Die Polizei sucht sie seit Jahren fieberhaft - die militanten Gegner des “Mövenpick”-Hotels im Wasserturm, die seit 2004 schon 15 Anschläge verübt haben. Geschätzter Sachschaden: mindestens 150000 Euro. Wenige Tage nach den bundesweiten G8-Razzien und kurz vor der Eröffnung des Hotels im Schanzenpark konnte MOPO-Redakteur Frank Wieding als erster Journalist zwei der Täter zum Interview treffen. Vermummt lassen sie sich interviewen, nennen sich Ina (44) und Thomas (53), leben seit rund zwanzig Jahren mit ihren Familien im Schanzenviertel.
MOPO: Wie fühlt man sich so als Krimineller oder Terrorist?
Ina: Nicht schon wieder. Die MOPO hat uns schon einmal als Hotel-Terroristen bezeichnet. Das war bösartig.
MOPO: Aber Sie zerstören fremdes Eigentum. Das ist zumindest kriminell.
Thomas: Wir sehen uns nicht als Straftäter. Nennen Sie das, was wir tun, Notwehr.
MOPO: Wie bitte? Was für eine Not soll das sein, gegen die Sie sich wehren?
Thomas: Ein öffentlicher Raum wurde von willfährigen Politikern einem Investor übergeben, damit der damit spekulieren kann. Die letzte Grünfläche im Viertel wurde den Bewohnern geraubt. Menschen nutzen den Park schon heute nicht mehr, weil sie von der Polizei vertrieben werden, sie werden schikaniert, bekommen Platzverweise, weil sie angeblich herumlungern. Das ist Willkür. Wer nicht ins Viertel passt, fliegt raus.
Ina: Es gehört ja alles zu ihrem Konzept, die innere Stadt aufzuwerten. Viele Familien müssen wegziehen, werden in die Randbezirke gedrängt, wo die Mieten noch bezahlbar sind. Übrig bleibt im Schanzenviertel die Caffè-Latte-Fraktion, die das alles bezahlen kann.
MOPO: Die Stadt verändert sich nun mal.
Ina: Wir haben nichts gegen Veränderungen.
Thomas: Millionen Steuergelder fürs Tamm-Museum, für die Elbphilharmonie. Aber hier soll kein Geld da sein, um den Wasserturm sozialverträglich zu nutzen, allen Bevölkerungsschichten die Naherholungsfläche zu erhalten.
MOPO: Aber Sie können dagegen doch mit friedlichen Mitteln demonstrieren.
Ina: Wir haben doch nicht mit militanten Aktionen angefangen. Aber wir hatten doch nie eine Chance zu sagen, warum wir gegen das Hotel sind. Demos fanden nur im Wanderkessel (Polizei umschließt den Protestzug, Anm. d. Red.) statt, ganz bürgerliche Bewohner durften am Protest nicht teilnehmen, weil sie die Polizei daran hinderte, ihnen sagte, sie sollen lieber nach Hause gehen, damit ihren Kindern nichts passiert. Der Protest wurde von Anfang an kriminalisiert. Sie haben uns in die Ecke gedrängt, in der sie uns haben wollten.
MOPO: Jetzt mal langsam. Es zwingt Sie doch keiner, gewalttätig zu werden.
Thomas: Das, was wir seit zwei Jahren machen, ist das Ende einer Entwicklung. Es macht dich wütend, du bist enttäuscht, dass die so ein Kommerzprojekt, das zehnte oder 20., dem Stadtteil einfach überstülpen und sie es nicht interessiert, was die Menschen im Viertel davon halten.
MOPO: Also Randale aus Frust?
Ina: Quatsch. Wir machen das, um gehört zu werden, um zu zeigen, dass sie nicht alles mit uns machen können.
MOPO: Aber in Rahlstedt oder Rissen hört Ihnen doch keiner zu, wenn Sie Gewalt anwenden.
