Internationale Solidarität hat zur Aufhebung des Haftbefehls beigetragen. Ein Gespräch mit Andrej H. Interview: Sebastian Wessels
Der Berliner Soziologe Andrej H. wurde am 31. Juli 2007 wegen »Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« nach Paragraph 129a des Strafgesetzbuchs in Untersuchungshaft genommen und ist seit 22. August gegen Kaution auf freiem Fuß. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wirft H. vor, als Verfasser von Bekennerschreiben an einer als terroristisch eingestuften Organisation namens »militante gruppe« (mg) beteiligt zu sein
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat den Haftbefehl gegen Sie aufgehoben. Die Karlsruher Richter sehen anders als die Bundesanwaltschaft (BAW) keinen dringenden Tatverdacht. Sind Sie erleichtert?
Ja, auf jeden Fall. Der Druck eines Haftbefehls ist nicht so einfach auszuhalten, zumal die BAW ja gefordert hatte, mich wieder in Untersuchungshaft zu nehmen. Überrascht hat mich die Entscheidung aber nicht sehr, denn aus den Akten läßt sich mit halbwegs gesundem Menschenverstand kein Haftbefehl konstruieren. Auf der anderen Seite sind wir ein bißchen enttäuscht darüber, daß sich der BGH noch nicht durchringen konnte, die Grundsatzentscheidung zu treffen, ob der Paragraph 129a in diesem Fall überhaupt angewendet werden kann.
Diese Entscheidung steht noch an?
Für die anderen drei Beschuldigten, die noch in Untersuchungshaft sitzen, haben die Anwälte Haftbeschwerden eingereicht. In den kommenden Wochen ist daher mit einer Grundsatzentscheidung des BGH zu rechnen.
Die BAW hatte gegen Ihre Haftverschonung sofort Widerspruch eingelegt; begründet hat sie dies mit angeblich dringendem Tatverdacht und Fluchtgefahr. Wie erklären Sie sich, daß derart schwere Geschütze gegen Sie aufgefahren werden?
Ich erkläre mir das so, daß die BAW nicht hinter das von ihr aufgestellte Konstrukt zurückweichen wollte. Der Ermittlungsrichter hat ja auf ihren Antrag hin ein Jahr lang immer wieder diese stetig zunehmenden Überwachungsmaßnahmen gegen mich und die anderen Beschuldigten beschlossen, immer auf Grundlage des angeblichen Tatverdachts. Man hätte also im Prinzip ein Jahr intensive Ermittlungs- und Ausschnüffelungsarbeit in den Wind schreiben müssen. Doch wie die Bundesrichter nun deutlich gemacht haben, waren die Maßnahmen rechtswidrig. Nur mit einem Anfangsverdacht nach 129a läßt sich dieser tiefe Eingriff in die Persönlichkeitsrechte nicht begründen, den wir erleben mußten. Ein Haftbefehl erst recht nicht.
Sie haben viel öffentliche Solidarität erfahren – seitens des Bündnisses für die Einstellung der 129a-Verfahren, aber auch von Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland. Hatte das einen Einfluß auf das Vorgehen der Behörden?
Die Unterstützung auch aus dem internationalen Raum hat sicher dazu beigetragen, daß der Ermittlungsrichter die Haftverschonung angeordnet hat. Soweit wir informiert sind, bin ich auch seit Jahren der erste, der aufgrund eines Vorwurfs nach 129a in Haft genommen und vor Verfahrensbeginn wieder herausgelassen wurde.
Was sind die nächsten Schritte?
Zunächst warten wir ab, wie der BGH auf die drei Haftbeschwerden reagieren wird. In jedem Fall wird auch weiterhin breite Unterstützung notwendig sein. Ziel bleibt die Einstellung des Verfahrens für alle sieben Betroffenen.
Source: junge Welt