aber „Der Zaun“ zeigt auch, wie eine Polizeikette mit Wasserwerfer vorrückt. Die hochgerüstete Truppe treibt nur passiven Widerstand leistende Demonstranten vor sich her. Sprechchor: „Wir sind friedlich, was seid Ihr?“ Kurz darauf sehen wir eine Totale des Polizeiaufmarsches: neun Wasserwerfer und ein Karree Behelmter halten eine kleine Menge Sperrzonenverletzer in Schach.

Die Filmemacher mögen aus Gründen der Polemik einen besonders friedlichen Moment gewählt haben, aber der Film porträtiert da subjektive G-8-Erfahrungen, von gereizter Ohnmacht hie, von genervter Anspannung da. Wir sehen im Bild vermeintlichen Stillstands eine Produktionsmaschine auf Hochtouren. Sie fertigt wechselseitige Verbitterung und Verachtung.

Die Clownarmee, eine tatsächlich in Clownkostümen auftretende linke Aktivistentruppe, führt vor, wie man eine Demonstration als Medienschlacht führt. Geschminkt wie die Spaßmacher im Zirkus, mit deren Gestik und Mimik, stehen sie grimmigen Polizisten gegenüber und bieten mit kopfbreitem Unschuldsgrinsen Blümchen und Babyschnuller an. Doch es geht nicht nur darum, den Nachrichtenkameras den kompletten Gegenentwurf zum Feindbild „Steinewerfer“ zu bieten. Im Aufeinandertreffen von Polizei- und Clownuniform wird ein Riss durch die Gesellschaft sichtbar gemacht. Wenn ein Beamter verunsichert derb auffordert „Gehen Sie hinter die Absperrung zurück“, wendet sich ein Clown greinend an die Umstehenden: „Ich kann den nicht verstehen. Der spricht Polizeirisch!“ Das ist der eigentlich gar nicht ulkige Hinweis darauf, dass Staatsmacht und Demonstranten in Heiligendamm ganz falsch miteinander kommuniziert haben. „Der Zaun“ gehört schon darum unbedingt ins deutsche Erinnerungsalbum.

Der Zaun. Arthaus DVD. 70 Minuten Film. Entfallene Szenen, Interview, Fotogalerie.

Source: http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/detail.php/1761551