Gespräch mit Andrej Holm. Über Terrorhysterie, Privatisierung öffentlichen Wohnraums, Für und Wider der Linkspartei und den Impuls der Wendezeit 1989
Von Jörn Boewe
Dr. Andrej Holm ist Stadtsoziologe und Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Wie wird man eigentlich Terrorist?
Für mich ging’s am 31. Juli früh um sieben los, als dieses polizeiliche Überfallkommando an meine Tür hämmerte. Ich war gerade am Aufwachen und schaffte es immerhin noch, eine Hose anzuziehen und die Tür aufzumachen, bevor sie eingetreten wurde. Ich wurde zu Boden geworfen, meine Wohnung durchsucht, und nach etwa einer halben Stunde sagte mir ein Beamter: Ihnen wird vorgeworfen, Mitglied in der terroristischen Vereinigung »militante gruppe« zu sein. Sie haben das Recht zu schweigen. In den nächsten Tagen bekam ich mit, daß die damals schon fast ein Jahr gegen mich und drei meiner Freunde ermittelten.
Hat man diesen Vorwurf später konkretisiert?
Aus den Akten geht hervor, daß das BKA bei Internetrecherchen in Texten von mir und drei Freunden, die auch wissenschaftlich und publizistisch arbeiten, Begriffe und Phrasen gefunden hat, die auch die »mg« in ihren Bekennerschreiben benutzt. Das waren in meinem Fall Worte wie »Prekarisierung« und »Gentrification«. In einem anderen Fall waren es Begriffe wie »Reproduktion«, »Bezugsrahmen«, »politische Praxis«. Zumindest für linke wissenschaftliche Beiträge ist das ein ziemlich gängiges Vokabular. Selbst das Wort »drakonisch« wurde zur Konstruktion eines Verdachtsmoments herangezogen. Oder der Ausdruck »marxistisch-leninistisch«, den sie in einem Artikel zur Geschichte der UCK gefunden hatten.
In einem Fall wurde dann ein Sprachgutachten in Auftrag gegeben. Das war schon eine komplexere Angelegenheit. Da geht es um Fragen wie: Welche grammatikalischen Konstruktionen werden benutzt, wie ist das Verhältnis von Fachvokabular und Alltagssprache, welche Besonderheiten gibt es im Satzbau? Das Ergebnis war allerdings, daß es keine oder nur eine äußerst geringe Übereinstimmung gab. Davon ließ sich die Ermittlungsbehörde aber nicht beeindrucken.
Der zweite Aspekt des Konstruktes war der Vorwurf der Bundesanwaltschaft, daß wir uns in der linken Szene herumtreiben, daß wir dort Bekannte und Freunde haben und selbst an Mobilisierungen beteiligt sind. Darüber hinaus wurde noch das Moment des angeblich konspirativen Verhaltens ins Feld geführt: sich mit jemandem zu treffen, ohne das Handy mitzunehmen, anonyme E-Mail-Accounts benutzen, verschlüsselte E-Mails versenden. Das sind alles Anhaltspunkte, die in den Ermittlungsakten aus denen ein Verdacht konstruiert werden.
Der Haftbefehl gegen Sie wurde am 23. August ausgesetzt.
Danach gab es zwei wichtige Entscheidungen des Bundesgerichtshofes. Im Oktober hat sich der dritte Strafsenat mit meiner Haftverschonung auseinandergesetzt und den Haftbefehl schließlich aufgehoben. Da ist den Ermittlungsrichtern und der Bundesanwaltschaft sehr deutlich ins Poesiealbum geschrieben worden, daß man für drastische Grundrechtseinschränkungen wie Hausdurchsuchungen und Haftbefehle tatsächlich mehr als bloße Vermutungen in der Hand haben muß.
