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2007-10-26

Frankfurt eins: Ab wann ist man ein Terrorist?

"Militante Gruppe"

Der Bundesgerichtshof hat den Haftbefehl gegen einen Berliner Soziologen aufgehoben, der Mitglied der “Militanten Gruppe” sein soll. Die entscheidende Frage aber hat das Gericht nicht beantwortet: Handelt es sich bei der “MG” um Terroristen? Eine Spurensuche von Susanne Balthasar.

Es war wohl ein Grillanzünder, der in jener Juli-Nacht in Brandenburg zum Einsatz kam. Das ist das übliche Hilfsmittel, mit dem die Autos flambiert werden: Ein kokelnder Grillanzünder wird auf den Reifen gelegt. Am nächsten Tag steht dann in der Zeitung: Wieder Brandanschlag auf Auto – über 80 waren es allein in diesem Jahr in Berlin. Meistens werden die teureren Sorten abgefackelt, inzwischen brennen auch kleinere Autos, Firmenwagen oder Polizeiautos. In Brandenburg ging es um drei Lkw der Bundeswehr. Zu einigen Brandanschlägen hat sich die “Militante Gruppe” (MG) bekannt. Sind deren Mitglieder Terroristen?

Der Generalbundesanwalt ermittelt unter dieser Annahme und beantragte im August Haftbefehl gegen Andrej H. einen promovierten Soziologen, der Mitglied der “MG” sein soll. Der Bundesgerichtshof (BGH) setzte den Haftbefehl aus, der Generalbundesanwalt legte Beschwerde ein, der BGH lehnte die Beschwerde diesen Mittwoch ab. Damit bleibt Andrej H. auf freiem Fuß. Aber die entscheidende Frage ist immer noch nicht geklärt. Das BGH wird in den kommenden Wochen in einer zweiten Entscheidung klären müssen, wie die “MG” einzustufen ist. Nimmt man ihre eigenen Verlautbarungen ernst, ist die “Militante Gruppe” eine linksterroristische Vereinigung. Sie strebt eine kommunistische Weltordnung an und will dafür die Strukturen der Gesellschaft zerschlagen. Zu insgesamt 25 Anschlägen gegen öffentliche Gebäude oder Fahrzeuge hat sich die “MG” bekannt, Personenschaden hat es nie gegeben. Nach sechs Jahren Fahndung wurden nach der Brandenburger Feuernacht mit den drei mutmaßlichen Tätern und Andrej H. erstmals vermeintliche Mitglieder verhaftet. Außerdem werden drei weitere Berliner Wissenschaftler und Publizisten verdächtigt, der “MG” anzugehören. Andrej H. gilt als Kopf der Berliner Gruppe. Er hatte sich schon Monate vor dem Anschlag mit einem der mutmaßlichen Brandstifter von Brandenburg getroffen. Gemeinsam mit seinen akademischen Freunden geriet der Soziologe schon Mitte 2006 ins Visier der Fahnder. Der Verdacht nach Paragraf 129a: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die im Haftbefehl dargestellte Beweislage ist allerdings dünn. Einer der Wissenschaftler macht sich durch seinen Beruf verdächtig: “Als promovierter Politologe ist er zum einen intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der ‘Militante(n) Gruppe’ zu verfassen, zum anderen stehen ihm als Mitarbeiter eines Forschungszentrums Bibliotheken zur Verfügung, die er unauffällig nutzen kann, um die erforderlichen Recherchen durchzuführen.” Ein anderer verwendet soziologische Begriffe wie “Gentrifikation”, die auch in den “MG”-Texten vorkommen. Reicht das aus? Namhafte Wissenschaftler haben gegen die anfängliche Inhaftierung von Andrej H. protestiert; die englische Zeitung “The Guardian” ätzte über das “Guantanamo in Germany”. Würde der Terrorismusparagrafen 129a tatsächlich zur Anwendung kommen, drohen Andrej H. und seinen Freunden einige Jahre Haft. Doch davon will Matthias Weise, einer der Verdächtigen, der in Wirklichkeit anders heißt, nichts wissen. “Ich rechne mit einer Einstellung des Verfahrens”, sagt er stern.de bei