Ina: Nur weil ein Herr Meyer in Rahlstedt es nicht versteht, kann ich es ja nicht lassen. Für uns ist es richtig, weil wir es tun müssen - auch für unsere Kinder.
MOPO: Sie haben Kinder? Und riskieren, im Gefängnis zu landen? Das ist verantwortungslos.
Ina: Gerade weil wir Kinder haben, müssen wir für sie für eine humanere Stadt kämpfen.
Thomas: Für den Fall einer Festnahme haben wir alles organisiert. Die Kinder werden nicht aus ihrem sozialen Umfeld gerissen. Sie sind vollständig abgesichert.
MOPO: Wie muss man sich das vorstellen? Sie treffen sich mit Ihren Familien zum geselligen Abendbrot und planen neue Anschläge?
Ina: Natürlich nicht. Wir sprechen wenig miteinander, wir schreiben alles auf Zettel, damit die Polizei nichts mitbekommt, falls wir abgehört werden. Und natürlich gibt es mehrere Gruppen von uns, die militant tätig sind.
MOPO: Wie tauschen die sich aus?
Ina: Zu Strukturen sagen wir nichts, wir sind ja nicht blöd.
Thomas: Wir haben einen ganz normalen Alltag, ich arbeite als Technischer Zeichner.
Ina: Ich bin Sozialpädagogin.
Thomas: Und die Aktionen zu planen, ist richtig Arbeit. Wir müssen uns z. B. um Kinderbetreuung kümmern. Morgens nach einer Aktion müssen die Kinder genauso Frühstück bekommen wie sonst auch.
Ina: Wir fahren hundert Umwege, um zu sehen, ob uns einer folgt. Jedes geheime Treffen unserer Gruppe ist ein Riesenaufwand. So was geht nicht einfach in der Kneipe.
MOPO: Klingt nach Räuber und Gendarm. Haben Sie keine Angst vor dem Gefängnis?
Ina: Welche Strafe wiegt schwerer? Erwischt zu werden oder aus dem Viertel zu fliegen, weil man sich nicht gewehrt hat?
MOPO: Nun wird das Hotel demnächst eröffnet. Geben Sie es doch zu, Sie haben verloren.
Ina: Die Frage ist doch, ob es sich hält. Mein Wunsch ist, dass sich europaweit herumspricht, dass es unangenehm ist, Gast im Wasserturm zu sein.
Thomas: Das Ziel ist, sie in die Pleite zu treiben.
MOPO: Also noch mehr Gewalt?
Ina: Der militante Widerstand ist mit der Eröffnung des Hotels nicht vorbei. Im Gegenteil: Die müssen das Hotel noch Jahre schützen.
MOPO: Der Staatsschutz sagt, dass Sie auch Menschenleben gefährden. Wegen eines Hotels, das Sie stört?
Thomas: Das ist doch Quatsch. Wir können ausschließen, dass andere Menschen oder wir selber gefährdet werden.
Ina: Wir haben mehrere Aktionen abgeblasen, weil wir nicht ausschließen konnten, dass jemand gefährdet wird - wie zum Beispiel Putzfrauen. Für uns ist nur Gewalt gegen Sachen legitim.
MOPO: Wo wollten Sie noch Anschläge verüben?
Thomas: Da hörst du von uns nichts zu.
MOPO: Das letzte Bekennerschreiben war mit einem kryptischen Buchstabensalat unterzeichnet: M.A.m.M.u.T. Wir rätseln, was das soll?
Ina: Das heißt Militante Autonome mit Mut und Trotz.
MOPO: Auch in Verbindung mit dem G8-Gipfel gibts Anschläge. Haben Sie damit etwas zu tun? Die Parallelen sind doch offensichtlich.
Thomas: Wir distanzieren uns nicht davon. Da werden die gleichen Mittel wie von uns genutzt. Spekulationen über Verbindungen lohnen sich aber nicht.
(MOPO vom 16.05.2007 / SEITE 10-11)
[http://www.mopo.de/2007/20070516/hamburg/politik/autonome_packen_aus.html]