Im November hat sich der Bundesgerichtshof dann mit der Grundsatzfrage beschäftigt, ob die Aktivitäten der »mg« überhaupt die Kriterien des Terrorismusparagraphen 129a erfüllen. Und auch da hat das Gericht deutlich gemacht, daß von Brandanschlägen auf leerstehende Fahrzeuge keine Staatsgefährdung im Sinne dieses Paragraphen ausgeht. Allenfalls wurde angenommen, daß es sich um eine kriminelle, aber keine terroristische Vereinigung handelt. Das heißt, das mögliche Strafmaß ist deutlich kleiner. Außerdem muß gegen kriminielle Vereinigungen nicht mehr automatisch die Bundesanwaltschaft ermitteln. In unserem Verfahren hat sie allerdings darauf bestanden, daß sie wegen der besonderen Bedeutung dieses Falls weiterhin die Führung in der Hand behält. Praktisch ändert sich an der Art und Weise, wie die Ermittlungen geführt werden, erst mal nichts.
Sind die Befugnisse der Ermittler durch die BGH-Entscheidungen nicht eingeschränkt worden?
Das ist schwer einzuschätzen. Wir haben eher den Eindruck, daß die breite Aufmerksamkeit, die unser Fall erregt hat, den Ermittlungseifer ein bißchen bremst und einschränkt. Also daß die jetzt nicht ständig neue Hausdurchsuchungen durchgeführt haben, nicht zum großen Lauschangriff übergegangen sind – soweit wir das beurteilen können. Grundsätzlich sind auch mit dem Paragraphen 129 sehr weitreichende Ermittlungsbefugnisse verbunden.
Wie sieht das im Alltag aus?
Wie gesagt, gegen mich und drei Freunde wurde seit einem Jahr verdeckt ermittelt, ohne daß wir etwas davon bemerkt hätten. Im nachhinein sieht man natürlich bestimmte technische Auffälligkeiten an Telefonen und Computern in einem anderen Licht. In den ersten Wochen nach der Freilassung war sehr deutlich spürbar, daß es immer noch Observationen und Überwachungsmaßnahmen gab. Die größte Einschränkung findet aber sicher im Kopf statt, wenn du bei der Lektüre der Akten merkst: Die schreiben dein ganzes Leben noch mal auf, und zwar in einer Weise, wie du es nie gelebt hast. Plötzlich ertappst du dich dabei, daß du denkst: Wenn ich jetzt am Telefon dieses oder jenes sage – wie könnten die das interpretieren? In den Akten wird mehrmals darauf verwiesen, daß sich Beschuldigte untereinander konspirativ verabredet hätten, weil sie nur gesagt haben: Wir treffen uns morgen im Café – ohne detailliert Zeit, Ort und Thema des Treffens anzukündigen. Ich hab’ mich jetzt schon dabei erwischt, daß ich bei solchen Verabredungen dazu sage: Du meinst die Kneipe soundso in der und der Straße …
Sie melden Ihre Verabredungen jetzt also ordnungsgemäß an.
Es wird langsam besser, ich kann das mittlerweile wieder einschränken. Aber man muß sich das schon mühsam wieder zurückerobern und sagen: Nee, stopp, Moment mal – wenn ich mich im Café verabrede, verabred’ ich mich im Café, und dann machen wir das so, wie wir das immer gemacht haben.
Das Gefühl, für die Ermittlungsbehörden extrem gläsern zu sein … Zu wissen, die lesen deine E-Mails mit, die begleiten dich, wenn du mit Freunden ausgehst, wenn du die Kinder zum Kindergarten bringst… Du weißt nicht, ob sie deine Wohnung abhören… Es ist eher eine mentale Herausforderung als ein praktisches Problem.
Nun hat sich von diesen äußerst vagen Verdachtsmomenten auch noch ein guter Teil in Luft aufgelöst. Kann man jetzt absehen, ob diese Ermittlungen eingestellt werden – oder könnte das auch jahrelang so weitergehen?
Es gibt vergleichbare Fälle, wo 129-a-Verfahren fünf, sechs, sieben Jahre lang geführt werden. Das zeigt auch ziemlich präzis die Funktion dieses Paragraphen: Es geht um Ausspähung und Überwachung und nicht so sehr um die Aufklärung von konkreten Straftaten. Wir werden in den nächsten Wochen juristische Schritte einleiten, um die Einstellung des Verfahrens zu beschleunigen.
Woran arbeiten Sie gerade?