einem Gespräch in einem Berliner Café. Er hatte im Juli 2007 auf der Arbeit davon erfahren, dass die Bundesanwaltschaft gegen ihn ermittelt. Seine Freundin rief auf dem Handy an: “Die Polizei ist da, deine Wohnung wird durchsucht.” Auch Anwalt Sven Lindemann, der einen der mutmaßlichen Attentäter von Brandenburg vertritt, gibt sich gelassen: “Ich halte den Terrorismusverdacht für unhaltbar.” Lindemann zitiert den Paragrafen 129a. Darin heißt es, die Straftat müsse bestimmt sein, “durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen eine internationale Organisation erheblich zu schädigen.” Wie sollen drei angezündete Lkw einen Staat erheblich gefährden, fragt Lindemann. Wenn bei den – nun schon traditionellen – Ausschreitungen am ersten Mai in Kreuzberg die Autos brennen ist nur von Randale und Chaoten die Rede. Generalbundesanwältin Monika Harms sieht das im Fall der “MG” naturgemäß anders. Der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” sagte sie Ende August: “Der Staat soll vorgeführt werden als einer, der solchem Treiben hilflos ausgeliefert ist. Das darf man nicht verharmlosen. Es sind keine dummen Bubenstreiche, wenn Autos angezündet werden.” Dass die Tat bei den Mai-Krawallen als weniger schwer wiegendes Delikt gilt, erklärt ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, spiele dabei keine Rolle. Wichtig sei, dass die Mitglieder der “MG” mehrfach ihre revolutionäre Absicht erklärt haben. Die Folgen für die Beschuldigten sind enorm. Bei einem Paragraf-129a-Verfahren weiten sich die Befugnisse der Ermittler mächtig aus. Zunächst einmal verschieben sich die Zuständigkeiten von der Landes- auf die Bundesebene. “Die Ich-hab-nichts-zu-verbergen-Fraktion würde staunen, wenn die wüsste, was da möglich ist”, sagt Matthias Weise. Dann zählt er auf: Sein Handy und das seiner Freundin wurden abgehört und geortet. Seine Internet-Logins wurden beim Provider überprüft, ein GPS in sein Auto montiert, eine Kamera vor der Haustür. Anhaltspunkte für einen Verdacht sind schnell gefunden: Wenn man bei einer Verabredung am Telefon nicht Grund und Ort nennt, kann das für das BKA ein Indiz für ein konspiratives Treffen sein. Weise nennt das Vorgehen der Ermittler “gruselig”. Unter Strafrechtsexperten ist der Paragraf 129a umstritten. “Lex RAF” nennen ihn seine Kritiker oder auch “Ermittlungsparagraf”. Sie befürchten, dass der Staat seine erweiterten Befugnisse missbraucht, um Einblick in die politische Subkultur zu bekommen. Schätzungen zufolge verlaufen über 90 Prozent der Verfahren im Sande. Nur selten kommt es zu einer Anklage, die Verurteilungen der letzten Jahre lassen sich an einer Hand abzählen. Gleichwohl kritisiert Lindemann den Paragrafen scharf: “Das ist ein politischer Kampfbegriff um Leute zu kategorisieren.” Im Falle seines Mandanten heißt das: Einzelhaft, Besucher dürfen ihn nur durch eine Glasscheibe sehen, und die Post des Verteidigers wird mitgelesen. Würde das gleiche Verfahren etwa wegen Brandstiftung laufen, da ist sich Lindemann sicher, wären alle drei Männer auf freien Fuß gesetzt worden. Schließlich ist keiner von ihnen strafrechtlich aufgefallen, alle haben Arbeit und einen festen Wohnsitz. Andrej H. ist vorerst draußen. Aber das bedeutet nichts. In den kommenden Wochen wird der BGH noch mal entscheiden. Dann wird es darum gehen, ob die “MG” als terroristische Vereinigung einzustufen ist. Die Deutschen werden dann aufhorchen. Möglicherweise werden sie erfahren, dass das Gericht zu wissen glaubt, dass die RAF nicht ohne Nachahmer geblieben ist.

Source: http://frankfurt.eins.de