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2007-08-12

Erklärung von drei Beschuldigten in einem der § 129a- Verfahren gegen die militante gruppe (m.g.)

Am Morgen des 31.07.2007 durchsuchte das BKA auf Anweisung des
Generalbundesanwaltes unsere Wohnungen. Der Vorwurf lautet auf
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung namens militante
gruppe (m.g.) nach §129a.

Erst jetzt haben wir erfahren, dass das Ermittlungsverfahren gegen uns
schon seit knapp einem Jahr läuft. Mit Hilfe dieses Verfahrens haben das
BKA und andere Bundesbehörden unsere Privatsphäre bis in intimste
Bereiche detailliert ausgeforscht. Betroffen von der Überwachung sind
unsere Lebenspartnerinnen, unsere Freunde, unsere Familien sowie unsere
Kolleginnen und Kollegen. Unser langjähriger Freund und Kollege Andrej
H. wurde verhaftet. Der Vater dreier Kinder befindet sich seitdem in
Untersuchungshaft in Berlin Moabit.

Diese massiven Angriffe auf unsere bürgerlichen Rechte begründet die
Bundesanwaltschaft im Haftbefehl mit einer Reihe von empörenden
Konstruktionen.

Aus den wenigen uns bisher vorliegenden Unterlagen entnehmen wir
folgende Vorwürfe gegen uns:

  • Zwei von uns hätten wissenschaftliche Publikationen verfasst, die
    angeblich "Schlagwörter und Phrasen enthalten, die in Texten der
    “militante(n) gruppe” gleichfalls verwendet werden." Außerdem attestiert
    uns die BAW, über die “intellektuellen Vorausetzungen” zu verfügen,
    welche für das Verfassen von Anschlagserklärungen der m.g. nötig seien.
    Weiterhin geht die BAW davon aus, dass uns Biblioheken zur Verfügung
    stünden, die wir zu Recherchen nutzen können. Außerdem habe sich Andrej
    bei der Vorbereitung der Proteste gegen den G8 mit einer Thematik
    befasst, die auch von der m.g. als Begründung für Anschläge verwendet werde.
  • Einem von uns wird darüber hinaus vorgeworfen, journalistisch über
    eine öffentliche Konferenz berichtet zu haben, auf der Referenten über
    einen Anschlag im Jahr 1972 diskutierten. Einige Monate zuvor soll die
    m.g. dieses Ereignis ebenfalls erwähnt haben. Dies spreche nach Ansicht
    der BAW für die Mitgliedschaft des Autoren in der m.g..
  • In zwei Fällen wirft uns die BAW Kontakte zu Personen vor, die in
    einem anderen – bislang ergebnislosen – 129a Verfahren gegen die m.g.
    beschuldigt werden. Beide Kontakte haben vor allem beruflichen
    Charakter. Vorgeworfen werden uns allen darüber hinaus “vielfältige
    Kontakte auch in die linksextremistische Szene von Berlin”. Dass wir
    auch ungezählte Kontakte zu politischen Parteien, Bürgerinitiativen, zu
    Gewerkschaften und sozialen Bewegungen pflegen, wird nicht erwähnt.

Aus diesen Vorwürfen ergibt sich für uns:

Wer wissenschaftliche und journalistische Publikationen zu bestimmten
Themen verfasst und Bibliotheken nutzt, macht sich verdächtig. Wer
Kontakt zu Menschen hat, die die BAW für verdächtig hält, macht sich
auch verdächtig. Wer versucht, sein Recht auf Privatsphäre und
Anonymität aktiv zu schützen, macht sich durch die Ausübung dieses
Rechtes ebenfalls verdächtig. Kommen bei einem Personenkreis alle drei
Verdachtsmomente zusammen, muss es sich in dieser Logik um eine
terroristische Vereinigung handeln.

So absurd das klingen mag, aber die Folgen für unseren Alltag sind
verheerend: Seit einem Jahr werden unsere Telefone abgehört, alle
E-Mails überwacht, unsere gesamte Internet-Nutzung protokolliert, unsere
Wohnungen werden beobachtet, unsere Bewegungen anhand der Handy-Daten
aufgezeichnet. Möglicherweise wurden Spitzel auf uns angesetzt.
Ausgeforscht wurden auch Lebenspartnerinnen, Freunde, Kolleginnen und
Kollegen und unsere Familienangehörigen. Das gesamte Ausmaß der
Bespitzelung können wir bisher unmöglich überschauen.

Während wir noch auf freiem Fuß sind, wird unser Freund und Kollege
Andrej H. aufgrund gleicher Beschuldigungen gefangen gehalten. Er sitzt
unter verschärften Haftbedinungen in Einzelhaft, kann seine Familie nur
alle zwei Wochen für eine halbe Stunde sehen und mit Besuchern nur durch
eine Trennscheibe reden.

Diese Art der Gesinnungsschnüffelei hat in Deutschland eine lange
Geschichte. Als ehemalige DDR-Bürger sind wir dafür besonders
sensibilisiert.

Wir fordern die sofortige Einstellung des Strafverfahrens nach 129a
StGB, die Herausgabe und Löschung aller erhobenen Daten und die
Entlassung aller Beschuldigten aus der Untersuchungshaft. Das gilt auch
für die drei wegen versuchter Brandstiftung Festgenommenen. Denn diese
dürften in einem rechtsstaatlichen Verfahren gar nicht in
Untersuchungshaft sitzen, da keinerlei Fluchtgefahr besteht. Ihre
Inhaftierung ist nur aufgrund der Konstruktion einer terroristischen
Vereinigung möglich geworden.

Das gesamte Verfahren ist ein Skandal. Es macht deutlich: der
Ermittlungsparagraph 129a gehört abgeschafft.

Berlin, 12.08.2007

Für die Beschuldigten im Verfahren:
RA Wolfgang Kaleck, Immanuelkirchstraße 3-4, 10405 Berlin – Prenzlauer Berg, Tel. 030 – 44679218