Mein Fachgebiet ist die Stadtsoziologie. Konkrete Arbeitsfelder sind seit Jahren schon die Verdrängungsprozesse im Zusammenhang mit Sanierungs- und Modernisierungstätigkeiten in Altbaugebieten – also die »Gentrification«, die für das BKA so interessant war. Ein zweiter Aspekt sind die Folgen der Privatisierung kommunaler Wohnungsbaugesellschaften: Wie wirkt sich das auf die Wohnungsmärkte aus? Was bedeutet es für die Mieter? Wie sehen die neuen Geschäftsstrategien der institutionellen Anleger aus? Ein drittes Thema sind die Auswirkungen der Hartz-IV-Gesetzgebung auf die Wohnungsversorgung der Betroffenen. Der Fokus liegt dabei auf Berlin, teilweise im Vergleich mit anderen Städten. Bei der Wohnungsprivatisierung ist es sinnvoll, dies sogar im internationalen Rahmen zu untersuchen. In Großbritannien wurden schon in den 80er Jahren die Wohnungen aus öffentlichem Eigentum verscherbelt. Da hat man einen Vorlauf von 25 Jahren und kann sehen, wie sich das auswirkt. Auch aus der Perspektive, wie sich Mieterorganisationen oder Stadtteilinitiativen dagegen gewehrt haben. Also, welche Erfahrungen man hier möglicherweise wiederverwenden kann.
Die Berliner »Ausführungsvorschrift Wohnen« für Hartz-IV-Bezieher ist der große Stolz der Linkspartei im Senat.
In der Tat ist die Berliner Vorschrift vergleichsweise großzügig. Die Möglichkeiten, vor allem wenn es um den Erhalt der bisherigen Wohnung geht, sind besser als in anderen Bundesländern. Die Zahl der durch Hartz IV erzwungenen Umzüge ist in Berlin deutlich geringer als in anderen Großstädten, als etwa in Dresden. Auf der anderen Seite sind in dem Segment der »Hartz-IV-kompatiblen« Wohnungen die höchsten Mietsteigerungen zu verzeichnen. Steigerungen von bis zu zehn Prozent. Das ist für den Berliner Mietwohnungsmarkt deutlich über dem Durchschnitt. Für politische Initiativen in diesem Bereich ist das ein Problem, denn die Forderung nach Anpassung der Bemessungsgrenzen entsprechender Sozialleistungen läuft dadurch letztendlich auf ein Subventionsprogramm für Eigentümer hinaus. Gleichzeitig zeigen diese Zahlen, daß man einen breiten kommunalen Wohnungsbestand in der Stadt braucht.
Es gibt mittlerweile ganze Wohnungsmarktsegmente, die für den Zuzug von Hartz-IV-Beziehern geschlossen sind, und das wird langfrsitig die soziale Segregation in Berlin verstärken.
Wie machen Sie Ihre Studien politisch nutzbar? Wer arbeitet damit?
Es gibt einen regen Kontakt mit Initiativen, die sich zum Teil im Umfeld des Berliner Sozialforums organisiert haben, der Mietergemeinschaft, den gewerkschaftlichen Erwerbslosengruppen. Ein weiterer Gesprächspartner ist für mich auch immer die Linkspartei, die letztendlich auch so einen Reflexionsraum braucht, um zu sehen: Wie wirken sich die Regelungen aus, die zum Teil ja auch gegenüber dem Finanzsenator hart erstritten werden mußten. Wo sind die Grenzen? Da bewege ich mich in einem sehr breiten Spektrum, um die wohnungspolitischen Konsequenzen bestimmter Entscheidungen an verschiedenen Ecken zu vermitteln und die Diskussion am Laufen zu halten.
Wie beurteilen Sie die Rolle der Partei Die Linke bei der Durchsetzung oder Verhinderung neoliberaler Strategien?
Widersprüchlich. Das ist eine schwierige Frage. Die Möglichkeit des Mitgestaltens finde ich grundsätzlich ziemlich vernünftig. Also daß man seine politische Vision nicht nur als Protest, sondern als machbare politische Option umsetzen will. Allerdings verknüpft die sich bei der Linkspartei mit der abstrakten Größe »Wir müssen regierungsfähig sein«, und das scheint dann mit extrem vielen Zugeständnissen verbunden zu sein. Dafür hat die Partei bei der letzten Abgeordnetenhauswahl ja auch eine deutliche Quittung erhalten.
