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2007-06-06

Stern: Jewgeni wollte nur Party machen

Von Manuela Pfohl

Er ist einer von neun in Rostock festgenommenen Demonstranten, die bald im Schnellverfahren abgeurteilt werden: Jewgeni Gusew, 22, Russe. Statt Steine zu werfen, wollte er im Schwarzen Block nur Spaß haben. Sagt er. Nun droht ihm ein Jahr Gefängnis, und Jewgeni hat Angst.

Eigentlich hatte er am Dienstag bei den Aktionen rund um den Flughafen Rostock-Laage dabei sein wollen, bei der Eröffnung des Alternativgipfels und am Abend, beim Konzert im Camp. Er hat über Politik diskutieren wollen und den G8-Gipfel. Stattdessen sitzt er hier in einer Einzelzelle der Justizvollzugsanstalt Waldeck. Draußen vor den Toren von Rostock. Er schaut durch die Gitter an den Fenstern und sagt: "Ich habe Angst." Jewgeni usev, 22 Jahre alt, russischer Staatsbürger, angeklagt wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung. Er ist einer von denen, die Steine geworfen haben sollen, bei der Demonstration am Samstag in Rostock.

Rund 500 Demonstranten und mehr als 400 Polizisten wurden bei den gewalttätigen Ausschreitungen verletzt. 30 Beamte mussten in Kliniken eingeliefert werden. Statt friedlicher Proteste gingen die Bilder vom Schwarzen Block, von brennenden Autos und fliegenden Pflastersteinen um die Welt.

Es ist voll in den Gefangenensammelstellen
Jewgeni hat sie nicht gesehen. Am frühen Samstagabend wird er in eine der beiden Gefangenensammelstellen gebracht. Es ist voll dort. Insgesamt hat die Polizei 168 Personen festgenommen. Jewgeny passt irgendwie nicht dazu. Statt der schwarzen Kluft der Autonomen trägt er bunte Kleidung. "Jewgeny ist ein Spaßvogel, kein Gewalttäter", sagt seine Freundin Lena kopfschüttelnd. Sie sieht ihn noch vor sich, wie er da mitten im Schwarzen Block stand und tanzte. Wie er Faxen machte, so als sei das alles eine große lustige Party. Als er festgenommen wird, ist sie nur ein Stück entfernt. Sie will ihm helfen, aber sie kann nicht. Es geht alles ganz schnell.


Jetzt steht sie wieder ganz in seiner Nähe, vor den meterhohen Mauern der JVA. Zusammen mit ein paar russischen und deutschen Freunden hat sie Transparente gemalt. "Free all Prisoners" steht drauf. Gestern haben sie Geld im Camp gesammelt und einen Gedichtband von Majakowski gekauft. Jewgeni liebt Majakowski und seine Gedichte. Einer der Jungs macht Musik mit seiner Trompete. kann es hören. Er sitzt im Besucherraum auf einem der Stühle und spielt nervös mit seinen Fingern, fährt sich durch den wuseligen blonden Lockenschopf und lächelt verlegen. Er würde gern etwas zu den Vorwürfen gegen ihn sagen. Jede Nacht denkt er daran, wie es auf der Demo war. Jede Sekunde hat er in seinem Kopf. Aber er darf nichts sagen. Das ist verboten. Er meint: "Ich bin ein freundlicher Mensch, ich hab doch einen Kopf zum Denken"

Ingenieure werden immer gebraucht, sagte seine Mutter

Sechs Jahre hat er an der Universität studiert. Telekommunikation. Ingenieure werden immer gebraucht, hat seine Mutter, die an einem Fließband arbeitet, gesagt und der Vater, ein Fernfahrer, hat genickt. Jewgeni bekommt einen Job in seiner Heimatstadt Kirov. Er will Karriere machen, wird Manager in einem kleinen Betrieb. Abends trifft er sich mit den Freunden im Club. Sie hören die Beatles, weil Jewgeni die so mag. Sie amüsieren sich über seine Witze. Und natürlich sprechen sie über Politik. Über kommunistische Ideale und die russische Wirklichkeit, über Ungerechtigkeiten in der Welt und darüber, dass man was dagegen machen muss. Jewgeni ist ein Idealist, er will die Welt verändern. "Als die Freunde sagten, dass sie nach Rostock zum G8-Gipfel fahren wollen, war für mich klar, ich will mit. Das ist doch eine Riesenchance, politisch aktiv zu sein." Er bittet im Betrieb um Urlaub. "Kannst du haben, sagte mein Chef, und schon war ich gefeuert." Er ist nicht der einzige in seiner Gruppe. "Demokratie funktioniert in Russland mehr über die Medien, nicht so direkt", sagt er.
Hier in Deutschland, so hofft er, ist das anders. Silke Stutzinsky vom Republikanischen Anwaltsverein hat da mitunter ihre Zweifel. "Wir beobachten zunehmend, dass die für die Sicherheit des G8 zuständige Polizeigruppe Kavala unsere Handlungsfähigkeit beeinträchtigt. Kavala hat die lokale Polizei entmachtet und zeigt sich als Staat im Staat." Die Anwältin kritisiert willkürliche Festnahmen in den vergangenen Tagen, unerlaubt brutale Polizeigewalt gegen Demonstranten und selbst gegen Anwälte. Vor allem Ausländer seien von diesen restriktiven und teils rechtsstaatswidrigen Maßnahmen betroffen gewesen.

Jewgeni hat davon nichts gehört, im Knast gibt es nur deutsche Informationsquellen. Am Mittwoch ist seine Verhandlung am Gericht. Beschleunigtes Verfahren. Neun der 168 vorläufig Festgenommenen werden im "Schnellverfahren" ihre Strafe bekommen. Jewgeni hat lange mit seiner Verteidigerin darüber gesprochen. Cornelia Brandt vom Republikanischen Anwaltsverein hat versichert, das bestmögliche rauszuholen. Er ist nicht ihr einziger "G8-Mandant". Sie sagt: "Ich wünsche mir, dass der Richter besonnen urteilt." Trotz des Drucks der Öffentlichkeit, die Höchststrafen für diejenigen fordert, die es geschafft haben, eine Demo von 30.000 Leuten zu terrorisieren. Bis zu einem Jahr Haft drohen Jewgeni, wenn der Richter von seiner Schuld überzeugt ist. Oder die Abschiebung. "Ich wär so froh, wenn ich wieder heim dürfte." Lena will auf ihn zu warten. Aber was soll er denn der Mutter erzählen und dem Vater, die wollten, dass aus ihm was Anständiges wird?