Das Mieterforum Ruhr e.V., der MieterInnenverein Witten und Umgebung e.V., der Mieterverein Dortmund e.V. sowie Habitat Netz e.V. und International Network for Urban Research and Action INURA Rhein-Ruhr haben sich mit einem offenen Brief an den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe gewandt:
Aus der Presse haben wir erfahren, daß unser Kollege, der Stadtsoziologe Dr. Andrej H., wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer angeblichen »terroristischen Vereinigung« nach Paragraph 129a am 31. Juli in Berlin verhaftet wurde. Gegen weitere Kollegen soll ermittelt werden. Soweit uns bekannt, gründen sich die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft - neben angeblichen früheren »konspirativen« Treffen mit anderen Beschuldigten - auf folgende »Indizien«:
- Ein 1998 von Andrej H. veröffentlichter wissenschaftlicher Artikel zur Gentrifizierung in Ost-Berlin enthalte »Schlagwörter und Phrasen«, »die in Texten der ›militanten(n) Gruppe (mg)‹ gleichfalls verwendet werden«. Die Häufigkeit der Übereinstimmung sei »auffallend und nicht durch thematische Überschneidungen erklärlich«. Außerdem sei er als promovierter Politologe »intellektuell in der Lage, die anspruchsvollen Texte der ›militante(n) Gruppe (mg)‹ zu verfassen«.
- Dem Angeklagten stünden »Bibliotheken zur Verfügung [ ], die er unauffällig nutzen kann, um die zur Erstellung der militanten Gruppe erforderlichen Recherchen durchzuführen«.
Diese Argumentation ist in empörender Weise absurd und spricht allen rechtsstaatlichen Grundsätzen Hohn. Kein Wissenschaftler ist davor geschützt, daß »militante Gruppen« sich aus seinen Texten bedienen. Jedem Wissenschaftler stehen Bibliotheken zur Verfügung, ebenso wie jedem Inhaber eines Bibliotheksausweises. Wer sich in seiner Stadt diskutierend auch im linken Milieu bewegt, kann im Zweifel immer vorgeworfen werden, daß er dabei auch in Kontakt zu »Militanten« gekommen ist. Potentiell steht damit jede Kommunikation mit »Radikalen« unter dem Generalverdacht des Terrorismus.
Müssen wir befürchten, daß sich nunmehr alle Stadtforscher und Aktivisten, die sich konsequent und auf hohem intellektuellen Niveau kritisch zur neoliberalen Stadtentwicklung, Privatisierung und Hartz IV äußern, sich dabei als Teil sozialer Bewegung begreifen u nd ihre Analysen einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, im potentiellen Visier der Fahnder befinden?
Dr. Andrej H., der an der Humboldt-Universität arbeitet, hat immer wieder seine Analysen und Einschätzungen zur Privatisierung von Wohnungen unseren Organisationen zur Verfügung gestellt. Er hat bei Veranstaltungen -zum Beispiel des Mieterforums Ruhr - Vorträge gehalten und mit uns über politische Einschätzungen beraten. Er arbeitet mit uns auch in internationalen Netzwerken (u.a. im International Network of Urban Research and Action - INURA und in einer Arbeitsgruppe der Habitat International Coalition - HIC) zusammen.
Werden auch unsere Veröffentlichungen und Veranstaltungen nun darauf überprüft, ob sie Ausdrucksweisen enthalten, die von »militanten Gruppen« eventuell verwendet werden? Wann dürfen wir mit Haussuchungen rechnen?
Wir müssen diesen Haftbefehl nach jetzigem Kenntnisstand als einen Anschlag auf die Freiheit der Meinung und der Forschung begreifen. Da wir uns - wie Dr. Andrej H. - in offenen Kommunikationsformen und Netzwerken gegen die Aushöhlung des verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaates und die Zerstörung unserer Städte durch Privatisierung wenden, fühlen wir uns durch diesen Übergriff in unseren demokratischen Grundrechten bedroht. Wir fordern die sofortige Freilassung von Dr. Andrej H.!