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2007-11-08

Welt: Heimlich Briefe an Berliner Zeitungen kontrolliert

Heimlich Briefe an Berliner Zeitungen kontrolliert

Der Bundesgerichtshof erlaubte sogar die Beschlagnahmung sämtlicher an die Berliner Zeitung, die Berliner Morgenpost, die BZ und an den Tagesspiegel gerichteten Sendungen. Das BKA hoffte so, in potenziellen Bekennerschreiben Hinweise auf die als linksextremistisch eingestufte "Militante Gruppe" zu finden. Ihr werden zahlreiche Brandanschläge auf Autos in Berlin zur Last gelegt.

Auf der Suche nach Bekennerschreiben der als terroristsich eingestuften linksextremen „Militanten Gruppe“ (mg) haben deutsche Sicherheitsbehörden im Mai dieses Jahres in einem Tempelhofer Briefzentrum der Post AG Briefe an die Berliner Morgenpost, die „BZ“, den „Tagesspiegel“ und die „Berliner Zeitung“ überwacht und überprüft. Auf Anfrage bestätigte eine Sprecherin des Generalbundesanwalts die Maßnahme.

Bild: BKA

Die Strukturen des Linksterrorismus

Ziel der Aktion seien lediglich „Briefe gewesen, deren äußeres Erscheinungsbild aufgrund der bisherigen Erkenntnisse darauf schließen ließen, dass es sich bei den Absendern um Mitglieder der mg handelte“, teilte die Behörde in feinstem Ermittlungsdeutsch mit. Laut eines Vermerks des Bundeskriminalamtes vom 22. Mai war es erlaubt, all diese an die genannten Medien gesandten Briefe zu durchsuchen und zu beschlagnahmen. Zwei an die Berliner Morgenpost und die BZ gerichtete Briefe wurden beschlagnahmt und kopiert.

Verlag überlegt juristische Schritte

Anwälte des Verlags Axel Springer schließen nicht aus, gegen die Aktion juristische Schritte einzuleiten. Sie sehen die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt zwischen der Notwendigkeit der Strafverfolgung und des Eingriffs in das Grundgesetz. Der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ging es bei der Operation unter anderem um einen Brandanschlag auf zwei Polizeifahrzeuge an der Spandauer Schmidt-Knobelsdorf-Straße in der Nacht zum 18. Mai 2007.

Informantenschutz ausgehebelt

Ausgelöst wurde die Debatte um den Schutz von Presseinformationen gestern durch eine Mitteilung der Gewerkschaft Ver.di. Diese hatte über die Polizeiaktion berichtet und die Meldung auf ihre Internet-Seite gestellt. „Dieses Vorgehen der Ermittlungsbehörden hebelt den Informantenschutz komplett aus“, kritisierte Andreas Köhn, stellvertretender Verdi-Landesbezirksleiter. „Wenn die Redaktionen nicht einmal darüber informiert werden, wie sollen Informanten sich dann noch sicher sein, wenn sie mit einer Redaktion in Kontakt treten. Sie müssen jederzeit davon ausgehen, dass Post abgefangen wird.“ Die Aktion erinnere ihn an Methoden, die zu anderer Zeit in diesem Land schon einmal üblich gewesen seien.

Medienpolitisch problematisch

Professor Dr. Jan Hegemann, Rechtsbeistand des Verlags Axel Springer, sagte, diese Polizeiaktion sei medienpolitisch sehr problematisch und berge die Gefahr, Pressefreiheit und Informantenschutz so sehr auszuhöhlen, dass diese nur noch zur Dekoration dienen könnte. Das Vorgehen der Bundesanwälte, die Medien erst nach der Aktion über die Ermittlungen zu informieren, sei zwar durch die Strafprozessordnung gedeckt. Im konkreten Fall gebe es aber gleich mehrere bedenkliche Ansatzpunkte. So ergaben Ermittlungen, dass die mg stets weiße Umschläge für Bekennerschreiben vom Format C6 genutzt hatte. Darauf waren selbstklebende Briefmarken. Das geht aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 18. Mai 2007 hervor, der der Berliner Morgenpost vorliegt.

„Hier beginnt der Unfug“

„Hier beginnt der Unfug“, sagt Hegemann. „Fast alle genutzten Briefumschläge entsprechen dieser Beschreibung. Und selbstklebende Briefmarken sind nun wirklich keine Seltenheit. Denn es gibt keine anderen.“ Zudem scheinen sich Bundesgerichtshof (BGH) und Bundeskriminalamt (BKA) in den Formulierungen nicht einig zu sein. Während der BGH im Beschluss vom 18. Mai von einem Verfahren gegen teilweise namentlich bekannte Beschuldigte spricht, wird in einem Vermerk des BKA vom 22. Mai von einem Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gesprochen.

Ausmaß nicht hinzunehmen

Ulrike Maercks-Franzen, Geschäftsführerin der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju), fragt sich, wie groß das tatsächliche Ausmaß der Durchsuchungen gewesen sein muss: „Ich würde gern wissen, was mit den anderen Informationen, die dem BKA bei der Aktion in die Hände gefallen sind, passiert ist“, sagte sie. Es handele sich hier um ein Ausmaß an Kontrolle von Seiten des Staates, das nicht hinzunehmen sei. Dieser Eingriff in die Pressefreiheit bedarf einer gerichtlichen Überprüfung“, sagte Maercks-Franzen.

Datenschützer schweigt dazu

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, wollte sich zu den Vorgängen nicht äußern. Er ließ über seinen Sprecher verlauten: „Es ist nicht unsere Aufgabe, Rechtsbeschlüsse zu bewerten.“ Laut seines Sprechers hatte Schaar ebenfalls erst gestern von den Durchsuchungen in dem Postverteilzentrum erfahren.

Die Welt, 08.11.2007

Source: einstellung.so36.net