[Gipfelsoli Infogruppe | Anti G8-Plenum Greifswald]
Als “stockdumm” beschimpft Peter Wahl die AktivistInnen von Attac. Zusammen mit anderen Gruppen hatten sie ein Gesprächsangebot von Bundesumweltminister Gabriel mit ihnen als OrganisatorInnen der “Jubeldemonstration” abgelehnt. Die PotsdamerInnen wollten sich nicht für eine “PR- Show” vereinnahmen lassen. Von Peter Wahl mussten sie sich den Vorwurf des “Sektiererladens” gefallen lassen, ihre Aktion sei “ein abschreckendes Beispiel dafür, wie Politik nicht funktioniert”. Wie aber funktioniert nun Politik?
Neben seiner Mitarbeit bei der kleinen Nichtregierungsorganisation “Weltwirtschaft, Ökologie & Entwicklung” (WEED) gehört Peter Wahl dem Koordinierungskreis von Attac Deutschland an. Er wurde bereits zweimal wegen Presse-Statements zu den Aktionskonferenzen in Rostock heftig kritisiert: Im April 2006 setzte er sich über einen Plenumsbeschluß hinweg, in der Abschlusserklärung einen Satz zu streichen. Im November 2006 resümierte er, “alle Akteure, Organisationen, Gruppen, haben klipp und klar erklärt: von ihnen wird keine Gewalt ausgehen”. Eine solche Erklärung war jedoch während der Aktionskonferenz weder diskutiert noch abgegeben worden.
In großen Teilen der Anti-G8-Bewegung verstärkt sich das Unwohlsein gegenüber Peter Wahl und damit Attac. Peter Wahl ist nicht “der Repräsentant” der G8-KritikerInnen.
Indes mehrt sich auch Kritik an anderen Mitgliedern des Koordinierungskreises. Pedram Shahyar erklärte am 17. März in einem Interview mit der taz, militante Anschläge schadeten Attac. Pressesprecherin Sabine Leidig wusste am 5. Februar ganz genau, “von der ganz großen Masse der Demonstranten wird keine Gewalt ausgehen”.
Attac betreibt seit Jahren professionelle Pressearbeit zu globalisierungskritischen Themen. Daran ist zunächst nichts auszusetzen. Der Koordinierungskreis drängt sich allerdings mit einer Position in den Vordergrund, die für die Gesamtmobilisierung höchst problematisch ist. In der Presse wird Attac als Organisator der Proteste wahrgenommen. Indem Organisationsformen anderer AkteurInnen immer wieder zur Abgrenzung der eigenen, “friedlichen” Position benutzt werden, delegitimieren die SprecherInnen die breiten, vielfältigen und ambitionierten Versuche den G8 zu verhindern oder wenigstens zu blockieren. Der Widerstand der “Anderen” wird kleingeredet: “Abgesehen von einigen Farbbeuteln und Steinwürfen Irregeleiteter wird ‘nichts Großes’ an Gewalt passieren”, zitieren die Presseagenturen Sabine Leidig. Was ist damit gemeint?
Ziviler Ungehorsam
Die Kampagne “Block G8” bereitet massenhafte Straßenblockaden rund um Heiligendamm vor, mit mindestens 10.000 Beteiligten wird gerechnet. “Ziviler Ungehorsam” mittels Blockaden ist eine Protestform, die in der deutschen außerparlamentarischen Linken eine lange Geschichte hat. Bis zum Bundesverfassungsgericht wurde dafür gestritten.
Des weiteren planen viele Gruppen einen Sternmarsch am 7. Juni, dessen Abschlusskundgebung am Kempinski-Hotel Heiligendamm angemeldet ist. Der Zaun rund um das Hotel wird dabei als nichts weiter betrachtet, was er auch laut Polizei darstellt: Eine “technische Sperre”.
Mit dem Kurswechsel des Attac-Koordinierungskreis wird sich ein Gewaltbegriff zu eigen gemacht, der von der Polizei selbst ins Spiel gebracht wird. Knut Abramowski, “Oberster Polizeiführer” des Polizei-Sonderstabes “Kavala”, bezeichnete Versuche den Gipfel mit Formen zivilem, bürgerlichen Ungehorsams zu blockieren als “Gewalt”, die mit “Null Toleranz” beantwortet werde. Er vergleicht das bloße Überklettern der “technischen Sperre” mit “Terrorismus”.
Was ist los mit Attac?
Attac ist seit einigen Jahren in der Krise, die Zahl der Austritte wächst rasant. Dabei wurde einst vom G8-Gipfel in Genua 2001 profitiert. Nach erfolgreichen Massenprotesten und den Übergriffen der Polizei sahen Viele in Attac einen Motor globalisierungskritischen Straßenprotests. Für Tausende DemonstrantInnen war der Gipfel in Italien der Einstieg in politische Aktivität. Gipfelprotest war der erste kollektive Ausdruck ihrer Unzufriedenheit.