Ich würde mir wünschen, daß die Linkspartei in Zusammenarbeit mit Basisinitiativen ein stärkeres stadtpolitisches Profil entwickelt und klar sagt, wir haben in den und den Bereichen konkrete Forderungen und die werden wir auch versuchen durchzusetzen. Und dann wird man schauen müssen, ob bestimmte Ziele möglicherweise wichtiger sind als eine abstrakte Regierungsfähigkeit. Der eigentliche Mangel ist, daß es kein stadtpolitisches Konzept der Linken gibt.
Sehen Sie dafür Ansätze bei der Partei? Muß der Anstoß von außen kommen?
Nur von außen wird das nicht gehen. Ich sehe aber, daß es zumindest ansatzweise die Bereitschaft gibt, eine über die Parteigrenzen hinausgehende Auseinandersetzung zu führen. Da ist es sicher auch für stadtpolitische Initiativen sinnvoll, auf solche Angebote auch einzusteigen und sich nicht hinter der Position zu verschanzen: Ihr habt die kommunale Wohnungsbaugesellschaft GSW verkauft, ihr habt die Hartz-IV-Ausführungsvorschriften auch nicht besser gestalten können, als sie nun sind. Was ja berechtigte Kritiken sind. Aber wenn man will, daß sich das ändert, muß man es in einem kooperativen und diskussionsbezogenen Verfahren austragen.
Sie sind 1970 in Leipzig geboren. Als Erich Honecker 1989 vor dem Hintergrund eines Massenexodus von DDR-Bürgern und Demonstrationen im Lande zurücktritt, sind Sie 19 Jahre alt. Gibt es ein Ereignis, von dem Sie sagen, hier habe ich angefangen, mir ein eigenes politisches Urteil zu bilden?
Ich bin in einer antifaschistischen Familie großgeworden. Mein Urgroßvater hat im KZ gesessen, die Großeltern waren im Moskauer Exil und hatten zuvor Funktionen im illegalen KPD-Apparat. Das hat mein Weltbild stark geprägt. Ich befand mich jedenfalls nicht im Widerspruch zu einer sozialistischen Perspektive. Ganz sicher war ich damals noch zu jung, um die Widersprüche zwischen der DDR-Realität und dem sozialistisch-kommunistischen Ideal, mit dem ich großgeworden bin, tatsächlich zu erkennen. In die Wende bin ich reingestolpert und habe mich damals an der Gründung einer linken Alternative zur FDJ beteiligt. Das war der Marxistische Jugendverband – Junge Linke. Dann bin ich eigentlich erst in Kontakt mit linken Oppositionellen aus der DDR gekommen, die sich zum Beispiel in der Initiative Vereinigte Linke organisisiert hatten. Für mich war das ein doppelter Politisierungsprozeß, sowohl im Rückblick auf die DDR als auch in der Positionierung zur Perspektive des Anschlusses an die Bundesrepublik, zur Zerschlagung des gesamten industriellen Sektors in der DDR und der Übernahme der kapitalistischen Regeln, die in der BRD ja zum Alltag gehörten. Für mich als 19-, 20jährigen war das eine extrem spannende Zeit, mit vielen Ansatzpunkten für eine eigene Positionsbestimmung.
Sie hätten aber auch eine Karriere in der PDS machen können.
Das war für mich als junger Mensch nicht attraktiv, was auch mit dem sklerotischen Moment zu tun hat, das so einem Parteiapparat anhaftet. Auf der anderen Seite gab es natürlich durch den Zusammenbruch der DDR nicht gerade ein gewachsenes Vertrauen in die politische Stärke einer Partei, die in Kontinuität zur SED stand. Für mich war es attraktiver, mich in unabhängigen, autonomen Zusammenhängen zu organisieren. Gleichzeitig hat mich dieser politische Impuls der Wendezeit, das Moment der Basisorganisierung – alle diskutieren und versuchen mitzubestimmen – sehr stark geprägt. Das ist ein Muster, dem ich auch heute, unter ganz anderen Verhältnissen, noch anhänge. Eine breite Basismobilisierung hat für mich einen ganz anderen Stellenwert als Parteipolitik, die sich im parlamentarischen Rahmen durchsetzt. Jedenfalls, wenn man auf gesellschaftliche Veränderungen abzielt.
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