Widerstand ist angesagt, auch wenn der Gipfel nicht mehr tagt
Wer ein paar Tage vor der Großdemonstration angereist war und sich auf den Camps oder im Protestzentrum in Evershagen aufhielt, bemerkte gleich: Die G8-Proteste werden eine internationale Veranstaltung werden. Die deutsche Sprache war auf den Wegen und Fluren eindeutig in der Minderheit. Die Proteste begannen mit einem Erfolg. Ca. 60.000 Menschen demonstrierten am historischen 2. Juni durch Rostock. Der Schwarze Block ließ es sich nicht nehmen, das zu praktizieren, was viele - möglicherweise jedoch zu einem anderen Zeitpunkt und an anderer Stelle - erwartet bzw. erhofft haben: Menschen griffen militant in das Geschehen ein, Banken wurden entglast und martialisch ausgerüstete PolizistInnen zurückgedrängt.
Diese Angriffe waren ein Ausdruck davon, dass eine radikale Linke an der Protestvorbereitung und -durchführung beteiligt war, die sich nicht auf Mittel des zivilen Ungehorsams beschränkt und der Auffassung ist, die kapitalistischen Verhältnisse nicht allein auf friedlichem Weg überwinden zu können.
Bündnisse, Gruppen und Einzelpersonen - auch aus der Linken - befürchteten danach, ihre geplanten friedfertigen Proteste nicht mehr wie vorgesehen umsetzen zu können. In diesem Sinne ist die Strategie der Mainstream-Medien zumindest bis Montag aufgegangen. Verschiedene AktivistInnen und Organisationen ließen Abgrenzungsbestrebungen erkennen oder distanzierten sich bis zum Schluss von militantem Widerstand. Wobei vieles gar nicht mehr in die Öffentlichkeit drang: In den Medien war nichts von dem in Flammen stehenden Reifenlager an der Autobahn bei Laage einige Zeit nach der Ankunft von Bush zu lesen, ebenso nichts über die gestoppte Limousine - vermutlich der russischen Delegation. Auch die Brandanschläge auf deutsche Firmen und Vertriebsstellen im - hauptsächlich europäischen - Ausland als Reaktion auf die Polizeimaßnahmen während des G8-Gipfels sind weitgehend untergegangen.
Weder dezentrale Blockadekonzepte noch andere Aktionsformen, die weitgehend dem dissent!-Netzwerk zugeordnet werden, waren medial vertreten. Genau dieses hätte unserer Meinung nach aber notwendiger Teil einer politisch offensiven Strategie sein müssen. Der radikalen Linken - und damit auch uns - ist es so gut wie nicht gelungen, eigene Akzente jenseits des zivilen Ungehorsams zu setzen und beispielsweise auf den morgendlichen Pressekonferenzen oder gezielt mit ausgesuchten Medien dem Black bloc eine öffentliche Stimme zu geben. Die Chance dazu hätte es vielfach gegeben. PressevertreterInnen hätten liebend gern mit Menschen aus dem Schwarzen Block gesprochen. Dieses Bedürfnis ließ sich aus verschiedenen Gründen nicht befriedigen und doch hätten viele gern anderes in den Medien gesehen, als die Hetze über die "schlimmsten Krawalle, die Deutschland je erlebt hat". Mit, nebenbei, dem wahrscheinlich geringsten Sachschaden, der bei "Krawallen" in Deutschland je entstanden ist.
Das öffentliche Schweigen trug seinen Teil dazu bei, dass nach der Großdemonstration am Samstag fast nur noch der Wille zu Friedfertigkeit bis hin zu denunziatorischen Wortbeiträgen zu hören war. Die Aufregung um die Demonstration am Samstag brachte aber noch einen weiteren Erfolg für die Gegenseite. So hatte die Pressestelle von Kavala bereits am Samstag mit ihren gezielten Desinformationen angefangen und es dauerte einige Tage, bis auch die Medien - zumindest einige - dahinter eine Strategie erkannten.
Die Deutsche Presseagentur dpa hat im Verlauf der Protestwoche zumindest eine Entschuldigung über ihre Ticker gejagt, in der die Agentur eingesteht, dass sie ihre Quelle - Kavala - nicht benannt hat und damit Meldungen aus der Polizeipressestelle zu Wahrheiten gemacht hat. Bei Spiegel online steht dies noch aus. Ob nun reihenweise verletzte ausgeflogene Polizisten, Giftattacken der Rebel Clowns Army oder Steinwürfe in Lichtenhagen, Vermummte bei der Migrationsdemo oder in den Blockaden: Deren Ticker hat wirklich keine der unzähligen Falschmeldungen ausgelassen und so die Stimmung gegen den militanten Teil der Antiglobalisierungsbewegung angeheizt und damit sicher auch die Debatte um die Wahl der Aktionsformen mit bestimmt.
Unsere Aufgabe als Pressegruppe lag hier in erster Linie in der Reaktion auf die gezielte Desinformation und nicht im offensiven Umgang mit militanten Aktionsformen. Auch wenn gute Argumente dafür sprechen, aus unserer Sicht wäre es medienpolitisch die richtige Strategie gewesen, hier stärker offensiv zu agieren. Nun bleibt zu hoffen, dass zumindest die damit angestoßenen Diskussionen einen emanzipatorischen Weg einschlagen werden, der nicht im Reformismus endet.
Weit über 20.000 Menschen haben über die Tage verteilt auf den Camps genächtigt. Während die Kundgebungen am Militärflughafen Rostock-Laage Tausende von PolizistInnen binden konnten, gelang es zehntausend Menschen, an den Zaun um Heiligendamm vorzudringen und bis zum Gipfelende Zufahrtswege zu blockieren. Diese Bilder gingen ebenso wie die der Ausschreitungen ein paar Tage zuvor um die Welt. Die Stimmung, die diese Bilder produzierten, führte unterm Strich wieder zur Einigkeit: Wir sind an den Zaun gekommen und haben in diesem Punkt gewonnen. Aber eines ist allen ebenso klar: Das kann es nicht gewesen sein. Eine viele Jahre alte Parole behält jetzt erst recht ihre Gültigkeit: Widerstand ist angesagt, auch wenn der Gipfel nicht mehr tagt.
Lotta und Carl Kemper
"Das Recht auf Revolution ist ja überhaupt das einzig wirkliche ,historische Recht`, das einzige, worauf alle modernen Staaten ohne Ausnahme beruhen, Mecklenburg eingeschlossen ..." (F. Engels, MEW 22, 523).
[ak - zeitung für linke debatte und praxis / Nr. 518 / 22.6.2007]