Wir glauben nicht, dass die AktivistInnen sich nach Demonstrationen und Camps in Genua und Evian für Attac entschieden hatten, weil der Koordinierungskreis gute Kontakte zu Politikern unterhält oder professionelle Pressearbeit betreibt.
Im Gegenteil: Der Koordinierungskreis verspielt sich Sympathien. Wir sind überzeugt, dass viele Attacies auch 2007 wieder auf der Straße sitzen und blockieren, sich am Sternmarsch beteiligen oder sich andere, bunte, laute, frivole und störende Widerstandsformen ausdenken.
Viel Kritik an Attac…
Auf Konferenzen und Mailinglisten werden die Statements nun heftig kritisiert. Das internationale Treffen von Dissent! hat in Hamburg eine Erklärung gegen “die Absicht, den Protest und Widerstand zu spalten” verabschiedet. Dissent! verweist darauf, dass in der “Gewaltdebatte” die strukturelle Gewalt von Staaten nicht berücksichtigt wird. “Unterschiedliche Formen von Widerstand und Gegenmacht haben ihre Berechtigung”.
“Wer Gewaltfreiheit einfordern will, soll sie dort einfordern, wo die Gewalt ihren Ursprung nimmt: Bei den Verantwortlichen der G8-Staaten und ihrem Polizei- und Militärapparat” fordert die Antifaschistische Linke Berlin in Reaktion auf Pedram Shahyar.
Avanti befürchtet, dass die “jüngsten Interview-Äußerungen von attac-VertreterInnen leider kontraproduktiv” sind für ein “Signal des Aufbruchs und der Ermutigung”.
“Allein die Errichtung dieser Zone [technische Sperre] ist eine gewalttätige Handlung”, schreibt die Rote Aktion Berlin, die im Anti-G8-Bündnis für eine revolutionäre Perspektive organisiert ist.
“Der gesamten Bewegung wird ein Reglement übergestülpt, Protest- und Widerstandsformen, die sich nicht vorauseilend der Staatsgewalt unterwerfen, werden delegitimiert”, kritisiert die Berliner Gruppe six hills.
NoLager Bremen warnt vor einem “Distanzierungswettlauf in Sachen Gewalt”.
“Das Wesentliche ist, daß man verschiedene Aktionsformen zuläßt, und jeder sich an dem beteiligt, was zu ihm paßt und was er sich zutraut”, meinte der Sprecher des Friedensratschlags, Willi van Ooyen schon im Herbst 2006.
Diskussionen um das Verhältnis zu Aktionen zivilen Ungehorsams begannen letzten Herbst. Mit der Gründung der “NGO-Plattform” beteiligten sich fortan auch Nichtregierungsorganisationen und kirchliche Gruppen an der bereits zweijährigen Gesamtmobilisierung. Viele dieser kleinen Organisationen betreiben Lobby-Arbeit und suchen Gespräche mit PolitikerInnen, um die G8 zum Umdenken zu bewegen.
Eilige Distanzierungen zeigen die Janusköpfigkeit von Lobbypolitik: Gerade Nichtregierungsorganisationen brauchen den “Druck der Straße” (gern gesehen in Ländern des globalen Südens), um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.
Das Gemeinsame…
Die unterschiedlichen Aktionsformen koexistieren bisher nebeneinander.
Manchmal materialisieren sie sich in gemeinsamen Vorbereitungen und bilden damit eine praktische Klammer des Protests und Widerstands.
Neben den Camps, der Schule in Rostock, der Neubesiedlung des Bombodroms und den “Aktionen zivilen Ungehorsams” am 7. Juni ist die Kampagne “Block G8” eines der vielen Projekte das versucht, viele heterogene Ansätze unter einem Ziel zu einen: Gegen den neoliberal globalisierten Kapitalismus protestieren. Unterschiedliche Politik- und Aktionsformen in einer gemeinsamen Aktion zu fassen ist nicht einfach und widerspruchsfrei. Diese Widersprüche sind aber produktiv, führen zu Auseinandersetzungen und Diskussionen. Nicht zuletzt ist das Kennenlernen unterschiedlicher Aktionsformen bei internationalen Gipfelprotesten spannend und bereichernd.
Der Koordinierungskreis von Attac hat nun beschlossen, den Aufruf “Block G8” nicht mitzutragen. Das ist schade, und entspricht sicher nicht der Meinung aller Mitglieder. In diesem Sinne möchten wir alle Basisgruppen, Regional- wie Arbeitsgruppen ermutigen, die Entscheidung in Frage zu stellen.
Sollten die SprecherInnen bei dem Beschluß bleiben, freuen wir uns über jede Basisgruppe die dennoch den Blockade-Aufruf unterzeichnet. Mehr dazu unter www.block-g8.org.
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