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17.07.2007

Zwei Plakate - fünf Tage inhaftiert

Festgenommener GS-Protestierer reicht Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein

Eigentlich wollte Malte G. in Rostock
gegen den G8-Gipfel protestieren.
Doch die Reise endete für den 21-jährigen Berliner anders als geplant. Kurz nach seiner Ankunft in Rostock wurde
er zusammen mit einem Freund festgenommen und erst in einer Gefangenensammelstelle (Gesa) und dann fünf Tage in der Justizvollzugsanstalt (JV A) Bützow. festgehalten.

Der Grund für den Ärger waren
zwei Transparente. “Am Abend des 3. Juni habe ich mit einem Freund eine Gruppe aus Russland begleitet. die zur JVA Waldeck fahren wollte”. erzählt Malte. Es sollte eine Solidaritätsbekundung für gefangene Demonstranten werden. Deswegen hatten sie die beiden Transparente im Auto. “Freedom for Prisoners” und “Free all now” stand darauf. die Forderung nach sofortiger Freiheit für alle Gefangenen.

Leuchte

Auf dem Parkplatz der JVA Waldeck wurden sie von der Polizei kontrolliert und gleich in Gewahrsam genommen. Nachts folgte der Termin beim Amtsrichter in der Gesa. “Der hat dann die Ingewahrsamnahme bis zum 9. Juni 12 Uhr angeordnet, bis einen Tag nach Ende des Gipfels”. sagt Malte. Am Morgen danach hat er zum ersten Mal seine Anwältin gesehen.
Im Gerichtsbeschluss heißt es, der 21-jährige Student habe zu einer Gruppe von neun Personen gehört die nach Rostock gereist seien. um mit Transparenten an einer Demonstration teilzunehmen. Nach Meinung der Gerichte konnten die Transparente “ihrem Inhalt nach dazu auffordern bzw. anstiften, eine Gefangenenbefreiung zu begehen”. Zudem habe es eine auf Polizei- und Medienberichte gestützte Gefahrenprognose für Rostock gegeben. “Unterbindungsgewahrsam” nennt man das. Konkret: Malte G. saß sechs Tage, weil er Transparente dabei hatte, die er hätte zeigen können, auf einer Demo, die hätte stattfinden können – Konjunktiv Deluxe.

Im Beschluss steht auch, dass er diese Vermutung als “lebensfremd” bezeichnet hatte. Beim Treffen in einem Cafe wird er deutlicher: “Die Beschuldigung, dass wir zur Gefangenenbefreiung aufrufen bzw. diese Begründung ist völliger Blödsinn. Das würde ja bedeuten, dass du mit einem Transparent zu einer Demo gehen könntest, und alle machen, was da drauf steht,” sagt er und schüttelt den Kopf. Doch “zur Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung” war es nach Ansicht von Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht “unerlässlich”, dass Malte G. eingesperrt bleibt.
Für seine Anwältin Anna Luczak war es ein “lapidarer Anlass”, auf den eine “so harte Maßnahme” wie mehrtägige Freiheitsentziehung gestützt wurde. “Freiheitsentziehungen können allenfalls bei Leuten legitim sein, die schwere Straftaten begangen haben”, sagt Luczak.

Auch der Republikanische Anwaltsverein erhob nach einem Hearing zu den G8-Erfahrungen (ND berichtete) schwere Vorwürfe gegen Polizei und Justiz. Von Grundrechtsbrüchen war da die Rede, von willkürlichen Kontrollen und Gewahrsamnahmen. “Politische Zielvorgabe war die weiträumige und totale Abschottung der Gipfelteilnehmer von ihren Kritikerinnen”, heißt es beim RAV.
“Das war Einschüchterung”. sagt Malte G. Neben seinem Studium macht Malte Musik. In seiner “Crew” schreibt er Texte und rappt. Zehn bis 15 Konzerte haben sie in diesem Jahr schon gegeben. Er erzählt seine Geschichte klar und überlegt; eben wie jemand, der den Umgang mit dem Mikrofon gewöhnt ist. Als es um seine Erfahrungen im Gefängnis geht, wirkt er unruhiger, spricht schneller. Am ersten Tag seien sie in käfigartige Zellen eingesperrt gewesen. “Das waren fünf mal drei Meter Maschendraht. Das Licht brannte permanent. Anfangs lagen wir auf einem Betonboden. Nach Bitten haben wir einen Zentimeter dicke Matten bekommen.” Die Beamten hätten sie “permanent unter Druck gesetzt”. Er hätte “kein Gerechtigkeitsbewusstsein” und habe den “Kopf voller Scheiße”. habe ein Beamter zu ihm gesagt als er keine Aussage machen wollte. Sein Freund – Vegetarier – sei später in der JVA als “Grasfresser” verspottet worden, auf dem Essen stand “G8-Assi” geschrieben.
“Vor allem diese fünf Tage in der NA waren für mich eine ziemlich schlimme Erfahrung. Das merke ich auch jetzt wieder, wenn ich davon erzähle.” Besonders die Ohnmacht und das Gefühl, dass “sie mit dir machen können, was sie wollen”, sei schlimm gewesen. Einen Rap-Text darüber habe er auch schon geschrieben, um die Erlebnisse zu verarbeiten.

Gegen die Inhaftierung hat Malte G. jetzt Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Für ihn geht es aber nicht nur um ihn selbst, sondern um freie Meinungsäußerung. Die will er weder auf der Straße noch auf der Bühne verboten wissen.

[Neues Deutschland vom 09.07.2007]