Im Namen der Terrorbekämpfung werden unsere Kollegen verfolgt. KOMMENTAR VON SASKIA SASSEN / RICHARD SENNETT
"Terrorismus" hat zwei Gesichter. Es gibt wirkliche Bedrohungen und echte Terroristen, und dann gibt es da noch eine Sphäre namenloser Ängste, vager Verdächtigungen und irrationaler Reaktionen. In Letzterer scheint sich derzeit das deutsche Bundeskriminalamt zu bewegen: am 31. Juli durchsuchte es die Wohnräume und Arbeitsplätze von Dr. Andrej H. und Dr. Matthias B. sowie von zwei anderen Leuten, allesamt in höchst verdächtige Aktivitäten verstrickt - in das Verbrechen der Soziologie.
Dr. Andrej H. wurde festgenommen und zum Bundesgerichtshof nach Karlsruhe geflogen, seitdem sitzt er in einem Berliner Gefängnis in Einzelhaft und wartet auf sein Verfahren. Natürlich kann es sein, dass die Polizei über handfeste und nachvollziehbare Beweise verfügt, die sie bislang zurückhält; ihre öffentlichen Verlautbarungen dagegen deuten eher auf eine Farce hin.
Dr. B. wird vorgeworfen, er habe in seinen akademischen Veröffentlichungen "Formulierungen und Schlüsselworte" verwendet, die auch von einer militanten Gruppe benutzt würden, darunter solche Worte wie "Ungleichheit" und "Gentrifizierung". Die Polizei hält es für verdächtig, dass es zu Treffen mit deutschen Aktivisten kam, zu denen die Soziologen ihre Mobiltelefone nicht mitbrachten; die Polizei betrachtet dies als Zeichen "konspirativen Verhaltens".
Vor dreißig Jahren durchlebte Deutschland eine Konfrontation mit fraglos militanten Gruppen, und diese bleierne Erinnerung hängt der Polizei noch immer nach. Es mag auch so sein, dass es sich bei "Gentrifizierung" um ein wirklich furchtbares Wort handelt. Aber dieses Vorgehen der Polizei scheint mehr nach Guantánamo-Art zu sein, als den Gesetzen echter Geheimdienstarbeit in einer liberalen Demokratie zu folgen.
Betrachten wir den unglücklichen Dr. B. doch ein wenig näher. Ihm wird nicht vorgeworfen, irgendwelche aufrührerischen Aufrufe geschrieben zu haben; er scheint nur intellektuell in der Lage zu sein, jene einigermaßen anspruchsvollen Texte zu verfassen, die eine militante Gruppe benötigen könnte. Außerdem verfügt unser Wissenschaftler, als Angestellter an einem Forschungsinstitut, "über Zugang zu Bibliotheken, um dort die Recherchen durchzuführen, die notwendig sind, um Texte für eine militante Gruppe zu verfassen", auch wenn er keine solchen geschrieben hat. Den einzigen unerschütterlichen Tatsachenbeweis, den die Polizei gegen Dr. H. in Händen hält, ist, dass er vor Ort war, als die linksextreme Szene ihren "Widerstand gegen das Weltwirtschaftsforum 2007 in Heiligendamm" auf die Beine stellte. Vielleicht erlag er dem Irrtum, diese Szene lediglich zu studieren, statt den Protest zu orchestrieren?
Das ist kein Grund für Briten, geschweige denn für Amerikaner, jetzt in selbstgerechtem Missfallen die Stirn zu runzeln. In der langen, traurigen Geschichte der IRA sind Fantasie und Realität noch viel stärker miteinander verwoben worden. Aber abgesehen davon, dass wir hoffen, dass unser Kollege Dr. H. sobald wie möglich freigelassen wird, wenn er nur verspricht, immer und überall sein Handy mit sich zu tragen, so sind wir doch bestürzt über die Grauzonen zwischen fragilen bürgerlichen Freiheiten und den Verwirrungen staatlicher Macht, die sich in diesem Fall offenbaren.
Der liberale Staat verändert sich. In den Sechzigerjahren besaß Deutschland die aufgeklärtesten Gesetze für Flüchtlinge und Asylsuchende in Europa; die USA erließen die feinfühligsten Einwanderungsgesetze in ihrer Geschichte, und Frankreich garantierte allen, die auf seinem Territorium geboren wurden, automatisch die Staatsbürgerschaft, das galt auch für alle Muslime. Heute haben alle diese Länder im Namen des "Kriegs gegen den Terror" ihre Gesetze geändert - der Ausnahmezustand setzt sich durch. Die Gesetze, die gegen echte Gefahren gedacht waren, werden nun ausgelegt, um amorphen Ängsten zu begegnen. Anstelle echter Polizeiarbeit wollen die Autoritäten der Gefahr, die sie fürchten, einen Namen geben - irgendeinen Namen. Der Ausnahmezustand untergräbt die Legitimität von Staaten. Wenn Fälle so verfolgt werden wie dieser, dann läuft eine Regierung Gefahr, ihre Autorität zu verlieren, und beraubt sich damit der Möglichkeiten, wirkungsvoll gegen echte Terroristen vorzugehen.
Sollten unsere Kollegen wirklich gefährliche Soziologen sein, dann sollten sie mit rationalen Mitteln strafrechtlich verfolgt werden. Aber, wie in Guantánamo, scheint die Verfolgung an Stelle der Strafverfolgung getreten zu sein.
Saskia Sassen lehrt als Soziologin an der Columbia University (USA), Richard Sennett ist Soziologe an der London School of Economics (UK)
Übersetzung: Daniel Bax
[taz, 22.08.2007]